Von Michael Kothe
Schorsch Siebensohn trat den glimmenden Zigarettenstummel aus. Nervös drehte er die Fußspitze so lange kräftig darauf herum, bis die Fasern des Filters unter seiner Sohle hervorquollen. Sein Freund war nicht so aufgeregt, sondern lehnte lässig am Kotflügel des schwarzen, auf Hochglanz polierten Audi A6. Der hatte zumindest optisch das Potenzial zum Dienstfahrzeug einer Konzernleitung.
Sie warteten auf dem Parkplatz des Möbeldiscounters im Echinger Industriegebiet im Norden Münchens, ein gutes Stück hinter dem schwedischen Möbelgiganten an der Liebigstraße und seinem Konkurrenten auf der anderen Straßenseite. Von dort musste man links in den letzten Abschnitt der Dieselstraße abbiegen und an dessen Ende rechts die halbe Länge der Ohmstraße entlangfahren, sonst landete man auf dem Ring der Heisenbergstraße, die um den ausladenden Flachbau des Bekleidungsgeschäfts führte, das das magentafarbene Logo der bekannten Kette von Modemärkten trug. Der Wind trug den Verkehrslärm von der westlich vorbeiführenden A9 bis zu ihnen herüber. Freitagnachmittag. Die Pendler verließen die Landeshauptstadt und schoben sich im Stau nordwärts.
Den Gebrauchtwagenmarkt auf dem Gelände des Aschheimer Autokinos hatten sie nicht nutzen wollen. Erstens fand der nur samstags statt und das auch nicht an jeden Wochenende, und zweitens war ihnen das Publikum dort nicht geheuer. Zu viele dunkle Gestalten, die Fahrzeuge in den Osten verschieben wollten, zu viele Kritiker, die auch am besten Auto trotz Topzustand noch etwas auszusetzen hatten. Auch wurde dort von den Interessenten zu aggressiv nach unten verhandelt. Und es gab zu viele billige Autos. Sie hatten ihre Erfahrung.
»A6, 3-Liter Diesel, Quattro, 130.000km, unfallfrei, sieben Jahre alt, scheckheftgepflegt. Beim Händler gut und gerne seine 24.000 Euro wert.«
Auf diesen Text hatten sie sich geeinigt, dann wollten sie, damit das Verkaufsgespräch lebendiger würde, mit verteilten Rollen noch die Extras und die weiteren Vorzüge des Fahrzeugs aufzählen. Schorsch schlenderte um den Audi herum, es war schon seine vierte Runde nacheinander. In immer kürzeren Abständen drehte er das Handgelenk, schaute auf seine Armbanduhr. Er hatte sich entschieden, die Breitling-Replika zu tragen, da sie am besten zu dem Fahrzeug passte. Sie sollte beeindrucken. Sein Freund nahm das nicht so genau, sein Outfit war Schorsch zu leger, aber Bastian zuckte nur die Schultern, als er ihn darauf ansprach.
Dass der Käufer schon zwanzig Minuten überfällig war, zerrte an den Nerven.
Intensiv beäugte er jedes Fahrzeug, das auf den Parkplatz fuhr. Meistens waren es kleinere oder ältere Autos, aus denen Leute stiegen, die ihrer Kleidung oder ihrem Auftreten nach durchaus die angemessene Klientel des preiswerten Möbelgeschäfts darstellten, in dem sie dann auch folgerichtig verschwanden. Schorsch kam sich in dieser Umgebung overdressed vor, wenn man diesen Begriff auch auf ein Fahrzeug der Oberklasse anwenden durfte. Das steigerte seine Nervosität. Er fühlte sich auf dem Präsentierteller für alle Neugierigen, obwohl kaum einer Notiz von ihm nahm. Schließlich hätte er ja auch ein Kunde des auf dem Nachbargrundstück angesiedelten Dekorationsgeschäfts zwischen dem Küchenstudio und dem riesigen Baumarkt sein können, und er nutzte diesen Parkplatz nur, weil drüben die Parkbuchten für sein Schlachtschiff zu eng waren.
Den mattroten Mercedes Kombi, ein wirklich älteres Baujahr, beachtete Schorsch kaum. Der hatte, kaum, dass er die Zufahrt zum Parkplatz hinter sich gelassen hatte, etwas abseits der übrigen Fahrzeuge angehalten. »Wieder ein Familienvater, der einen billigen Schrankbausatz oder ein Jugendzimmer ergattern will.« Verächtlich zog er die Oberlippe hoch, schaute wieder auf seine Uhr. 25 Minuten. Hatte der Kunde sie versetzt? Dann wäre es immerhin ein Gebot der Höflichkeit gewesen, sich telefonisch zu melden. Schließlich hatten sie die Handynummern ausgetauscht.
Bastian stemmte die Fahrertür auf, drehte sich zu Schorsch um.
»Sie kommen. Haben eben angerufen, von der Zufahrt zum Industriegebiet aus, waren an der Kreuzung beim Schotten.«
Schorsch verdrehte die Augen. Wann konnte Bastian endlich mit dem Blödsinn aufhören, den Schnellimbiss amerikanischer Provenienz als schottisches Restaurant zu bezeichnen?
Der rote Mercedes hatte wieder Fahrt aufgenommen, langsam kam er dem Audi näher. Mit zwei Wagenlängen Abstand hielt er an, drei Personen stiegen aus.
Der flotte Mittdreißiger in beiger Hose und im Sommerhemd, dessen Qualität und Preis Schorsch sofort auffielen, kam auf ihn zu, ein kurzes Taxieren, dann gab er ihm die Hand.
»Hallo. Herr Siebensohn?«
Schorsch nickte.
»Herr Döbler? Grüß Gott.«
»Genau der. Die Verspätung tut mir leid, aber Sie kennen ja die A9. Die Abgase aus dem Stau riecht man bis hierher.«
Jetzt fielen sie Schorsch auch auf.
Die beiden anderen aus dem Benz kamen auf ihn zu. In einem ungünstigen Augenblick, denn er hatte gerade geräuschvoll mit nach oben gereckter Nase geschnuppert und keinen Blick für die Neuankömmlinge gehabt.
Ein kurzer gegenseitiger Händedruck, keine weitere Begrüßung. Das Ritual wiederholte sich bei Bastian, der hinter dem Lenkrad hervorgeklettert kam. Er hatte sich auf den Fahrersitz plumpsen lassen, als das Autotelefon geklingelt hatte.
Der Beifahrer von Döbler gab sich wortkarg, Schorsch und Bastian war das recht, sie hatten seinen starken Akzent nicht einordnen können, und verstanden hatten sie ihn auch kaum. Außerdem wollten sie mit dem stiernackigen Mann, aus dessen Muscleshirt voluminöse Schulterkugeln und mächtige Bizeps herauswuchsen, nicht allzuviel zu tun bekommen. Er musste ihrer Vermutung nach wohl reichlich Zeit für Bodybuilding aufwenden.
Die Begleiterin Döblers schien desinteressiert, sie schenkte ihren lila lackierten Fingernägeln mehr Aufmerksamkeit als den beiden Männern, denen Döbler das Auto abkaufen wollte. Ihre High Heels, die knappe Kleidung und ihr Gang passten zu ihrem Verhalten.
Schorsch drehte sich höflich um, damit keinem sein Grinsen auffiel. Ihm hatte sich beim Anblick der Brünetten der Bilderwitz des betenden Jungen aufgedrängt. »Bitte, lieber Gott, gib den armen Frauen auf Papas Computer was Warmes zum Anziehen!«
Das Verkaufsgespräch entwickelte sich zu Schorschs und Bastians Zufriedenheit. Sie sagten ihre eingeübten Sprüche auf, wiesen Döbler mehrfach darauf hin, wie gut ihm dieses Nobelfahrzeug stünde, und beantworteten detailliert seine Fragen bezüglich des Zustands. Über die Technik wollte Döbler nichts wissen, der Wagen sei nicht für ihn, er sei nur der Beauftragte von jemandem, der wisse, was er wolle. Und er wollte diesen Wagen.
Die Probefahrt verlief problemlos, Schorsch und Bastian tauschten immer wieder verstohlen vielsagende Blicke aus, ihre Augen strahlten. Döbler fuhr, Bastian hatte auf dem linken Rücksitz Platz genommen, Schorsch saß auf dem Beifahrersitz. Das stand ihm zu, er war der Aktivere bei dem Geschäft. Und mit der Brünetten wollte keiner der beiden zurückbleiben, hauptsächlich wegen des Stiernackens im Tanktop.
Für 24.000 Euro wurden sie den Audi dann doch nicht los. Zwar meckerte Döbler nicht an dem Auto herum, aber er baute einen Tablet-PC auf der Motorhaube seines Mercedes auf und zeigte den beiden einige Vergleichsangebote aus den einschlägigen Verkaufsportalen für Gebrauchtfahrzeuge. Außerdem hatte sein Auftraggeber ihm eine finanzielle Obergrenze gesetzt. Schluckend schlug Schorsch bei 21.000 Euro ein. Das Unterschreiben des vorgefertigten Kaufvertrags war nach dem Handschlag kein Thema mehr.
Die Übergabe Zug um Zug gestaltete sich für Schorsch und seinen Kumpel spannend. Der Stiernacken öffnete die Heckklappe des Daimlers, zog einen an der Rückenlehne angegurteten Alukoffer an die Ladekante, nachdem er den Gummiriemen gelöst hatte.
Schorsch hielt den Atem an.
»Wie im Krimi, jetzt dürfen wir kurz in den Koffer schauen, die Scheine zählen, und dann bekommen wir den Koffer im Austausch für Wagenschlüssel und KFZ-Brief, ach nein, Zulassungsbescheinigung heißt das Dokument ja seit Ende 2005.«
Er sollte beinahe recht behalten, nur rückte der Stiernacken nicht den ganzen Koffer zu Schorsch herüber, sondern entnahm ihm eine Kunststofftasche, die an einen einfachen Kulturbeutel erinnerte. Schorsch griff hinein, ließ die eng gestopften Fünfziger durch seine Finger gleiten, fuhr mit dem Daumen über den freien Rand der Geldbündel, zählte die Banderolen. Überschlagsweise stimmte der Betrag von 20.000 Euro, zwanzig 50-Euro-Scheine zog der Bodybuilder aus einem kleinen Abteil im Innern des Kofferdeckels und drückte sie Schorsch lose in die Hand.
Ein paar freundliche Floskeln zum Abschied, dann stieg der Stiernacken hinters Steuer des Kombis, Döbler führte seine Begleitung zum Audi und hielt ihr die Beifahrertüre auf. Ein Kavalier der alten Schule! Nachdem sie sich in den Ledersitz fallen gelassen und sittsam die aneinandergepressten Beine im Fußraum verstaut hatte, lief er hinten um den Wagen herum und stieg hinters Lenkrad. Nach einer halben Minute befanden sich beide Fahrzeuge bei der Ausfahrt.
Schorsch und Bastian grinsten sich an. So einfach hatten sie sich das Geschäft nicht vorgestellt. Nun war der Wagen weg. Dass er gestohlen war, würde Döbler erst merken, wenn er eine Grenze überquerte oder in eine Verkehrskontrolle geriet. Der Kaufvertrag mit den Namen aus den gefälschten Ausweisen würde auch nicht auf ihre Spur führen.
Euphorisch schritten die beiden auf den Imbisswagen neben dem Eingang zum Möbeldiscounter zu. Sie hatten den Erfolg ihres Geschäfts in einem gehobenen Ambiente feiern wollen, aber das konnten sie jederzeit nachholen. Momentan hatten sie einfach Hunger.
»Zweimal das Nackensteak in der Semmel«, bestellte Schorsch bei dem Mann mit der senfbekleckerten Schürze, »und haben Sie Pikkolos?« Obwohl ein Gehilfe sie bediente, ignorierten sie den und betrieben Smalltalk mit dem Budeninhaber, bis sie das Bestellte in Händen hielten.
Schorsch und Bastian lehnten Minuten später mit vollem Mund an einem der drei Stehtische. Den Imbisswirt hatte Schorsch mit einem der Scheine aus der Kulturtasche bezahlt.
Sie standen mit dem Rücken zum Parkplatz. Sie hatten sich nicht mehr umgedreht, seit sie Döbler bei seiner Abfahrt zum Gruß kurz zugewinkt hatten. So entging ihnen, dass der Audi und der Benz undmittelbar nach dem Verlassen des Parkplatzes von zwei Streifenwagen gestoppt wurden, die aus einem Firmengelände auf die Straße fuhren, die einzige Ausfahrt von diesem Teil des Industriegebiets. Ein drittes Polizeifahrzeug schnitt Döbler & Co gerade den Rückweg ab.
»Prost,« meinte Bastian.
Sie stießen mit den kleinen Sektflaschen an. Richtig kalt war der Sekt nicht, aber für den Abend war der Besuch einer Party angesagt. Dort könnte man den Handel angemessen begießen, und das auf Kosten anderer.
Noch auf dem letzten Bissen kauend, Bastian stocherte mit einem Zahnstocher zwischen Zähnen und Fleischstückchen herum, strebten die beiden gut gelaunt dem schmalen Durchgang im Zaun zum Nachbarparkplatz entgegen. Mit Absicht hatten sie Schorschs alten Honda vor dem Baumarkt geparkt, der bis vor einigen Jahren mit dem Biber seine Werbung betrieben hatte.
»Würden Sie bitte stehenbleiben! Polizei.«
Zu dem Gehilfen der Imbissbude, der ihnen nachgegangen war, gesellten sich zwei Arbeiter, die vorher neben einem unauffälligen Lieferwagen gestanden hatten. Sie versperrten ihnen den Rückweg, nickten den drei Zivilbeamten zu, die vor Schorsch und Bastian auftauchten und deren Sprecher ihnen gerade seinen Dienstausweis vorhielt. Die drei hatten neben dem Durchgang an einem Blumenkübel gestanden und sich unterhalten.
»Bitte, was haben wir getan?«
»Sie wissen doch, wer Banknöten fälscht oder nachmacht oder gefälschte oder nachgemachte Banknoten in Umlauf bringt …« Der Gehilfe von der Imbissbude lachte und wedelte mit dem 50-Euro-Schein, mit dem Schorsch bezahlt hatte, »und Sie haben offensichtlich eine ganze Tasche davon.«
© 2021 Michael Kothe
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Der kurze Krimi stammt aus der Sammlung »Schmunzelmord – 25 kriminelle Kurzgeschichten aus dem Münchner Norden«. Mehr auf der Homepage des Autors: https://autor-michael-kothe.jimdofree.com.
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