Stein umhegt mich

Von Michael Wiedorn

Nein! Nein! Mich gibt es nicht. Wo bin ich? War ich irgendwo? In der Grenzenlosigkeit der Außenwelt würden sich meine Glieder und Organe verlieren. Vielleicht würde ich mit dem Kopf auf der Sonne landen und verbrennen und meine Füße würden sich in den dunkelsten und kältesten Verliesen des Weltalls verlieren und sich auflösen. Vielleicht wird mein Körper durchsichtig und durchlässig wie wehende Luft. Stein umgibt mich und gibt meinem Leben einen Halt. Eine schützende Mauer sagt mir, wer ich bin. Eine scharf schneidende Linie bestätigt nochmals die Grenzen meines nackten Fleisches. Stacheldraht schneidet mir Striemen und Wunden in die Haut und die Haut erfährt freudig ihren Zweck. Meine Augenlider sind fest zusammengepreßt – leider werden die Augen nie zuwachsen – und die Welt ist aus meinem Inneren ausgesperrt. Meine nach innen gedrehten Augen starren in die Unermeßlichkeit meines Innenraumes. In mir erstrecken sich weit ausgedehntere Strecken als in der ganzen Milchstraße. Eine Tages blickte ich einem Kranken tief in das verschlingende Schwarz der Iris und ich verlor mich in seiner Blicklosigkeit. Seitdem ist mein Körper grau und flimmert unsicher wie ein gespenstisches Filmbild. Der Stein, auf dem ich hocke, ist hart und kalt. Er war nie hart und kalt, sondern immer nur meine Einbildung. Meinen Arm halte ich schützend über meinen zerbrechlichen Kopf.
Ein silberner Löffel schlägt hart gegen die dünne Eierschale und der Dotter strömt blutend aus meinem Hirn. Eine Eisenstange wird mir die Schädeldecke einschlagen.
Nackt dem zudringlichen Blick der Kamera ausgeliefert. Meine Körperzellen lösen sich in unzählige Pünktchen auf einem Bildschirm auf.

© 2021 Michael Wiedorn
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