Am Abgrund

Von Franziska Rohrmoser

Lange war ich wie gelähmt. Gelähmt durch den bohrenden Schmerz in meiner Brust. Die klaffende Wunde, die du hinterlassen hast, als du gegangen bist. So plötzlich. Von Heute auf Morgen. Hatten wir doch alles geplant, jeden einzelnen Schritt zusammen. Ab wann war meine Liebe nicht mehr genug? Wo haben wir uns verloren? Unser gemeinsamer Weg war so leicht gewesen, doch schlagartig stand alles in Brand. Lange erkannte ich nichts mehr um mich herum, war völlig orientierungslos. Erst als der Rauch sich allmählich legte, sah ich das ganze Ausmaß deiner Entscheidung. Es war alles verbrannt, grau und trostlos: Ich schluchzte. Der erste Schock war langsam verflogen und ich realisierte, was geschehen war. Die Verzweiflung und der Schmerz saßen unbeschreiblich tief. Waren wir nicht eben noch von der schönsten Landschaft umgeben? Nun stand ich vor einem tiefen Abgrund. Es war ein Loch, welches du nicht nur in meinem Herzen hinterlassen hast. Es versperrte mir den Weg. Ich konnte nicht weiter gehen. Ich fiel auf meine Knie, denn meine Beine trugen mich nicht mehr. Die Wälder zu beiden Seiten waren verschwunden und meine ganze Welt lag in Asche und Staub. Hier saß ich nun für eine ganze Weile. Wie sollte ich jemals nach Hause finden? Wo gehörte ich denn jetzt hin. Völlig ratlos blickte ich in die Tiefe. Ich verharrte hier Tag für Tag, völlig regungslos. Die Zeit zog an mir vorbei, ohne dass ich sie so recht wahrnahm. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Immer wieder kam ich ins Grübeln, wie viele Monate wohl vergangen waren, seitdem du mich verlassen hattest. Doch ich hatte Angst genauer auf diesen Gedanken einzugehen. Was wenn schon Jahre vergangen waren? Doch eines Tages; Ich hatte es längst nicht mehr für möglich gehalten, spürte ich eine Veränderung in meiner Brust. Mein Herz, so tief die Wunden auch waren, es begann zu heilen. Langsam, sehr langsam, doch mit der Zeit merkte ich es. Die Qualen würden nach und nach etwas abklingen. Zum ersten Mal war ich deswegen zuversichtlich. Ich wusste es. Ganz plötzlich war es mir klar. Der Schmerz würde vergehen und heute war der Tag gekommen, der Moment für einen neuen Weg. Dieser Ort hier war meine letzte Verbindung zu dir, so hattest du mich zurück gelassen. Lange dachte ich deshalb, ich wäre nie bereit diesen Platz zu verlassen, doch zum ersten Mal, nach dieser langen Zeit, blickte ich auf. Auf der anderen Seite konnte ich neues Leben sehen. Der Boden schien sich erholt zu haben und blühte wieder auf. Doch ich kam nicht hinüber, du hattest mir den Weg, den ich gehen wollte, abgeschnitten. Ich nahm all meinen Mut zusammen und blickte hinter mich. Entgegen dem, was ich erwartet hatte, war auch hier wieder Leben entstanden. Oder war es immer hier gewesen und ich hatte es nicht sehen können, getrübt von all der Trauer, Angst und Enttäuschung. Neue Hoffnung wuchs in mir. Es konnte weiter gehen. Ich sah den Wald, sah wo ich sein sollte und wo ich war. Ich musste hier weg, um heilen zu können, um wieder aufzublühen, wie alles um mich herum. Ich nahm all meine Kraft zusammen und löste mich von dem tiefen Abgrund in mir. Einmal noch blickte ich hinunter in das tiefe schwarze Loch. Doch dieses Mal verzweifelte ich nicht. Ich ging nicht mehr kaputt. Mein Weg ging weiter, in eine ganz neue Richtung, eine die du nicht versperrt hast. Heute war der Tag gekommen: Ich versteckte mich nicht mehr. Ich nahm dir die Macht über mich, die du zu lange hattest. Nach langem Stillstand ging ich den nächsten Schritt, ganz ohne Dich. Ab jetzt gehe ich nur noch meine Schritte. Sie waren wackelig und oftmals noch schmerzerfüllt, doch ich ging sie. Schritt für Schritt, einen ganz neuen Pfad entlang. Ich war stark für mich. Stark auch ohne dich.

© 2022 Franziska Rohrmoser
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