#Insta-Chick#

Von Sandra Engelbrecht

Brillant sei ich, twittern die Meisten.
Purer Abschaum, keifen die Dreisten.
Wie grell entfaltet sich mein Anderssein.

So selbstverloren im Grunde,
sitze ich hier in einsamer Runde.
Der Zweifel schenkt mir ein: Glas um Glas roten Wein.

Und öffnet sich mir dabei eine Pforte,
frage ich: Verbreite ich die wahren Worte?
Oder bin ich entstiegen einem Gruselbuch?

Vielleicht irrt sich mein Kopf, der stets so Weise.
Vielleicht verwehen meine Töne still und leise,
wie ein blass flatterndes Leichentuch.

Prostituiere mein Leben für Insta-Chick,
versteht doch, ich brauch‘ jeden einz’gen Klick.
Und wenn’s sein muss, geh ich auch mit nem Nashorn saufen.

Bin die Eintagsfliege in eurem Flashback.
Sollt ich nicht die Finger lassen vom Hashtag?
Lautlos im dichten Nebel untertauchen?

Werd ich nicht abgelöst von einem neuen Stern?
Bald schon daumt‘ hoch man mich nicht mehr gern.
Kein Fähnchen im Wind wird sich nach mir drehen.

Auf TikTok hab ich abgestunken.
Bis zum Halse in der Scham versunken,
Amygdala krümmte sich vor Eröffnungswehen.

Mich vom synthetischen Fangnetz entmagnetisieren.
Trieb mich dazu einen Sitz im Nachtzug nach Berlin zu reservieren.
Freund, schenk mir ein,
ein weiteres Glas Rotwein!

In meinem Kopf klebt eine Prothese,
die mir blockiert die algorithmische Synthese.
Mein Hirn dampft wie eine Lokomotive.

Und da krieg ich auch schon den Kick,
für den nächsten Shot auf Insta-Chick.
Die Promille zwingen mich in die Offensive.

Die Lippen geschürzt, der Ausschnitt rutscht tief,
weg mit phlegmatischem Alltagsmief,
post ich ein Selfie von Charly and me.

Anmerkung: Charly ist ein Wellensittich im Nilpferd-Kostüm. Mein Sitznachbar, im Nachtzug nach Berlin.

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© 2022 Sandra Engelbrecht
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