Nachts klingelt das Telefon

Von Michael Wiedorn

Ein Klingeln. Was klingelt? Eine weite Landschaft. Blaue Berge am Horizont. Felder und Äcker – grüne, rote, braune Flächen. Ich bin wach. Das Telefon läutet. Es läutet und ich starre es schlaftrunken an. Zu einer starren Leiche versteinert. Jemand will mich bedrohen. Die Vorhänge vor den weit geöffneten Fenstern bauschen sich im herein wehenden Nachtwind auf. Von der Straße her scheint das Licht der Straßenlaternen. Ein Schuss zerschmettert die Stille der Dunkelheit. Ein Drohanruf in der Nacht. Immer das Klingeln. Blut breitet sich über die Landschaft aus. Die Felder und Äcker – grün und ocker – verfärben sich schmerzensrot. Die blauen Berge am Horizont. Ein weggeworfener Revolver. Das Telefon läutet wieder. Ich reiße die Augen auf und starre den lärmenden Apparat an. Die Störung im Schlaf. Es ist jemand in Not und ich soll ihm helfen. Der Kommissar springt schlaftrunken aus dem Haus um zum Tatort zu eilen. Ein Mord. Ein blutiger Mord. Ein Schrei tief in der Nacht. Tief falle ich in die brandenden Wogen des Schlafes. Ich hebe ab und aus der Hörmuschel brandet das Meer. Der leuchtende Vollmond erhellt einen menschenleeren Strand. Wellen fluten ans sandige Ufer und ziehen sich wieder zurück und stürmen wieder ans Ufer. Aus dem Fernsprecher tönt ein ruhiges Atmen. Einatmen und ausatmen und einatmen. Ich schlafe in ruhigen Rhythmen. Ein Schuss zerreißt die Ruhe. Blaue Berge am Horizont. Am Himmel Wolken aus brennendem Orange. Einige Stellen sind azurblau. Woanders türkis. Der Tag bricht an. Weite Grasflächen aus Braun und Grün – durchbrochen von rötlich braunem Gesträuch. Ich bin hier fremd und irre über das Gras und suche den Heimweg. Ein Schrei. Ein immer lauter werdender Schrei. Ohrenbetäubend. Das Telefon läutet. Meinen Schädel zertrümmernd. Der Nachtwind bläht die Vorhänge auf. Von draußen das Licht der Straßenlaternen.

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© 2022 Michael Wiedorn
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