Die Vereisung

Von Michael Wiedorn

Ein Hochhaus steht an der Autobahn. Der Eiswind lässt den Schädel gefrieren. München ist kalt. Das riesige Gebäude ist ein überdimensionaler Stahldübel – eingerammt in die Erde. Fünf zusammengerammte Türme. An der Fassade gibt es keine Ecken. Die Türme sind rund. Gleichmäßige Fensterscheiben – eingefasst in bleifarbenen Metallflächen. Das Haus ist aus Stahlwaben wie ein metallener Bienenstock zusammengepresst. Vor dem Gebäude steht eine an den Seiten geschwungene Metallschüssel – ein Bau, der sich verkleidet hat. Etwa 30 Meter hoch – schätze ich mal. Oben ist die Gebäudeschale breiter als am Boden. Was ist der Sinn dieses Gehäuses?
Es ist Abend im Dezember. Das verlöschende Tageslicht ist trübe. Hell leuchtet der feste und überall gegenwärtige Schnee. Wann ist der Frühling, in dem Schnee und Eis nicht mehr dem Grün weichen werden? Die beißende Kälte wird alles Leben einschläfern. Ich betrete das Gebäude. Die Wände des Foyers bestehen aus Milchglasscheiben. Hier stehen alte Modelle von BMW-Wägen. Ich verlasse wieder das Haus. Über eine Brücke überquere ich eine andere Autobahn. Auf der anderen Seite stehen zwei unförmige Bauten. Zwei überdimensionierte Zelte. Ich betrete das eine Gebilde und gehe eine Treppe abwärts. Auf mehreren Absätzen kann man auf Schildern über die Erfolge von BMW lesen. Unten angekommen, sehe ich Vitrinen, in denen Motoren ausgestellt werden. Eine kleine Gruppe von Japanern liest mit Begeisterung die englischen Kommentare zu den Motoren. Auf Monitoren kann man die speziellen Erfindungen und Delikatessen von BMW-Produkten bewundern. Spezielle Notrufsysteme beim Aufprall der Stoßstange zum Beispiel. Überall stehen die aktuellsten Modelle. Kalt-weiße Sitzecken, die aussehen wie Requisiten für einen Science-fiction-film. Aus fernsten Milchstraßen wird eine neue Eiszeit die Menschheit auslöschen. Ich bin im kalten Licht verlassen.
Im untersten Stockwerk eine menschenleere Cafeteria. An den Wänden Glasscheiben, auf denen Kugeln in gleichmäßigem Wogen eine Flut bilden. Eine Flut besteht aus unendlich vielen Molekülen. Jedes Molekül ist eine einsame Kugel, die sich in Abstimmung mit jeder anderen Kugel auf und ab bewegt und mit ihnen eine Formation bildet. In sich abgeschlossene Einsame lassen sich willenlos in der Masse treiben. Eine leise, unterkühlte Loungemusik im Hintergrund. Ich gehe wieder nach oben. Verlasse das Gebäude und gehe in das andere Haus. Hier ist es voll Menschen. Die eigentliche Verkaufsausstellung. Hier stehen weitere Autos. Leute sitzen in den Fahrzeugen und untersuchen Monturenbretter und Sitze. Das Gebäude erinnert an ein Zelt, das den ganzen Kosmos birgt. Die Fassaden zur Außenwelt sind durchsichtig. Von unten aus,

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