Balbo im Kunstmuseum Solothurn

Von Hans Peter Flückiger

Wie sehne ich mir das Ende dieser Ausstellung herbei. Gut, im Depositum der Thurgauischen Kunstgesellschaft vor mich hinzudämmern ist auch nicht immer ein Vergnügen. Aber was ich als Leihgabe hier im Kunstmuseum Solothurn erlebe, ist definitiv zu viel des Guten.

Schon vor dem Mittag fängt der Rummel an. Zu der Zeit kommen die ersten Besucher. Von da an kehrt bis gegen Abend keine Ruhe mehr ein. Richtig schön wird es, wenn um 17 Uhr die schwere Türe des Museums ins Schloss fällt und endlich Ruhe einkehrt. Selbstverständlich scheint das aber auch nicht mehr zu sein. Manchmal kommen sie jetzt noch abends. Wie einmal pro Monat zum Event Kunst und Schreiben. Werweissend, räsonierend stehen sie dabei im Halbrund um mich herum, bevor das grosse Kritzeln beginnt.

Klar, ich verstehe es, dass alle immer zu mir kommen. Ich bin ja auch eine der stattlicheren Figuren hier im Haus. Gut, im Obergeschoss ist noch ein Hodler-Helgen von unserem streitbaren Nationalhelden Tell, und vorne im ersten Saal ist noch ein bunter – nicht Hund, sondern Vogel. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der ausgestopft. Wohl ein Erinnerungsstück von einer Safari in den Tropen oder so.

Dann stehen die Leute vor mir und schauen mich an. Sagen: «Schaut, dieser tolle Bäri.» Mit Bello werde ich auch tituliert. Ich habe aufgehört, die Leute darauf hinzuweisen, dass man auf der Bildbeschreibung – von mir aus gesehen rechts an der Wand – nachlesen könnte, wie heisse: Balbo. Gut, zu erklären, wie man auf einen solchen Namen kommen kann, ist auch kein Vergnügen.

Und all die Neunmalklugen. Es kam schon vor, dass sich Betrachter fragten, ob dieser Bäri, Bello, Balbo oder wie er heisst, depressiv sein könnte. Was vielleicht mit dem langen Aufenthalt im Depositum der Kunstgesellschaft im Zusammenhang stehen könnte. Andere mäkeln an meinem Schwanz herum. Ob ich überhaupt reinrassig sei. Bei dem Schwanz könnte einer meiner Altvorderen doch auch gut ein Biber gewesen sein. Weiteren gefallen meine Beine nicht. Ein Tierarzt «diagnostizierte» kürzlich, das seien klar Zeichen einer Überzüchtung. Ich leide vermutlich an Gelenkdysplasien.

Und du, der du bald eine Stunde vor mir sitzest? Ich denke, es ist jetzt besser wenn du gehst. Ich will jetzt definitiv meine Ruhe.

Gute Nacht.

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© 2022 Hans Peter Flückiger

Alle Rechte vorbehalten

Quelle Bild: Balbo, auf der Wiese liegend, 1955, von Adolf Dietrich (1877-1957), Öl auf Pavatex, 90×101 cm, Depositum Thurgauische Kunstgesellschaft. Ausstellung Tiefenschärfe, Kunstmuseum Solothurn, 29.01.-24.04.2022

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