Diese Gedichte, wenn auch thematisch sehr breit gestreut, verbindet der Hang zur Malerei. Neben der Bedeutungsebene sollen die Woerter auch ein Bild malen, es sind Referenzen zur Realität, der Natur, und sollen das Dorf auch bildlich vor den Augen entstehen lassen. Die Wörter haben also einen semantischen und einen bildlichen Bezug. Jedes Wort, das nur auf sich selbst als Bedeutungseinheit zeigt, das also keine weitere symbolische Ebene aufzuweisen hat, ist ein totes Wort.
Gemalte Gedichte bei denen die lautmalerische Verbindung der Wörter Vorrang hat. Teilweise werden Verbindungen geschaffen (wie z.B. erahnen – vorfahren), die eine eigene ästhetische Ebene aufbauen, die vom Text abgekoppelt verstanden werden können. Sprache ist eine Aneinanderkettung nicht von Wörtern sondern Wortblocken, die man wie Legosteine zusammensetzt. Damit einher geht eine Fossilierung von Bedeutungen und Sprache im dichterischen Sinne verkuemmert. Durch Wort-, Laut- und Bildverbindungen soll dem entgegengewirkt werden und ein kreativer Fortschritt der Sprache forciert werden. Dem Leser kommt hier auch noch die Rolle des verlängerten Arms des Dichters zu, der die Tragweite der Gedichte verbreitet und weiterdichtet. Den Wörtern und Gedichten wird Freiheit zugestanden, sich selbst weiterzuentwickeln, auch entgegen der Intention des Dichters. Auch das Unzulängliche ist produktiv.
Aus: dorfgeschichten
Seit mehr als zehn Jahren lebe ich in einem kleinen Dorf in den Bergen (Jirisan) in Südkorea. Dort habe ich unter anderem auch Feldforschung für das Buch “Die vielen Gesichter der Dokkaebi” (2014 Ostasien Verlag) betrieben und diese Erlebnisse in den Gedichten verarbeitet.
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non-agrigutturale felderforschung
bilderjagend stuerme und draenge ich durch gassen
szenen stilllebend mir einbrennend
selbst totgeburten birken stoff
vogelperspektiven in walnussschalen verpackend schnuert man sich das buendel mit selbsterlebensreisebeschreibungsversuchungen auf die verrueckten schulterblaetter
eine alte frau, meine nachbarin, die immer so gebueckt durch das bucklige dorf sich bewegt
laechelt meine einjaehrige auf meinem arm baumelnde tochter an
nennt sie ttonggae (scheisshund)
den echten namen darf man nicht erwaehnen
der geister wegen, die dann diesen kleinen menschen wiedererkennen wuerden und ihm schaden koennten
meine ethnographische umarmung
dieser grossmutter vollzog sich
in der art und kunst
eines praezise ausgefuehrten lauteren stillettstiches in den bauch
diese dorfgassengeschichte wird sogleich mit einer stecknadel
hinter der glaskastenfront mit anderen schmetterlingen verewigt
die ethnologische kriegsfuehrung steht immer an vorderster front
pazifismus ist fuer den menschensammler blosses geredere
wieviele eingeborene sind schon unter die reder der wissenschaften gekommen
und einem guten zweck wie schlachtvieh zugefurcht worden
in die der tropenbehelmte samen seines wissens streut und wieder nur dieses erntet
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inter pene trationen geo graphisch abgestreckter ein heiten wachsen in koepfe
sich aufbaeumende gefaellige berge werden hingetraeumt
eingewurzelte neigungen treiben stollen voran in einsiedlerverkrebste verwirrungen eurozentrischer merckwuerdiger spinnereien die netze des lebens bilden die man selbst auswirft und niemals den anderen faengt
stattdessen man blumentopfausbruchsversuche des geistes in gehdichtete mosaike zwaengt
steigbuegel des verstehens werden durch die eigene tradition die man wie talismaenner mit sich herumtraegt abgeschnitten von angeschnittenen realitaeten
geschichten die das trommelfell wie metastasische ohrtrompeten beschallen werden in den ohrenschnecken in gebogene traumgaenge verabstellgleist
stadt tessen entpuppt sich der auswurf als rahmenhafte wohlbekannte welt
verwundete wunderliche weihnachtswunderbaumkerzen verbrennen verwuestete gedankenstromueberschwemmungen nieder und man haette genausogut seine eindruckereien als landstreicher auf alte heimatliche leinwaende radieren koennen die trotzdem keine freien stellen geschaffen haetten
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theorie dichter per verse
grammatikuebergreifende tentakeln strangulieren begriffe
die nur abbilder von inhalten sind
die man selbst gut kennt und aus tradition reproduziert
die aber docht kerzengerade anna luise vergewaltigen
eingeborene von randsteinen der eigenen ungeahnten existenz in formen stossen und giessen und nach hausmannsart in steirischer eierschwammerlsauce konservieren
stammestreue satzungen vernebeln bedeutungen
verunmoeglichen tellerrandserklimmungen
und lassen eingeborene nur als verzierungen der eigenen geistigen haustuer zu die sich dekorativ nur als buchtitel verneingen
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in engen wiegen
ein landstreicher malt sich seine welt aus
auf allen wogen trifft er nur wohlbekanntes land
wird einfach nicht nass
neue erfahrungen fallen mimetischen radierungen zum opfer
die ruinen absondern die sich in bildern verrinnen
pupppenverhuellungen meiner vorstellungen ethnoschraffieren weisse papiersaiten grillenhafter befallener morscher fermanenter fermentierter ferse griechischer helden
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© 2021 Alexander Reisenbichler
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