Neues vom Jobcenter

Von Rolf Jungklaus

Seit dem Frühsommer 2020, also nach dem ersten Corona bedingten Lockdown, bin ich „Kunde“ beim Jobcenter Neukölln. Doch erst seit Anfang 2021 bin ich offiziell Arbeit suchend. Schon ziemlich schnell meldete sich gleich im darauf folgenden Januar mein erster Arbeitsvermittler. Dieser zählt nicht zu den Sachbearbeitern, die mich schriftlich zur Mitarbeit auffordern, mir Bewilligungsbescheide schicken, meine Widersprüche ablehnen und die mir je nach dem mal 3,15 € mehr bewilligen oder 2,14 € monatlich von meiner Grundsicherung kürzen. Nein, ein Arbeitsvermittler steht auf meiner Seite und möchte mir helfen, wieder in Arbeit zu kommen. So hat er mir gleich im ersten Gespräch ein Eingliederungsgeld angeboten und dies auch gleich in meiner Akte notiert. Bei Bewilligung erhält mein zukünftiger Arbeitgeber bis zu zwei Jahre lang maximal die Hälfte meines Gehalts vom Jobcenter. Ja, das könnte in der Tat bei Bewerbungen helfen.
Rund ein halbes Jahr später meldete sich dann Arbeitsvermittlerin Nr. 2 bei mir. Sie bot mir nun einen Gutschein für ein persönliches Einzel-Coaching an, welches Motivationstraining, Zusammen-stellen von Bewerbungsunterlagen, Proben von Bewerbungsgesprächen und dergleichen beinhaltet. Das hatte ich damals abgelehnt, weil ich schon vor rund zehn Jahren in den Genuss eines solchen Coachings gekommen war und mir zur Auffrischung nur den entsprechenden Ordner schnappen müsse, und weil ich der Meinung war, eine feste Anstellung zum Jahreswechsel so gut wie sicher in Aussicht zu haben. Daraus wurde dann aber doch nichts.
Wieder ein halbes Jahr später, also im Januar 2022, meldete sich dann Arbeitsvermittlerin Nr. 3. Auch diese bot mir den Gutschein für ein Coaching an. Dieses Mal sagte ich zu. Erstens kann eine Auffrischung nicht schaden, zweitens bin ich nicht mehr auf dem neuesten Stand, was beispiels-weise Bewerbungsschreiben oder Kleiderordnung beim Vorstellungsgespräch angeht und drittens erwartete ich mir Impulse für die konkrete Jobsuche. Also in welchen Funktionen oder Branchen ich mich noch bewerben könne und was auf dem Arbeitsmarkt gesucht wird, was man verdienen kann und ob ich der Richtige bin.
Nun bekam ich vom Jobcenter zwei Schreiben: den Gutschein für einen Träger meiner Wahl und eine Einwilligungserklärung, die ich unterschrieben zurücksenden sollte. Im letzteren stand neben meinen Rechten und Pflichten inklusive den möglichen Sanktionen bei Nichtbefolgung auch, wie das Jobcenter mich bei der Jobsuche unterstützen würde. So könne ich mich werktags jeden Morgen um halb fünf im Hof des Jobcenters einfinden, um mich als Tagelöhner auf einer Art Sklavenmarkt den Mastern anzubieten. (Kein Witz!) Und dann gab es noch so eine Institution: ein Center für Selbstauskunft. „Das guck ich mir doch mal an“, dachte ich mir.
Gesagt, getan. An einem schönen, sonnigen Nachmittag ging ich zum Kindl-Boulevard zwischen Hermannstraße und Mainzer Straße in Neukölln. In dieser Einkaufspassage, die schon bessere Tage gesehen hat, befindet sich zwischen einem Copyshop und einem Supermarkt der Eingang zum Jobcenter. Hier stehen mal zwei, mal drei Sicherheitsleute im Eingangsbereich herum. Einer von ihnen fragte nach meinem Begehr, kontrollierte meinen Impfnachweis nebst Personalausweis und zeigte mir anschließend den Weg zur „Selbstauskunft“. Ich ging also durchs Treppenhaus in den ersten Stock. Dort angekommen, stand ich in einer größeren Halle mit einer Art Empfangstresen mit drei dahinter sitzenden Mitarbeitern, von denen ich nicht sagen konnte, womit sie dort beschäftigt waren. Vielleicht haben sie tatsächlich etwas für jeden sichtbar zu tun, wenn nicht gerade Pandemie ist. Außer den Menschen hinter dem Tresen wuselten auch hier einige Sicherheitsleute ohne erkennbare Aufgabe umher. Einen von ihnen sprach ich an und fragte erneut nach der besagten Selbstauskunft. Zunächst wusste er gar nicht wovon ich spreche, dann führte er mich aber höchst persönlich, damit ich mich nicht verlaufe, zu einer offen stehenden Tür, die gleich um die Ecke lag und wies mit der Hand hinein. Er hielt dann einen Moment lang inne und fragte mich, ob ich in Beschäftigung oder arbeitslos wäre. Auch ich stockte daraufhin ein wenig, weil mir der Sinn der Frage nicht einleuchtete. Nachdem ich mich als arbeitslos zu Erkennen gegeben hatte, erklärte er mir, dass es ihm leid täte, denn Arbeitslose hätten nur bis 10.30 Uhr Zutritt. Da war ich platt. Verwundert sah ich in den Raum hinein. Der hatte etwa 30 qm Fläche und war menschenleer – abgesehen von zwei Mitarbeitern, die wiederum, diesmal jedoch hinter einer Glasscheibe – an einem langen Tresen saßen. Ich sah sie an und sie sahen mich an. Niemand sprach ein Wort. Dann blickte ich zur Wand zu meiner Linken, wo Jobangebote an der Wand hingen, und die ich mir ansehen wollte. Das war ja immerhin der Grund meines Kommens.
Da stand ich also im Türrahmen eines leeren Zimmers, sah auf die Angebote und durfte nicht hinein. Das war absurd. Ich überlegte mir, dass diese Angebote wohl auch irgendwo online stünden und ich sie mir auch in Ruhe und zuhause ansehen könne. Also fragte ich den Wachmann, ob er denn wisse, ob die dort hängenden Angebote aktuell seien. Er antwortete: „Ach, die hängen da schon ewig.“ Ich sah ihn an, dann sah ich wieder zu den beiden Menschen hinter dem Tresen. Niemand sagte etwas. „Ich sollte gehen“, dachte ich mir. Also lächelte ich den Sicherheitsmann an und verabschiedete mich umständlich. Schräg hinter uns befanden sich zwei Rolltreppen, die wieder ins Erdgeschoss führten. Ich fragte, ob ich sie benutzen dürfe. Nachdem das bejaht wurde, ließ ich den Wachmann stehen und ging auf die Rolltreppen zu. Beide führten ausschließlich nach unten. Komisch, dass mich das nicht gewundert hat.

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