Feierabend

Von Lena Kelm

Ein Montagmorgen im Sommer gegen neun Uhr. Nach dem genüsslich getrunkenen Latte Macchiato in meinem mittlerweile Stamm-Café, richte ich mich von dem bequem gepolsterten Stuhl auf – nach dem Vergnügen die Arbeit – (der Kaffee muss auch noch bezahlt werden) und mache den ersten Schritt in Richtung Geschirrabgabe.
Eine etwa sechzigjährige Frau mit grauer Dauerwelle erscheint, im bunten Sommerkleid und einer passend gemusterten Einkaufstasche über dem Arm. Sie erhascht den Platz, den ich gerade frei mache und sagt freundlich lächelnd: „Feierabend?“ – „Nee, ich fange erst in einer Viertelstunde an.“ Die Frau sieht mich verdutzt an. Und ich begreife verspätet – ja, hier bin ich fertig, also ist Feierabend.
Mein Lehrerinstinkt sagt mir, es bringt nichts, dieser netten Frau auf die Schnelle schulmeisterlich die Bedeutung des Begriffs Feierabend zu erklären. Und wieso sollte das Ende des Kaffeetrinkens nicht auch Feierabend sein? Wichtig ist nur, ich habe die Frau verstanden. In Spanien könnte ich zu jemandem im Café sagen: „Siesta, si?“ Und der Angesprochene würde sich wohl fragen, meint sie die Ruhepause oder das Nickerchen? Ich bin mir sicher, der Spanier würde mir genauso freundlich zulächeln. So gelingt Verständigung, versuchen, zu verstehen und – lächeln.

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