Von Monika Jarju
Dicht über dem Boden der Bahnhofshalle schwirren Flughunde, groß wie Dackel, ihre grüngoldschwarz schimmernden Flügel streifen sacht meine Beine beim Durchschreiten. Auf dem Bahnhofsvorplatz falte ich den Stadtplan auf und suche die Große Hofmeisterstraße, deren Name eher auf Regensburg oder Leipzig als auf Berlin verweist. Rasch entdecke ich sie im Gewirr angrenzender Straßen. Als ich jedoch in die Straße einbiegen will, mischt sich eine andere Straße ein, kurz leuchtet das Straßenschild auf. Eine Straße wird zur anderen, ihre Identität lässt sich nicht festlegen, beharrt weder auf dem Namen noch auf der Verortung. Straßen durchdringen einander, Grenzen zerfließen, heben sich auf. Die Straßen erscheinen als Beweggrund, indem sich lautlos Straßenschilder und Orte verschieben und Nebenstraßen Querstraßen ergeben. Aus jeder Straße des Vorplatzes entsteht ein neuer Ort, ein wandlungsfähiger Vorstellungsraum. Ich gehe auf Trittsteinen, die nicht zum Betreten gedacht sind. In welche Straßenflucht aber ist die Große Hofmeisterstraße hineingeglitten und der Augenarzt, bei dem ich dringend eine Zweitmeinung einholen wollte.
©2021 Monika Jarju
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