Mit angehaltenem Atem und klopfenden Herzen sahen die sich nervös die Hände reibenden Zuschauer zu. Genau auf diesen Moment warteten sie schon lange.
Der Morgen sah aus, als ob er in der sanften September-Sonne von Pune gebadet hätte. Das Khadki Fußball-Stadion hallte von lauten, aus voller Kehle schreienden Rufen wie „Go DIS!“ und „Come on Royal!“ wider. Es war das Finale der Pune Under-13 School Football Championship. Roshan Paranjape, Torhüter der Diamond International School, rückte seine Torwarthandschuhe, sein grünes Fußballtrikot zurecht und kaute an seinen Nägeln. Er wusste, wie wichtig es war, diesen Elfmeter zu halten. Die Anzeigetafel zeigte 2:1 zugunsten der DIS. Zum ersten Mal seit zehn Jahren hatte die DIS die Chance, den Titelverteidiger Royal National Academy (RNA) zu besiegen und die Meisterschaft zu gewinnen. DIS stand für Diamond International School – die Herausforderer – und Royal für Royal National Academy – RNA, die Titelverteidiger. Das RNA-Team, gekleidet in seine typischen kastanienbraunen Hemden, Socken und Shorts, stand auf der linken Seite des Feldes. Auf der anderen Seite das DIS-Team der Klasse VI in ihren stylischen dunkelgrünen Outfits. Roshan sah nach rechts zu den Fans seines Teams, einer lärmenden grünen Schar von Eltern und Freunden. Sie hatten ihre Wasserflaschen, Bananen, Energiegetränke und Elektrolyte – alles, was junge Athleten brauchten. Er sah seinen Baba (Papa) in einem grünen Polo-T-Shirt und Jeans, der das Geschehen auf seinem iPad aufnahm. Maa (Mama), die neben ihm saß und einen weißen Kameez und einen grünen Salwar (ein indisches Kleid mit Hose) trug, rief begeistert: „Los, Roshan!“ Komm schon, Roshan!“ Sie pfiff, zwei Finger im Mund. Pallavi, seine beste Freundin, die neben seinem Baba saß, schwenkte ein Plakat mit der Aufschrift „OST ODER WEST, DIS IST BESSER´ “. Er blickte nach vorne. Auf dem Spielfeld waren seine Freunde: Kapitän Harpreet, Chhota Sidhu, ihr bester Verteidiger Onam Kutty und der Rest des DIS-Fußballteams. Trainer Herr Shetty kaute an seinen Nägeln. Roshan sah die Anspannung in ihren Gesichtern. Er holte tief Luft und betete zu Gott.
Rishabh Keswani, der beste Stürmer von RNA, war bereit, den Elfmeter für den Titelverteidiger zu schießen. Rishabh hatte bereits mehr Tore im Sack als jeder andere im Turnier. „Los, Rishabh, los!“ Komm schon, Rishabh!“, riefen ihm seine Teammitglieder zu. Rishabh zerzauste seine normalerweise stilvolle, zurückgekämmte Frisur, die jetzt vom Schweiß ruiniert war, und rannte zum Ball.
Die Worte von Coach Shetty blitzten in Roshans Gedanken auf. „Bedenke, Rishabh erzielt die meisten seiner Tore in der oberen oder unteren linken Ecke, d.h. zu deiner rechten Seite.“
Roshan atmete tief und ging in die Hocke, die Nägel gruben sich in seine Schenkel. Das Publikum stand erwartungsvoll auf.
Schuss!
Er warf sich mutig und selbstbewusst nach rechts und stürzte neben den weißen Torpfosten. Die Zeit blieb stehen.
Als er aufstand, las er alles von Rishabhs Gesicht ab.
Seine Hände und sein Körper schmerzten von der Kraft von Rishabhs Schuss und dem Aufprall auf den Boden, aber das machte nichts, denn Schulkapitän Harpreet rannte auf ihn zu. „Herzlichen Glückwunsch, Lambu Das!“ schrie Harpreet, als er auf ihn sprang und ihn umarmte.
„Herzlichen Glückwunsch, Roshan!“
„Der beste Torhüter ist unser Roshan!“
Diese Slogans klangen wie Musik in seinen Ohren. Nach zehn Jahren hatte die DIS die Fußballmeisterschaft gewonnen. Coach Shetty trug später Roshan auf seinen Schultern und sie drehten mit dem gesamten Team eine Ehrenrunde.
Mit den Medaillen um den Hals, die ihnen bis zur Hüfte hingen, und der riesigen goldenen königlichen Trophäe in der Mitte versammelten sich alle für ein Gruppenfoto. Rishabh wurde mit dem Preis zum Torschützenkönig ausgezeichnet, während Roshan die Auszeichnung zum besten Tormann des Turniers mit nach Hause nahm. Die Eltern kamen und machten die obligatorischen Post-Match-Selfies.
Sie stiegen alle in den Bus ein, um die Schüler nach Hause zu bringen, und sangen unterwegs begeistert das Lied Ashayein aus dem Bollywood-Film Iqbal. Roshan fühlte, dass dies der beste Tag seines Lebens war.
Als er nach Hause zurückkam, machte sein Herz einen Sprung, als er den roten Skoda Octavia sah, der auf dem Parkplatz geparkt war. Maa war zur Abwechslung schon vor 19 Uhr zu Hause.
Baba und Maa saßen in Baba’s Heimbüro. Maa legte den roten, voluminösen juristischen Wälzer, den sie gerade studierte, beiseite und umarmte ihn fest.
„Gratuliere dir!“ sagte Baba und gab ihm ein High-Five und klopfte ihm auf den Rücken. Beim Abendessen gab es Puri, Amras und Batata Chi Bhaaji (eine Art indisches Brot, Mangopüree und Kartoffelsabji).
Mit leuchtenden Augen beschrieb er das Spiel. „Wir wussten, dass Rishabh unter Kontrolle gehalten werden musste, also hat unser Team ihn sehr gut markiert. Harpreet erzielte vor der ersten Halbzeit zwei Tore. Und dann erzielte Rishab ein Tor. Ich hatte mein Herz in der Hose bis zum Schluss. Der Elfmeter war so aufregend.“
„Harpreet hat zwei Tore erzielt, aber du hast noch viel mehr gerettet. Sardar und Asardar. Eine gewinnbringende Kombination“, witzelte Baba.
„In der Schule war ich sehr gut im Sport, Roshan. Immerhin… mein Sohn“, bemerkte Maa, während sie Roshans Kopf tätschelte.
„Basundhara Ghoshal Paranjape, du warst in jedem Schulfach die Beste, und sogar eine Sportmeisterin. Erinnere mich bitte mal, in welcher Schule warst du?“
Maa ignorierte Babas Kommentare und konzentrierte sich darauf, die Amras mit ihren schuppigen goldenen Puris aufzuheben. Aber Babas Gesicht zeigte, dass Maas Fuß und sein Bein sich berührten.
Roshan sah in die Gesichter von Baba und Maa. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
„Maa, wessen Gesicht habe ich? Deins oder Babas?“
Maa berührte vorsichtig ihr schwarzes Haar mit ihren silbernen Strähnchen und einem Pony – ihre neueste Frisur. Sie hatte dunkle, fettige Haut und war klein.
Baba kicherte und streckte seine dünnen, hellen Beine aus. Seine graugrünen Augen funkelten. „Warum musst du aussehen wie wir? Du siehst gut aus so wie du bist.“
Bevor er ins Bett ging, schaute er in den Spiegel. Ungestört schnaubte der Junge zurück. Obwohl es das gleiche Gesicht war, das er jeden Morgen sah, betrachtete er es in diesen Tagen immer öfter.
Scharfe Wangenknochen, dunkle Haut, krauses Haar und schokoladenfarbene Augen, die einen neugierigen, schelmischen Blick hatten, starrten ihn an. Ja, er, Roshan, offiziell Roshan Rishikesh Paranjape genannt, sah anders aus als seine Eltern – besonders sein Vater. Er hatte es viele Male gehört, in verschiedenen Tonlagen gesagt: neugierig, misstrauisch, boshaft und manchmal als Feststellung.
‚Du siehst anders aus‘.
Als er sich im Bett zusammenrollte, dachte er: Es war wahr. Ich habe weder das Gesicht meines Vaters noch das Gesicht meiner Mutter. Ich habe mein eigenes Gesicht, dachte er. Das war alles, was zählte.
Er schlief ein und träumte davon, indischer Torhüter in einem WM-Fußballfinale gegen Brasilien zu sein. Das Spiel wurde in Mumbai vor dem Premierminister und anderen Würdenträgern, den besten Bollywood-Schauspielern, Baba und Maa und natürlich Pallavi alias Palli ausgetragen, der die ganze Zeit energisch die indische Flagge schwenkte. Die Menge blies weiter lustvoll auf ihren Vuvuzelas. Die brasilianische Mannschaft wurde besiegt, da sie kein einziges Tor gegen Roshan erzielen konnte.
Alle Spieler erhielten Goldmedaillen, Trophäen und Jumbo-Schecks. Jedoch ein Sonderpreis war für Roshan reserviert. Der Premierminister überreichte Roshan den großen Preis „Spieler des Spiels“. Sie wogen Roshan auf einer riesigen Trage oder Thulabharam und gaben ihm dann einen riesigen, reichhaltigen Frucht- und Nussschokoriegel, der so groß und schwer war wie er. Ein Auto musste gemietet werden, um ihn nach Hause zu bringen. Ein super leckerer Traum.
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© 2022 Vikas Prakash Joshi
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Übersetzt von Aboli Patwardhan
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