Der Herr Baron

Von Johannes Morschl

Onkel Toni, der Mann von Tante Rosa, der jüngeren Schwester meines Vaters, war der einzige in unserer Familie, der eine gewisse Berühmtheit erlangte, – keine große Berühmtheit, aber doch eine kleine Berühmtheit, die auf seiner Beziehung zum Theater und seinen Verdiensten dafür beruhte. Es geht dabei um ein ganz bestimmtes Theater in Wien, mit dem er fast noch mehr als mit Tante Rosa verheiratet war, wenn man Heirat als schicksalshafte Bindung ansieht. So widmete ihm die Zeitung Neues Österreich in der Ausgabe vom 25. Dezember 1959 eine ganze Seite mit der Überschrift: „Jubilierendes Faktotum der ‚Josefstadt’: Der Mann, der für Max Reinhardt fuhr – Anton Horvath beging offiziell sein fünfunddreißigstes ‚Bühnenjubiläum’ und wurde heimlich sechzig Jahre alt …“ Mit Josefstadt war nicht der 8. Wiener Gemeindebezirk namens Josefstadt gemeint, sondern das Theater in der Josefstadt, in Wien auch kurz die Josefstadt genannt. Es ist ebenso wie das Deutsche Theater in Berlin eng mit dem Namen Max Reinhardt verbunden. Die Geschichte der Josefstadt, die 1788 begann, wäre einen historischen Roman wert, denn sie ist an sich ein solcher. Darin müssten die Volksdichter und Schauspieler Ferdinand Raimund und Johann Nestroy, die aus Dresden stammende Schauspielerfamilie Thimig, das Theatergenie Max Reinhardt, aber auch gleichsam hinter den Kulissen Onkel Toni vorkommen. Dass es in der Zeitung hieß, Onkel Toni „wurde heimlich sechzig Jahre alt“, hat die Bewandtnis auf sich, dass er ungern sein wirkliches Alter verriet. Da er jünger aussah, als er in Wirklichkeit war, konnte man ihn als 60-jährigen auch gut und gerne für zehn Jahre jünger halten. Dass die Zeitung von einem „Bühnenjubiläum“ Onkel Tonis unter Anführungszeichen schrieb, sollte darauf hinweisen, dass die Josefstadt die Bühne seines Lebens war. Er war kein Berufsschauspieler, ein Schauspieler des Lebens aber durchaus.

Über den aus einer jüdischen Familie aus Baden bei Wien stammenden Max Reinhardt, für den Onkel Toni zehn Jahre als Chauffeur gearbeitet hat, ließe sich sehr viel sagen, doch kann ich hier nicht alles aufzählen, was er als Theaterregisseur, Theatergründer, Theaterleiter und Schauspiellehrer in Wien, Berlin, Salzburg, New York und Hollywood geleistet hat. Es ist schon so viel über ihn geschrieben und gesagt worden. Um es kurz zu machen: Er war neben dem Russen Konstantin Sergejewitsch Stanislawski der bedeutendste Theaterreformer in der Zeit nach 1900. Er war mit einer schier unglaublichen künstlerischen und organisatorischen Energie aufgeladen. Er pendelte zwischen Wien und Berlin hin und her, leitete unter anderem das Deutsche Theater in Berlin (1905 bis 1930) und die Josefstadt in Wien (1924 bis 1937), also ein paar Jahre gleichzeitig. Mit seinen Inszenierungen wurde er in andere europäische Länder, nach Russland (vor dem Ersten Weltkrieg) und in die USA eingeladen. 1923 übernahm er das Theater in der Josefstadt und ließ es von Grund auf erneuern, wobei die Erneuerung nicht nur die Innenarchitektur und Bühnentechnik, sondern auch die Inszenierungen und die Schauspielkunst betraf. Nach dem Vorbild des venezianischen Teatro La Fenice verwandelte er die Josefstadt in „eins der schönsten Theater der Welt“, wie Robert Musil 1924 schrieb. Finanziert wurde das Projekt von Camillo Castiglioni, einem aus Triest stammenden reichen jüdischen Kunstförderer, der auch die Salzburger Festspiele finanzierte, die Reinhardt 1920 gemeinsam mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauß gegründet hat. 1924 wurde die Josefstadt unter Reinhardts Leitung wiedereröffnet.

Max Reinhardt und die Josefstadt wurden zu Onkel Tonis Schicksal, Tante Rosa natürlich auch. Sie ertrug ihn mit all seiner Sonderlichkeit. Sie liebte ihn, auch wenn sie manchmal über ihn spottete. Nur einmal waren die beiden eine Zeit lang getrennt, fanden aber bald wieder zusammen. Onkel Toni arbeitete von 1924 bis 1934 als Chauffeur von Max Reinhardt. Danach wurde er von der Josefstadt als Faktotum eingestellt. Faktotum ist jemand, der alles macht, ein sogenanntes Mädchen für alles, wobei Onkel Toni kein Mädchen war, sondern allen mehr oder minder attraktiven jungen Frauen hinterher. Und das wurde mit zunehmendem Alter immer schlimmer. Vielleicht war das der Grund, warum Tante Rosa und er eine Zeit lang getrennt waren. Tante Rosa meinte spöttisch, je älter er werde, umso jüngeren Frauen schaue er hinterher, wie denen am Lido von Venedig oder auf der Strandpromenade von Portoroz in Istrien, wo die beiden ihre Urlaube verbrachten. Aber ich glaube, er blieb Tante Rosa im Grunde seines Herzens immer treu.

Onkel Toni war ein gutaussehender Mann, etwa Einsfünfundsiebzig groß, schlank, muskulös, ausdrucksvolles Gesicht und dunkles Haar. Er roch nach besserem Rasierwasser und war immer tadellos gekleidet. Als meine Eltern 1941 heirateten, lieh er meinem Vater einen Anzug für die Hochzeit, da mein Vater sich damals keinen leisten konnte. Im Theater und in den Lokalen, in denen er verkehrte, sprach man ihn nur als „Herr Baron“ an. Zu diesem Titel kam er aufgrund eines Gerüchts, er sei der uneheliche Sohn von Max Reinhardt und einer ungarischen Gräfin. Ursprünglich sagte man sogar „Herr Graf“ zu ihm, doch nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Gerücht mit Reinhardt und der Gräfin als seinen Eltern nicht der Wahrheit entsprach, wurde er zum „Herrn Baron“ herabgestuft. Dieser Titel blieb ihm bei den Leuten, die ihn kannten, bis zu seinem Tod erhalten. Selbst meine Eltern sagten, wenn sein Besuch ankündigt war, freilich nicht ganz ernst: „Heute kommt der Herr Baron.“ Das bedeutete für sie, seinen Lieblingswein zu kaufen und beim Kochen und Auftischen des Essens besondere Sorgfalt walten zu lassen, denn er war sehr wählerisch.

Auch wenn er von seinem Auftreten her durchaus als Graf oder Baron durchgehen konnte, war er alles andere als blaublütig. Er wurde im Dezember 1899 in Ungarn, – wo genau, weiß ich nicht mehr -, als uneheliches Kind einer in armen Verhältnissen lebenden Frau geboren. Horvath ist der Familienname seiner Mutter. Ob er seinen leiblichen Vater überhaupt gekannt hat, weiß ich ebenfalls nicht. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass er ihn jemals erwähnt hat. In der letzten Phase des Ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig zur K.u.k-Armee, denn da gab es wenigstens etwas zu essen. Als er nach dem Untergang der Monarchie nach Hause kam, schmiss ihn seine Mutter wieder raus. „Ich kann dich nicht durchfüttern, ich hab’ selbst nichts zu essen“, soll sie gesagt haben. Daraufhin machte er sich nach Wien auf, um dort sein Glück zu versuchen. Es muss diese Armutserfahrung gewesen sein, die ihn etwas knausrig werden ließ. Wenn Tante Rosa meinem Bruder und mir Taschengeld gab, ermahnte sie uns, ihm nichts davon zu erzählen. Manchmal merkte er es aber und sagte dann zu ihr: „Guntschi (das war sein Kosename für Tante Rosa), gibst du den Kindern schon wieder Geld? Gib’s lieber mir. Ich bin ein armer Hund.” Tante Rosa, – nicht auf den Mund gefallen, denn um neben ihm bestehen zu können, durfte sie nicht auf den Mund gefallen sein -, antwortete: „Aber geh, du armer Hund, bei dir kriegt’s eh nur das Kaffeehaus.“ Er ging nämlich gerne ins Kaffeehaus, wo er mit Bekannten Karten spielte.

Was Onkel Toni vor 1924 in Wien gemacht hat, ist mir nicht bekannt. Als er zu Beginn des Jahres 1924 eine neue Arbeit suchte, bekam er zwei Angebote, zwischen denen er sich entscheiden musste: Eines als Kellner und eines als Chauffeur. Erst wollte er als Kellner im Café de l’Europe am Graben in der alten Wiener Innenstadt anfangen. Doch da hätte er immer bis Mitternacht Dienst gehabt. Also entschloss er sich, als Chauffeur bei Max Reinhardt anzufangen, beim Herrn Professor, wie Reinhardt tituliert wurde (ein Titel, den dieser 1909 vom Herzog von Sachsen-Coburg verliehen bekommen hat). Einen Führerschein machte Onkel Toni gleich nach dem Ersten Weltkrieg. Den zu machen, war damals noch einfach, das ging an einem Tag. Den Dienst beim Herrn Professor trat er an jenem 1. April 1924 an, als das umgebaute Theater in der Josefstadt mit der Reinhardt-Inszenierung der Komödie Diener zweier Herren von Carlo Goldoni wiedereröffnet wurde. Bei Reinhardt dauerte der Dienst allerdings oft nicht nur bis Mitternacht, sondern manchmal bis vier oder fünf Uhr in der Früh. Dass Onkel Toni trotzdem blieb, lag zum einen an seiner guten Beziehung zu Reinhardt, und zum anderen daran, dass er als Chauffeur von Reinhardt jemand war. Als Kellner wäre er ein Niemand geblieben.

Onkel Toni und Reinhardt hatten sich schnell aneinander gewöhnt. So gegen zwölf Uhr mittags holte Onkel Toni mit seinem Dienstauto, einem Daimler, Reinhardt von dessen Wohnung ab und fuhr ihn ins Theater. Dort schaute er bei den Proben zu, die Reinhardt leitete, und fuhr ihn dann abends zu Leuten wie dem Schriftsteller und Theaterkritiker Felix Salten, der als Verfasser des anonym erschienen Pornoromans Josefine Mutzenbacher gilt, oder zu dem Schriftsteller und Dichter Franz Werfel, oder zu Camillo Castiglioni. Bei Salten blieb Reinhardt in der Regel nicht länger als bis Mitternacht, bei Werfel konnte es etwas später werden, und bei Castiglioni blieb er bis in die frühen Morgenstunden.

Wenn Reinhardt ein neues Theaterstück aufgeführt hat, sagte Onkel Toni, „Wir haben das Stück gegeben“, also gleichsam Reinhardt und er. Der um 26 Jahre ältere Reinhardt war für Onkel Toni die große, bewunderte Vaterfigur, gleichsam der idealisierte Ersatzvater. Über viele Leute vom Theater zog Onkel Toni her, aber über Reinhardt ließ er nichts kommen. „Der Professor Reinhardt war ein Herr, durch und durch“, pflegte er zu sagen, und das war das höchste Lob, das er jemals übe einen Menschen ausgesprochen hat. Reinhardt und er verstanden sich fast wortlos und teilten sogar abergläubische Rituale. Onkel Toni musste heimlich kleine Heubüschel in den Innentaschen von Reinhardts Jackett verstecken, und wenn Reinhardt dann irgendwo unterwegs die Heubüschel entdeckte, strahlte er übers ganze Gesicht, denn sie bedeuteten für ihn Glück. Dafür schenkte er Onkel Toni Hufnägel, die wiederum diesem als Glücksbringer galten. Diese Symbiose führte allerdings auch zu Eifersüchteleien zwischen Onkel Toni und anderen Reinhardt nahestehenden Personen. Die Schauspielerin Helene Thimig aus der berühmten Schauspielerfamilie Thimig misstraute Onkel Toni, und er fand sie hochnäsig und zickig. Da sie damals Reinhardts Lebensgefährtin war, – später wurde sie seine zweite Ehefrau (die erste war Else Heims, Schauspielerin am Deutschen Theater in Berlin) -, musste Onkel Toni wohl oder übel mit ihr auskommen.

Reinhardt wollte 1933 nach der Machtergreifung der Nazis nicht mehr in Berlin arbeiten. Möglich wäre es gewesen, da ihm die Nazis die „Ehren-Arierschaft“ angeboten hatten, doch er verzichtete auf diese „Ehre“. 1933 übergab er die Direktion der Josefstadt an Otto Preminger. Nach Preminger folgte 1935 Ernst Lothar. Bis 1937 blieb Reinhardt offiziell noch Leiter der Josefstadt, hielt sich aber teilweise schon in den USA auf. 1938 emigrierte er dann mit seiner Familie in die USA, wo er in Hollywood eine Schauspielschule gründete und in New York Theaterstücke inszenierte. 1943 starb er im Alter von 70 Jahren an einem Schlaganfall in Folge eines Hundebisses.

Nach Reinhardt chauffierte Onkel Toni keinen Theaterdirektor mehr. Aber er blieb der Josefstadt erhalten. Er erzählte später über diese Zeit: „Wie der Professor dann weg war, bin ich vom Theater übernommen worden, so als Mädchen für alles. Das war eine schwere Zeit, … nicht so wie heute, wo jeder Bühnenarbeiter ein Herr ist. Geld war vor allem keines da. Der Sekretär hat die Putzfrauen in die Lotterie setzen geschickt, aber gewonnen haben wir nie. Ich hab mir bei der Bank in der Johnstraße, wo ich gewohnt hab’, am Freitag immer einen Hunderter ausgeborgt, damit er auszahlen kann, am Montag hab ich ihn wieder zurückgetragen, wenn’s am Wochenende gut besucht war.“

1938, nach der von nicht wenigen, aber nicht von allen Österreicher*innen bejubelten zwangsweisen „Heimkehr ins Reich“ versteckte Onkel Toni das Archiv von Reinhardt auf einem Dachboden in der Piaristengasse, einer Seitengasse des Theaters, obwohl es von den Nazis den Befehl gab, das Archiv des Juden Reinhardt zu verbrennen. Später erzählte er über die Kriegszeit: „Im Krieg ist eigentlich nicht viel passiert. Nur eine kleine Brandbombe haben wir gehabt. Da war ein bissl ein Feuer auf der Bühne, aber ich hab’ gleich Sand drauf getan und so ist nix geschehen. Vom Propagandaamt hab’ ich dann einen Orden bekommen. Dass ich, als wir an Berlin angeschlossen wurden, das ganze Archiv nicht verheizt sondern am Dachboden vis à vis vom Theater versteckt hab’, haben die ja nicht gewusst. Und wenn, hätt’ ich dafür sicherlich keinen Orden bekommen.“ Das war die typische Erzählweise von Onkel Toni: Alles ein bisserl heruntergespielt, etwas sarkastisch und mit einem Anflug von Fatalismus. Dabei ist ihm die Gefahr durchaus bewusst gewesen. Er war zwar ein unpolitischer Mensch, doch die Nazis waren ihm zutiefst zuwider. Goebbels hatte die Josefstadt auf dem Kieker und bezeichnete sie drohend als „KZ auf Urlaub“.

Der 1938 von den Nazis eingesetzte Theaterdirektor Heinz Hilpert war früher der von Reinhardt eingesetzte Oberspielleiter am Deutschen Theater in Berlin. Ab 1938 leitete Hilpert so wie einst Reinhardt sowohl das Deutsche Theater, als auch die Josefstadt. Von Hilpert heißt es, er habe sich bemüht, dem Geiste seines Lehrers Reinhardt treu zu bleiben, soweit dies damals möglich war. 1943, nach Reinhardts Tod in New York, organisierte Hilpert gemeinsam mit den Schauspielern Hermann und Hans Thimig, den Brüdern von Helene Thimig, in der Josefstadt eine Trauerfeier für Reinhardt. Das war damals ein mutiger Akt. Hans Thimig hatte in der Nazizeit darauf geachtet, dass die Josefstadt möglichst nazifrei blieb, und dies ging natürlich nur im Einvernehmen mit Hilpert. Hilpert wurde nach Kriegsende als Theaterdirektor der Josefstadt abgesetzt.

Unter den verschiedenen Theaterdirektoren nach Reinhardt führte Onkel Toni alle möglichen Aufträge aus. So berichtete er: „Für den Professor Stoß hab’ ich dann am Telefon immer die Schauspieler fürs Engagement suchen müssen. Den will ich und den und die, hat er g’sagt, und wenn ich gefragt hab’ wo die sind, hat er g’sagt: ‚Was weiß ich?’ Ich hab’ sie aber immer alle gekriegt, und zwar ohne die Agenten, weil dann hätten wir ja Prozente zahlen müssen, und das wollten wir ja nicht.“ Einmal holte man ihn sogar auf die Bühne. Man brauchte einen Darsteller für eine kleine Nebenrolle mit einem Kurzauftritt und überredete ihn, diese Rolle zu übernehmen. Trotz höllischen Lampenfiebers machte er seine Sache tadellos. In seinen Augen konnte keiner der nach Reinhardt gekommenen Direktoren diesem das Wasser reichen. Teilweise kannte er sie von früher, wie zum Beispiel den Hofrat Haeussermann, als der noch zu den Regieassistenten Reinhardts bei den Salzburger Festspielen gehörte. (Die Direktoren Stoß und Haeussermann prägten die Josefstadt von den 50er bis in die 70er-Jahre). Selten lobte er einen Nachfolger Reinhardts, und das auch nur aus pekuniären Gründen. Verschmitzt lächelnd erzählte er: „Der beste Direktor war der Hilpert. Nicht der allerbeste, so einen gibt’s nicht, aber der beste. Wie er das Theater übernommen hat, hat er mich gefragt, was ich verdien’, und dann was draufgegeben.“

Ich vermute, einer seiner Gründe, sich nach Reinhardts Weggang von der Josefstadt anstellen zu lassen, war, mit dem abwesenden Reinhardt verbunden zu bleiben, so als müsse er in Reinhardts Auftrag auf die Josefstadt aufpassen. Onkel Toni war der Erste, der nach 1945 das gegen Kriegsende stillgelegte Theater wieder betrat und die Wiederaufnahme des Theaterbetriebs in die Wege leitete. Nachdem er Jahre später pensioniert wurde, schaute er noch oft beim Theater vorbei. Zu einem Jubiläum der Josefstadt bekam er einen goldenen Ehrenring geschenkt, auf dessen Vorderseite die Bühne der Josefstadt und auf dessen Rückseite das Porträt von Max Reinhardt eingraviert ist. Nach seinem Tod ist der Ring an mich gekommen. Als Onkel Toni gestorben ist, kamen viele Leute zu seinem Begräbnis. Die meisten hatten etwas mit der Josefstadt zu tun oder zu tun gehabt. Und wahrscheinlich war unsichtbar auch Max Reinhardt dabei, um ihn in den Theaterhimmel zu holen, denn auch der Himmel ist Theater.

Ich mochte Onkel Toni, auch wenn er mit uns Kindern, meinem Bruder und mir, nicht viel anzufangen wusste. Tante Rosa und er hatten keine Kinder. Irgendwie war er selbst ein Kind geblieben, ein großes Kind mit Wiener Schmäh, und seinen Schmäh hat er nie verloren, auch als er im Alter einen Herzschrittmacher bekam und nicht mehr rauchen durfte. Den jungen Frauen schaute er bis zuletzt hinterher, worüber sich Tante Rosa bis zuletzt lustig gemacht hat. Ich hör sie noch heute im Theaterhimmel, wo die beiden jetzt zusammen sind, zu ihm sagen: „Geh, du alter Depp, glaubst, die jungen Weibsbilder woll’n was von dir?“

Quellen:

Franz Hitzenberger: „Der Mann, der für Max Reinhardt fuhr“, Artikel in der Zeitung Neues Österreich vom 25. Dezember 1959, herausgegeben in Wien

Die „Josefstadt“, Farbbeilage der Zeitung Wochenpresse Nr. 6 vom 7. Februar 1979, herausgegeben in Wien

Max Reinhardt – „Ein Theater, das den Menschen wieder Freude gibt“ –
Eine Dokumentation, herausgegeben von Edda Fuhrich und Gisela
Prossnitz, Wien: Langen Müller 1987

Persönliche Erinnerungen und Recherchen im Internet

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