Von Lena Kelm
Harry, mein ehemaliger Kollege, ist gerade einundachtzig Jahre geworden, er hat das biblische Alter erreicht und vor kurzem sogar den Kampf gegen Krebs gewonnen. Ein Grund mehr, um seinen Geburtstag zu feiern. Das haben wir viele Jahre gemeinsam getan, nun geht es wegen Corona nicht. Meine Freude ist deshalb etwas gedämpft, Harrys bestimmt auch. Gleich werde ich ihn anrufen, gratulieren, und versuchen ihn ein wenig aufzumuntern. Das Ende der Pandemie steht bevor, werde ich sagen, und Harry wird wie immer einwenden, das liegt in Gottes Hand. Ich werde ihm nicht widersprechen. Auch ich bin ratlos, denn trotz Booster-Impfung kann ich mich jederzeit infizieren, aber darüber kein Wort zu Harry, sage ich mir und greife zum Telefon.
„Hallo, Geburtstagskind Harry, ich wünsche dir drei G!
Erstens: Gesundheit, du Kämpfer! Zweitens: Genieße alles, worauf du Lust hast und drittens: Möge dir alles gelingen!“
„Danke!“, erwidert Harry fröhlich.
Erstaunlich wie munter er klingt, das hatte ich nicht erwartet.
„Ich habe Hausarrest!“, sagt Harry vergnügt.
„Und darüber freust du dich?“
„Na klar, ich habe Corona!“, verkündet Harry.
Sein triumphierender Tonfall verschlägt mir die Sprache.
„Ich muss vierzehn Tage zuhause bleiben, darf keinen Müll raustragen und nicht einkaufen gehen, also, mir geht es blendend – und dir?“
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© 2022 Lena Kelm
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