Von Carmen Schmidt
Seit einiger Zeit hatte Detlef Baumann seine Liebe zum Bürgerpark, speziell zur Minigolfanlage, entdeckt. „Bewegung in frischer Luft ist doch ein schöner Ausgleich für unsere sitzende Tätigkeit“, erzählte er seinen Arbeitskollegen, die ihn verwundert ansahen, wenn er strahlend von seinen sportlichen Wochenenden am Montag ins Büro kam. Bisher hatte er sich an den Grundsatz von Winston Churchill gehalten: „First of all – no sports.“
Doch insgeheim wusste er, dass die Gründe für seine veränderte Einstellung woanders lagen.
Der wahre Grund hieß Melanie Lindner. So stand es auf dem Namensschild an ihrem Kittel, den sie beim Verkaufen im Kiosk der Minigolfanlage trug. Sie hatte braune Haare, blaue Augen und einen blassen Teint. Baumann schätzte sie auf Mitte Dreißig, also gut zehn Jahre jünger als er. Einen Ehe- oder Verlobungsring konnte er nicht entdecken. Das Faszinierendste an ihr war der Mund: schön geschwungene Lippen, die sich niemals zu einem Lächeln verzogen, auch nicht zu einem geschäftsmäßig freundlichen. Nach und nach begann Baumann, sich in Gedanken mit der traurigen Verkäuferin zu beschäftigen. Wo lag der Grund für ihre Melancholie? Oder war sie einfach nur ewig schlecht gelaunt, weil ihr der Job keinen Spaß machte.
Jeden Tag erwischt er sich dabei, mit den Gedanken bei ihr zu sein und seinem Job geringere Aufmerksamkeit zu schenken. Jeden Samstag nahm er sich vor, ihr beim Kaffee- und Eiskauf ein Lächeln zu schenken.
2
Doch kaum hatte er die Anlage betreten, fühlte er sich seltsam beklommen. Er lieh sich einen Schläger aus, kaufte seinen Kaffee, absolvierte langsam seinen Parcours.
Dann kamen die Osterfeiertage. Am Sonntag erwachte er gut gelaunt und beschloss, es heute zu wagen. Etwas Originelles würde ihm schon einfallen. An der Tankstelle erstand er einen goldenen Osterhasen. Er stellte sich an das Ende der Schlage und rückte geduldig vor. Der letzte vor ihm war ein Hüne in Lederjacke und Lederhose.
„Bitte“, sagte Melanie.
„Ich hätte gerne einen Kaffee, ein belegtes Brötchen und ein Lächeln von Ihnen zu Ostern.“
Baumann schnappte nach Luft. Das war fast sein Spruch! Nun musste er mit ansehen, wie sich ihre Wangen rosig färbten. Sie schaute auf den Kerl vor ihm und lächelte tatsächlich. Für einen Moment schien es Baumann, als lächelte sie an dem Kerl vorbei direkt in seine Augen. Sie erschien ihm plötzlich wunderschön.
„Stehen Sie mal hier den ganzen Tag und bedienen die Leute, da würde Ihnen das Lächeln auch schwer fallen.“
Baumann ließ den Osterhasen verlegen in seiner Hosentasche verschwinden. Wieder nichts!
Einige Wochen später fühlte er sich bereit für einen zweiten Anlauf. Melanie Lindner beschäftigte ihn noch immer. Dieses Mal würde er aufs Ganze gehen: kein Vorgeplänkel wie Kaffee kaufen oder Schläger leihen. Er würde ihr einen Schoko-Maikäfer schenken, sie angrinsen wie der Hüne und „Bitte ein Lächeln“ sagen.
3
Entschlossen reihte er sich in die Warteschlange ein. Dieses Mal schien kein Konkurrent ihm die Show zu stehlen. Als er endlich an der Reihe war, hob sich sein Magen vor Aufregung.
Der Maikäfer hatte seine ursprüngliche Form durch die Wärme der Hosentasche etwas verloren, aber das war auch schon egal. Er hörte ihre Stimme – jetzt oder nie. Mit klopfendem Herzen, aber fester Stimme sagte er seinen Spruch und reichte ihr den lädierten Käfer. Verdutzt sah sie ihn an.
Dann geschah das Wunder: ihre Wangen färbten sich rosa, sie verzog den Mund, zeigte ihre schönen Zähne und lächelte nur für ihn.
Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus. „Das war es für heute“, strahlte er.
Sie nickte: „Dann bis morgen“. „Ja, bis morgen“.
Als er sich umdrehte, lächelte sie noch immer.
Auf dem Heimweg musste er sich zwingen, nicht laut zu singen
oder in Triumphgeheul auszubrechen.
Vielleicht würde er sie übermorgen zum Essen einladen, das wäre dann der nächste Schritt.
„Que sera, sera“, summte er und schritt beschwingt nach Hause.
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