Biergarten mediterran

Von Michail Oblomow

August 2013. Der schlimmste Monat. Es ist drückend heiß in Barcelona. Die Stadtstrände sind überfüllt mit Touristen und Müll, ich bin zu träge um mich in einen Zug zu setzten und an den Strand nach Castelldefels zu fahren. Meine Wohnung – ohne Klimaanlage – zwingt mich auf die Straße. Nach vier Gehminuten, die sich wie eine halbe Stunde anfühlen, stehe ich auf der Plaza „Tripi“ – eigentlich Plaza George Orwell – und sehe, wie die Mossos gerade zwei vermeintliche Dealer abführen. Wenigstens scheint das Polizeiauto klimatisiert zu sein. Ich gehe weiter bis zur Via Laietana.

Die Sonne macht es mir nicht leicht, ich triefe vor Schweiß und suche nach Schatten. Eine Möwe lacht mich aus, als ich versuche, mich mit dem warmen Wasser aus einer Pumpe abzukühlen. Ich setze mich auf eine Bank im Born-Viertel, doch als eine Gruppe japanischer Touristen mich fragt, ob ich ein Foto von ihnen schießen kann, quäle ich mich hoch und verschwinde in einer Gasse, die für das Touristen-Auge wenig einladend aussieht. Hier gibt es Schatten, der Geruch nach Urin und Erbrochenem zieht mich aber schnell weiter. Zu schnell. Ich bin schweißgebadet und brauche jetzt ein kaltes Bier. Am Ende der Gasse sehe ich den Palau de la Musica. Bin ich schon so weit gelaufen?

Nach ein paar weiteren Metern stehe ich vor dem Antic Teatre. Meine Rettung. Mein Schatten. Mein Bier. Ich steige die kleine Treppe empor und finde mich auf einer Terrasse im Innenhof des Häuserblocks wieder. Von der Terrasse geht eine weitere Treppe abwärts in einen kleinen Garten mit Tischen unter einem großen Baum. Das Antic Teatre ist ein schöner Biergarten. Und obwohl die Touristen diesen Ort bereits kennen, kann ich hier in Ruhe Bier trinken und meinen Strindberg lesen. Kellner gibt es keine, die Getränke muss sich jeder in der Bar am Ende der Terrasse holen. Die Hippies am Tisch neben mir rauchen gemütlich einen Joint und niemanden interessiert es. Ich frage einen von ihnen, ob es noch mehr solcher Biergärten hier im Zentrum gibt. „Nein“, antwortet er auf Katalanisch, „wie diesen gibt es keinen weiteren. Aber nahe der Rambla gibt es einen versteckten Garten. Den Jardi de la Casa Ignacio de Puig“.

Ich trinke noch zwei Stunden lang Bier und mache mich dann auf die Suche danach: Wieder zurück über die Via Laietana, diesmal an der Kathedrale vorbei über die Plaza Nova durch Gänge und Gassen bis zur Calle de la Boquería 10. Die Abendhitze und das Gelaufe haben mich müde gemacht, das ganze Bier hat mein Blut allerdings abgekühlt. Ein bisschen betrunken stehe ich vor den Pforten des Jardi de la Casa Ignacio de Puig. Dass der Eingang in das Petit Palace Opera Garden Hotel führt, interessiert mich in der momentanen Gemütslage gar nicht, zumal ich den Garten schon durch die Glastüren der Hotellobby ausmachen kann. Ich betrete das Hotel, ignoriere den skeptischen Blick des Portiers am Empfangsschalter, stolpere durch die Glastür am Ende der Lobby und stehe auf einer Terrasse, die von zwei Schokoriegelautomaten und ein dutzend Plastiktischen bewacht wird. Hotelinventar. Gemütlich sieht das nicht aus. Ich erklimme eine Treppe und stehe auf einer Art Zwischendeck. Ein kahlköpfiger Engländer sitzt auf einem Sofa und trinkt Bier. Das sieht schon gemütlicher aus. Ich gehe an ihm vorbei und steige die letzte Treppe hinauf.

Bäume. Auf der linken wie auf der rechten Seite stehen Stühle auf einer Holzplattform, durch die Mitte des Gartens führt ein Weg zu einem tropfsteinähnlichen, ausgetrockneten Brunnen. Ich bin allein in dieser Bastion der Ruhe, schließe die Augen und atme tief ein. Und obwohl mir persönlich die Location und das kulturelle Angebot des Antic Teatres besser gefällt, freue ich mich darüber, einen so ruhigen Ort so nahe der Ramblas gefunden zu haben. Ich verlasse den Garten über einen Fahrstuhl, der in eine Seitengasse führt.

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