nach dem kolonialismus ist vor dem minderwertigkeitskomplex

Von Alexander Reisenbichler

der westliche blick erzeugt koloniale bilder von menschen die in tote kalte winkel manoefriert werden – in ein permanents exil im nirgendwowinkel ihrer heimat wie schmetterlinge hinter guckglaskaesten gepinnt – postkolonialismus ist in europa ein historisches epochengemaelde – in asien ein nackter psychologischer tinnitus der nationale befreite grenzziehungen uebertoent – in suedkorea ist die koreanische welle, der export unterschiedlicher kultureller artefakte, der existenzbeweis der wertigkeit der eigenen kultur und nicht nur materielle kultur zum riechen, fuehlen, sehen und essen – der stolz vieler koreaner die europaeische durchschnittsgroesse erreicht zu haben ist keine koerperlich sondern psychologische messlatte die einen endlich auf den eigenen fuessen stehen laesst – erbauungsgehdichte architektonisch verhinderter postkolonialer europaeischer brieftraeger die die unabhaengigkeit asiatischer staaten als erfolg zeichnen radieren psychologische stillleben nicht aus

Aus:
blindenschrift fuer tauben
untertitel:
theorie dichter per verse

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untergrundbewegung
schon bevor ich ein land betrete
sind meine fussabdruecke dort

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hoeher schneller weiter

es war einmal
als die tiger noch pfeife rauchten
ein negerstamm
die primitivitaet in die sonnengebraeunte haut taetowiert
mit pfeil und bogen haben sie ihr universum vermessen

das wurde ihnen mit dem kolonialismus der herrenmenschen gedankt
die den moralischen hoehlenbewohnern in ungeahnte hoehen hievten
heute aetzen ihnen in luftigen hoehen uv strahlen die primitiven taetowierungen wieder aus der haut
gottseidank

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der menschensammler
(bild von composite animals aus der indischen moghul kunst, bei der ein tierbild aus vielen kleinen anderen tierbildern zusammengesetzt ist)

menschen angierend die emotionslos vorueberziehen
diese werden angezapft und ihre erinnerungen abgesaugt mit denen realitaetskonstruktionen gekittet werden
unverdaute mosaike einverleibend
lebende leichen sezierend bespritzt man sich mit ihren koerpersaeften die meine haeute durchdringen und blut bahnen ziehen
die welt in seinem koerper vereinigend plustert man sich zu einem menschensammler
auf
egal wie niedrig
und duerstet nach wuesten verrenkungen von menschen
umgarnt deren verstrickte gesichter in gefuehllosen gehdichte
die wortlos versumpfen

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der vorhang faellt am beginn des stuecks

enterbte kulturen
fossilieren in exotischen moebelnebenhandlungen ihre vergangenheiten

ihre moderne schwingt scheinbar wie die unteren saiten einer sitar mit
die nur durch das anschlagen der oberen saiten toenen
den takt der unberuehrbaren geben die oberen an

das ohr an holzsaergen
kolonialem leben nachhorchen

man sprach miteinander bis sich umlaute von tonhoehen subtrahierten

in glucksenden blasen bauten sich tiefseefische
drueckende luftballone auf
bis exotismen sie an die oberflaeche brachten
am ende des glucks
hat es nur zu einer wegesrandblumenexistenz gereicht

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© 2021 Alexander Reisenbichler
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