Erinnerung der Sonnenbrillen

Von Olga Kovalenko

Ti ricorderò per sempre.
Ti ricorderò solo per due anni.
Ti ricorderò solo per sei mesi
Ti ricorderò solo per un’estate
Ti ricorderò solo per tre settimane
Ti ricorderò solo per un’attimo
Mai mi ricorderò di te.

Mein Verweilen bei ihr dauert nur 4 Jahre. Ich lag auf dem Tisch in einem leeren Hörsaal, vergessen von meinem vorherigen Besitzer. Ich war eher passend für Männer oder ich war vielleicht doch Unisex. Ich weiß es mittlerweile selbst nicht mehr. Aber ihr war es alles egal. Sie nahm mich einfach mit. Wenn sie mich nicht brauchte, lag ich unter den Büchern auf dem Regal vor ihren Eingangstüren und beobachtete sie, lauschte ihren Gesprächen zu.

Ihre Beziehung zu ihm war genauso wie mein Verweilen bei ihr – begrenzt. Sie traf ihn zufällig vor ihrem Haus bei Fahrradreparaturen an einem sonnigen Tag. Sie ging an ihm vorbei, stieg in den Aufzug und fragte sich wer es sein konnte. Ich spürte ihre Aufregung wie leichtes Kitzeln auf den Schultern. An dem gleichen Tag lernten sie einander kennen. Die Sonne stand hoch und blendete, ich schützte ihre Seele, versteckte ihre Offenheit.

Sie lud ihn zu einem Grillen mit den Freunden ein. Sie wollte ihn unbedingt besser verstehen. Aber an dem Abend selbst erschreckte sie sich vor ihren eigenen Emotionen, von dieser Anziehungskraft, die er auf sie ausübte und redete den ganzen Abend mit anderem Mann. Sie zeigte ihn ihre Gleichgültigkeit und nur ich spürte ihren schnellen Puls an den Schläfen, wie unauffällig für die anderen widmete sie ihren Blick zu ihn. Ich versteckte sie von der Welt.

Die nächsten 2 Jahren trafen sie sich immer wieder zufällig. Es passierte nie im Winter oder wenn es regnete. Es war immer hell und ich war dabei. So tauschten sie Nummern aus. Aber es war doch immer unpassend. Entweder er musste wegreisen oder sie. Das Treffen konnte nie stattfinden.

Ein Jahr später, nach dem sie seine ganze Existenz vergessen hatte, traf sie ihn zufällig in einem Bistro wieder. Er winkte ihr zu. Sie schaute ihn an und konnte nicht erkennen. Das Winken blieb unerwidert. Erst als sie an ihm vorbei ging und seine Stimme hörte, gab ihr Gedächtnis die winzigen Erinnerungen an ihn ab. Gleich darauf schrieb sie ihn und sie trafen sich zum ersten Mal nach 3 Jahren.

An den Grenzen war ihre Beziehung mit ihm. Aus der Anziehungskraft wurde eine Droge. Er hypnotisierte sie. Er spielte mit ihr und sie erlaubte es. Sie war das Kaninchen. Er – die Schlange. Sie hatte Angst und konnte trotzdem nicht fliehen, blieb steif und spielte mit. Ließ der Feuer brennen, obwohl sie es wusste, dass sie dabei zugrunde gehen kann. Ich versteckte ihre Angst, ihre Abhängigkeit. Sie konnte ihm nicht nein sagen. Ob er es wusste? Hinter meinen Gläsern verbarg sie ihre Chaos. Ihre Stimme klang immer so ruhig und leicht ignorant und nur ich wusste, was für einen Widerstand sie ihn leistete, wie viel Kraft es ihr kostete, ihn so zu behandeln.

Die Grenzlosigkeit ihren eigenen Gefühlen war ihr vollkommen bewusst. Sie saß öfters am späten Nachmittag allein auf dem Balkon und fragte sich selbst, wie es weiter gehen soll. Sie fühlte sich schwach. Sie konnte nicht loslassen. Sie schloss immer wieder ihren Augen und mit meinem Schatten und ihrem Willen umwickelte sie ihre eigenen Wunden.

Er war unberechenbar. Er war unzuverlässig. Es war immer alles unsicher. Unsicher seine eigenen Worte. Unglaubwürdig seine Geschichten. Irreal seine Gefühle. Irreal sie selbst. Nur ich war real und sah die Welt mit ihren naiven Augen und fragte mich „Warum er?“ Waren es zu viele Fragen in ihrem Kopf? oder Zu viel Neugier auf Eigenes Selbst? Dabei löste sie sich in seinem giftigen Chaos: er kam und ging, verschwand dann, wann sie ihn am meisten brauchte.

Und Tropfen nach dem Tropfen fiel die Enttäuschung und benebelte mich. Aus der verlorenen Kraft wuchs aufs neu der Wille. Sie sammelte sich wieder Korn nach dem Korn und baute eigene Mauer um sich herum und ich? Ich war ihre Schürze.

Es war Frühherbst. Eins von ihren goldenen Tagen, wenn der Präsenz von der Sonne noch so offensichtlich heiß ist. Sie saßen auf der Bank. Nach dem er schon wieder aus diesem oder jenem Grund verschwunden war, saß er neben ihr mit all seinem Charm und seinen Geschichten, seiner Vergesslichkeit und seinen Träumen. Sie sagte ihn: sie könnte so nicht mehr…Er machte einen Witz und wechselte das Thema, wie immer, jonglierte mit den Worten und lenkte sie ab. Sie ließ sich ablenken. Sie hörte einer von seinen tausenden Geschichten zu und ich spürte wie langsam trauriger und trauriger wurden ihre Augen, wie aufmerksamer ihr Blick wurde, wie sie offensiver sein Gesicht musterte, als ob sie ihn einprägen wollte. Als er sie beim Abschied fragte, wann sie sich wiedersehen würden, nahm sie mich weg, schaute ihn direkt in die Augen und sagte: nie…

Sie ging, ohne sich umzudrehen. Ich blieb auf der Bank weiter liegen und ich wusste das Kaninchen saß neben mir.

Mai mi scorderò di te
Ti scorderò solo per un giorno
Ti scorderò solo per tre settimane
Ti scorderò solo per sei mesi
Ti scorderò solo per due anni
Ti scorderò per sempre

31.05.2018

© 2021 Olga Kovalenko
Alle Rechte vorbehalten

Bisherige lyrische Veröffentlichungen:

– Gedichtzyklus „Lieder aus verborgenem Garten“ in der Literaturzeitschrift BAWÜLON, 2015;

– 2-malige Veröffentlichung in dem multimedialen Tagebuch „Schreiben in den Zeiten von Corona“, Literaturherbst Heidelberg, April 2020

– in der Anthologie „Herber Herbst“ bei Textgemeinschaft Oktober 2020

– in der Frankfurter Bibliothek „Gedicht und Gesellschaft 2021“, herausgeben von Brentano Gesellschaft, Dezember 2021

– online Literaturbotschaft der Heidelberger Autoren, im Rahmen der Aktion „Das Prinzip Hoffnung“ in Zeiten von Corona, Literaturherbst Heidelberg, Januar 2021