Jägermeister

Von Michael Wiedorn

Ein Gebirge wirft sich ihm entgegen, leuchtend in der Sonne am Morgen. Es schlägt ihm ins Gesicht, daß er rot strahle am Morgen nach dem Tode des Hirsches, erschlagen vom Jäger zwischen den Schluchten im Gebirge. Undurchdringliches Schwarz in der Schlucht, gefangen gehalten von Felswänden. Der Jäger ist schuldig und wird von Furien gejagt. Sie stürzen sich auf ihn in den Nächten, den Behutsamen. In denen er zerschmettert zwischen den Felsen zu schlafen versucht. Raubvogelähnliche Gestalten rauschen mit ausgebreiteten Flügeln in verlassenen Nächten im Winde des Gebirges – tief aus dem Boden. Er träumt von der Schuld. Er liebt den ihn liebenden Hirsch aus dem Walde. Smaragdgrün strahlend in den Wipfeln, die sich in der Kuppel der tödlichen Nacht verlieren – riesig wie die Hallen einer Kathedrale der Verlassenheit. Der Jäger fühlt sich in der Weite, die ihn verlöscht, schweben. Ein zwergenhaftes Kind in den Gewölben des Bauches seiner Mutter. Die Nabelschnur blutet – verblutet in die weite Nacht des ihn umhüllenden, des ihn aussetzenden Waldes. Die Perle eines Tropfens löst sich vom Wasserhahn und fällt auf den kalten Kellerboden, dröhnend in der Weite des Ausgesetztseins. Der Hirsch erhebt sich in die Höhe, erhebt erhaben den Kopf – tausendfältig verzweigtes Geweih – in die rote Morgensonne.
Die Strahlen breiten sich aus. Er ist der Jägermeister. Der Hirsch ist der Jägermeister. Die Arbeiter in der Kneipe prosten sich zu und kippen mit in den Nacken geworfenen Schädeln das Gesöff in ihren Schlund, tief hinabführend in das Feuer unter der Erde, das den Hirsch vor Tausenden von Jahren geboren hat. Der Jäger erhebt sich in die Höhe, erhebt erhaben den Kopf und nimmt einen Schluck aus seiner Feldflasche, gefüllt mit – ja, was wohl – mit Pfefferminztee – flaschengrün wie die Wipfel des Tannenwaldes. Tot ist das Wetter unter der Käseglocke – gestülpt über den Gebirgswald mit seiner Schlucht, in der der zerschmetterte Jäger tot auf dem Kellerboden liegt.
Die Wassertropfen perlen vom Wasserhahn tief unter dem Hause unter der Kneipe mit den Jägermeister trinkenden Arbeitern. Totgrün zieht der Fluß mit dem vergessenen Blut des Himmels
– gerächt von den Furien, die mit Flügeln und Krallen ihn griffen. Das Blut rächend im Grün beim Picknick – bestehend aus einem Laib Landbrot, einer Flasche Jägermeister, Salami. Die Familie freut sich am Sonntag im fichtengrünen Wald – bedrängt von Vögeln mit blutenden Stücken Fleisch im Maul. Der Sonntag geht vorbei. Man hört hoch im Gebirge – hoch im Hochwald nicht die Glocken vom Tale, tropfend als Hahn im Keller unter der Erde. Der Jäger schläft – träumend von den Vögeln, singend den Hirsch am Dache des Himmels – blau in den Höhen.

© 2021 Michael Wiedorn
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