Von Monika Jarju
Die Eingangshalle ist voller Menschen und Stimmengewirr, ich zwänge mich durch die lange Schlange vorm Fahrstuhl zum Treppenhaus hindurch. Auf den Etagenfluren Kinder, aufrecht und ernst wie kleine Buddhas sitzen sie vor ihren ausgebreiteten Schätzen: pinkfarbene Püppchen und schillernde Scheiben, klitzekleine Figuren, Rinder und Schafe zierlich wie ein Zehennagel. Soweit ich den Kram überblicke, alles Plastik! Ich frage mich, ob sie den Krempel zu Weihnachten geschenkt bekamen. Auf Zehenspitzen bahne ich mir einen Weg, es bleibt nicht aus, dass mein Fuß an einer Quietsche-Ente hängenbleibt oder ein Zebra streift. Die Kinder murren, ein Junge wirft Legosteine nach mir. Endlich gelange ich in die obere Etage. Vor der offenen Saaltür Gedränge, da blitzt aus der Menge ein tomatenroter Anorak auf, im selben Moment sehe ich sein blasses Profil und glatt gescheiteltes Haar. Und ich erinnere mich der völlig unbefangenen Weise, mit der er mir in die Augen sah, als er mich zu der Neujahrsparty einlud. Er sieht mich nicht in dem Gewimmel. Meine Gestalt wird von Köpfen und Körpern verdeckt. Ich winke, rufe, die Menge drängt ihn hinein. Vor mir schließt sich die Tür. Hätte ich doch weitergeträumt, denke ich am Morgen, vielleicht hätte ich erfahren, wer dieser Mann ist und vor allem – wie!
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© 2022 Text & Bild von Monika Jarju
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