Traumfänger

Von Regine Wendt

Nur ein paar goldene Blätter dümpeln noch an den Bäumen dieser Straße. Die anderen auf dem Gehsteig zu Dreck verkommen. Nebenstraße in dieser riesigen Stadt, nicht das beste Viertel, aber lebendig. Fensterfronten, empfunden grau.

Auf dem Gehsteig ein einzelner Damenschuh, rot leuchtend, der enorm hohe Hacken in Gold, hascht er nach Aufmerksamkeit. Zwei Männer, geben ihm einen Tritt, zurück in den Rinnstein, und verschwinden mit ihrem Bierkasten im Hauseingang.

Ich husche hinterher. Erstaunt über den Marmorboden im Hausflur, nach rechts ein Aufgang. Klasse, schon etwas abgenutzt. Trotzdem hier nicht erwartet. Noch eine Flügeltür zum Hinterhof, leicht beschädigt, aber mit Glaskunst. Farbenfroh mit dem durfallenden Licht. Neugierig hindurch! Der Hinterhof mit einer Bank, Mülltonnen und einem dürren Bäumchen. Viele Fahrräder. Dieses Haus noch grauer. Aus den Fenstern Musik, Sprachen mischen sich. Irgendwo Streit. Peng, fliegt etwas aus dem Fenster. Ich verschwinde hier lieber.

Wieder auf der Straße, der einzelne Schuh, blitzt er auf, rot mit dem endlos goldenen Hacken, Frech, vielleicht sogar verrucht, spielt schon meine Fantasie. Ruft er –Nimm mich-? Nichts treibt mich in die Enge, doch schon ist er in meinem Rucksack verschwunden, wohl behütet mit meinen Malsachen. Niemand beachtet mich, obwohl in Rot und Gelb gekleidet, unsichtbar unter vielen.

Schnell in die U-Bahn , erwartet mich zuhause Jan, mein fast Freund. Jedenfalls tut er so. Als ich den Schuh auspacke, Erstaunen, doch nicht deiner, na klar. Seit wann trägst du solche Nuttenschuhe. Geheim. Er hat es plötzlich eilig, hinfort und Ärger bleibt zurück. Könnte ich aufklären, aber ich sitze plötzlich übermütig auf einem schwarzen Ross. Sorglos frei.

Nachts wälze ich mich, nach kurzem Schlaf hin und her. Schlaflos bei Mondlicht. Drei Uhr, genau zur Wolfsstunde. Aufgestanden, hole ich den Schuh aus dem Rucksack, so schmutzig, wird er nun von mir gewienert. Glänzend das Rot, die Spitze mit kleinem Riss. Golden der Hacken, die Sohle fast wie neu. Wow, ein Einzelstück, passt er mir. Wie ein Storch hüpfe ich umher. Vor mir der Badspiegel schaue ich mit verzotteltem Haar heraus. Passt nicht, schnell gebürstet mit ein wenig Lippenstift und einem Hauch Parfüm aufs Nachthemd. Mein Gesicht ist alt, ich war mal jemand anders. Macht nichts, der Körper ist noch ok. Jetzt ohne Spiegel lässt sich die Haut leichter wechseln. Aber nun ab ins Bett, den Schuh stelle ich auf den Nachttisch, mein Traumfänger. Und schon schlagen die Gedanken Purzelbaum, bis der Vogel der Nacht sie einholt, umfängt und mit ihnen davonfliegt ins Grenzenlose.

Nein, der Schuh landet nicht im Müll, im Schrank hat er einen festen Platz. Neben dem anderen exquisiten Paar, Fetisch, Bettschuhe, sowas halt. Wem mögen die Stelzen einmal gehört haben. Ich werde sie nie tragen. Außer….

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