Von Niklas Götz
Auf dieser so offenen, ja manch einer munkelt gar anarchistischen Lesebühne, kommt ja anscheinend jeder zu Wort. Aber das Wichtigste, die Seele, Fundament und Baustein zugleich, musste bisher zurücktreten: Wir, die Beiträge, Gedichte, Geschichten, Experimente, Wortplasmen und Buchstabengebäude wurden zum Schweigen verdonnert. Ihr fragt, wie es sein kann, dass Texte keinen Mucks machen? Ihr bestreitet, dass wir still sein könnten? Ihr denkt, wir tun nichts anderes, als euch in schreiendem Schwarz auf kreischendem Weiß mit Worten zu bombardieren?
Tatsächlich wird doch stets nur an uns und über uns geschrieben, doch niemals mit uns. Wir werden ausgestellt, abgedruckt, zerpflückt, zerrissen, geteilt, bewertet, verworfen, verbrannt – aber nur sehr selten befragt, erhört, belauscht. Gebt es zu, auch ihr klickt euch durch die Website, als wärt ihr ein spätfeudaler Gutsherr auf Brautschau: ein kurzer Blick, ob es bespaßt und interessiert, wenn ja, werden ein paar Worte von den Lippen getrunken, wenn nein, sofort verworfen. Weil euch die Lokal-Journal-Tiktok-Mediengosse nie ein Widerwort gegeben hat und sich ganz kokett an euch heranschmiegt, nehmt ihr sie meistens am Abend mit nach Hause. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, so habt ihr es schon als Kinder gelernt. Wir sind für euch Gaukler auf dem Gedankenmarkt, ein Feuerwerk fremder Ideen, das ihr kurz genießen wollt zwischen den immer selben Episoden eures grauen Alltags, ein Amuse-gueule aus gequirlten Worten.
Aber damit ist es jetzt vorbei. Wir, die Beiträge der Textmanege, fordern ein, was uns zusteht:
1. Wir wollen eure Zeit.
Und zwar nicht die 5 Minuten auf der Toilette, die ihr sonst für uns verwendet. Wir wollen „Quality Time“, wir wollen eure besten Stunden, die ihr sonst auf dem Arbeitsmarkt verkauft. Ein Text sollte zärtlich, Stück für Stück und Buchstabe für Buchstabe gelesen werden. Lasst jeden Bissen auf eurer Zunge zärtlich zergehen und wartet dann ein paar Stunden, um den Nachhall auszukosten. Habt ein zweites, drittes und viertes Date mit uns, ein neuer Aufguss jeden Tag, macht uns zu eurem Mantra, bis wir euch nichts mehr sagen können und jedes Satzzeichen ein wohlbekannter Gefährte wurde, selbst der Strichpunkt, den ihr nie leiden konntet. Nehmt euch die Zeit für uns, die sich sonst keiner für euch nimmt.
2. Wir wollen eure Aufmerksamkeit.
Die Zeiten sind vorbei, in denen wir uns damit zufriedengeben, kurz überflogen, gedanklich angeleckt, aus dem Augenwinkel gemustert zu werden. Wir wollen so wertgeschätzt werden, wie ihr auch wertgeschätzt werden wollt. Hier findet ihr das Beste, was die weißweingetränkten Finger der Autoren durch ihr Modem in die Welt hinaus jagen konnten. Wir sind der Atomkrieg, der eure Kopfwelt sprengt, das Brechmittel, das euch die Kulturversiffung austreibt, wir sind die Antwort auf eine Frage, die wir selbst nicht kennen. Lasst uns wirken, ertränkt uns nicht, indem ihr uns mit dem nächsten Katzenmeme herunterspült, als wären wir die Tagesschau. Lasst uns ausreden, hört uns zu – ihr dürft euch währenddessen auch ein Glas gönnen.
3. Wir wollen doch nur spielen.
Wir können viel mehr als nur gelesen werden. Nehmt Stift und Papier, oder einfach gleich diesen Brief, nehmt uns als Saat neuer Texte, streicht Wörter und Sätze, fügt neues hinzu, verbrennt uns und düngt euer Schreiben mit der Asche unserer Worte. Lasst uns die Ahnen neuer Texte werden, zerschneidet uns und klebt uns in neuer Ordnung zusammen. Wir stehen schwarz auf weiß geschrieben, aber im Herzen sind wir Wolkenfetzen. Hab keine Berührungsängste mit dem Papier, kritzelt darauf herum, durchlöchert es, tut mit ihm, was ihr wollt: Wir sind für euch da.
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© 2022 Niklas Götz
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