Antonias“ stürmische Botschaft

Von Lena Kelm

Auf meinem Balkon tobt „Antonia“. Tannenzweige und Nadeln fliegen durch die Luft. Ich beobachte den dritten Sturm in dieser Woche vom Sofa aus, im warmen Raum. Und freue mich, nein, nicht über den Sturm, der viel Schaden anrichtet und sogar Menschenleben kostet. Ich muss heute nicht zur Arbeit! Mein Kollege Ralf bat mich, den Dienst zu tauschen, er ist jetzt unterwegs. Auch er ist nicht mehr der Jüngste und Antonia keine nette Frau, die ihm begegnet. Wünsche ihm in Gedanken einen guten Weg. Abends soll der Sturm nachlassen, dann wird er außer Gefahr sein.

Mein Telefon klingelt. Ralf meldet sich. Ich ahne Schlimmes.

„Du glaubst nicht, was mir passiert ist“, sagt Ralf.

Wurde er von einem Ast getroffen? Meine Phantasie ufert aus. Er aber redet schon weiter in seiner humorvollen Art.

„Stell dir vor, ich steige aus der U-Bahn, gehe wie immer an dem Wachposten der Botschaft vorbei, und der grüßt mich zum ersten Mal! Vielleicht war er froh bei dem Wetter einen Fußgänger zu Gesicht zu bekommen? Dann wirft mich eine Böe um, zwingt mich in die Knie, nirgends kann ich mich festhalten. Plötzlich reißt der Sturm mir die Schirmmütze vom Kopf. Ich sehe noch, wie die immer weiterfliegt. Als ich mich mit Ach und Krach – das hättest du sehen sollen – aufrichte und meiner schönen Mütze nachrenne – pass auf, was passierte – sehe ich mit Schrecken, wie meine Mütze hinter der Mauer der Botschaft verschwindet! Das geht mir durch Mark und Bein, kannst du mir glauben. Meine Mütze ist auf das Territorium eines fremden Landes eingedrungen! Der Wächter ist nicht mehr zu sehen. Ob der mir die Mütze geholt hätte? Ich musste mich beeilen, in zehn Minuten begann meine Schicht. Hoffte nur, heil anzukommen.“

„Mensch, Ralf, zum Glück ist dir nichts passiert!“

„Aber meine Lieblingsmütze ist weg.“

„Deinen Humor hast du aber nicht verloren.“

„Aber die Mütze sehe ich nie wieder“, klagt er.

„Ralf, stell dir vor, die Botschaft würde nun wegen Grenzverletzung anhand der DNA nach dir fahnden? Man könnte dich glatt für einen Agenten halten!“

Ralf lacht. Und ich stimme erleichtert in sein Lachen ein.

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