caesars ritt nach uxellodunum

Von Heinz Erich Hengel

eigentlich sind die aduatucer keine großen krieger. sie kämpfen nur, weil sie gegen caesar kämpfen müssen. auf seinem kriegszug gegen die aduatucer muss sich der imperator vorher noch um die treverer kümmern. und kümmern heißt bei caesar kämpfen. den treverern eilt der ruf großer tapferkeit voraus. in der tat bringen sie die römischen legionen zum schwitzen und in schwere bedrängnis.
caesar im getümmel, jegliche deckung nutzend und trachtend, eher nach hinten als nach vorne zu kommen. titus labienus bemächtigt sich eines teiles des feindlichen lagers, strategisch optimal auf einem erhöhten standort gelegen. vorhut wird zu nachhut, reiter zu infanteristen, feldzeichen gehen verloren. wenn feldzeichen verloren gehen, so ist dies ein großes übel, ein böses omen. verloren gegangene feldzeichen sind schlimmer als umgekommenes fußvolk. da auf einmal, mitten im getümmel & chaos, passiert etwas außergewöhnliches, mit dem niemand rechnet und auch nicht gerechnet hat. sozusagen das worst-case-szenario in einer schlacht:
ein vom pferd gefallener oberbefehlshaber. kein blut und keine wunde, große panik. caesar liegt am boden der gallischen erde, die numidier sind in auflösung davon gelaufen, rundherum treverer; der kern ihres heeres in einiger entfernung. glücklicherweise sehen die treverer nicht, dass caesar vom pferd gefallen ist und am boden liegt. offiziere stehen ratlos daneben. was nicht besonders auffällt, da sie dies ohnehin zumeist tun. adjutanten salutieren vor den offizieren. die reiterei des leibarztes und seiner assistenten rückt in eiligem galopp auf ihren pferden heran.
ein großer krampfanfall, diagnostiziert der arzt erregt. kein wunder, bestätigt quasi caesars assistent; klagt er doch über unwohlsein und anhaltende kopfschmerzen. mehr als gereizt ist er noch dazu, mischt sich caesars pferdeknecht ein. eigentlich alles egal, knurrt der arzt; jedenfalls ist er durch fallsucht vom pferd gefallen; sonst läge er nicht hier. und zu seinem medizinisch-technischen assistenten gewandt, der allerdings nur seinen kollegen vertritt und selbst zahntechniker ist, ungeduldig: bring mir meinen behandlungskoffer und das enzephalogramm. caesar liegt, mit armen & beinen zuckend, bewusstlos am boden. minuten vergehen; eine, drei, mehrere. wie ist seine atmung?, fragt ein unteroffizier. ich bin gerade beim untersuchen, antwortet der arzt gereizt und genervt. haltet abstand, schreit er dann. sollen wir ihn nicht an einen anderen ort bringen? nein, keinesfalls! versucht nicht, ihn an seinen zuckungen zu hindern. öffnet ihm seine kleidung am hals. der arzt untersucht, misst, injiziert, therapiert. nach dieser therapie scheint der patient eingeschlafen zu sein. bringt ihn in seitenlage, ist die ärztliche order.
unglaublich, was fehlerhafte elektrische entladungen der nervenzellen im gehirn hervorrufen können, geht es dem medizinassistenten durch den kopf. zu erhöhter krampfbereitschaft müsse aber eine genetische voraussetzung gegeben sein; vielleicht der vater oder die mutter. glücklicherweise hat er sich durch den sturz vom pferd nicht verletzt; und die zunge ist anscheinend auch in ordnung. tragischer weise könne einer epilepsie nicht vorgebeugt werden. vielleicht sollte caesar doch weniger alkohol trinken. die nebenwirkungen der mittel könnten bei derartigen kampfhandlungen ja auch zum problem werden. wer könne schon geschwächt & müde mit kopfschmerzen und migräne sowie magen-darm-leiden kämpfen?; noch dazu mit konzentrationsstörungen (amor sei dank keine erektionsstörungen). reizbarkeit sei ja beim imperator ohnehin an der tagesordnung. tegretol, leptilan, luminal, tegretal – auch egal; die beste medizin: liskantin und simotin, epanutin, maliasin oder suxinutin. träumst du?; steh nicht herum und pack mit an!, schreit der arzt seinen assistenten an. wir sind im land der aduatucer, und nicht in dem der träume. der junge medizintechniker zuckt zusammen und tut wie ihm befohlen. im stillen denkt er, dass der ganze krieg zum kotzen ist…
wie durch ein wunder bewegt sich die kampflinie weg vom ort des tragischen zwischenfalls und dreht sich quasi um neunzig grad. nachdem es die situation zulässt, trägt man caesar so schnell als möglich auf einer bahre weg ins nahe gelegene zeltlager der römer. ein schluck prickelnder römerquelle erquickt den patienten. glücklicherweise ist es abend und die kampfhandlungen somit bis zum nächsten morgen eingestellt. üblicherweise ist dies zumindest der fall. krieg spielt sich zum wohle aller in der regel nur untertags ab, nächtens ist ruhe angesagt. ruhe selbst im kampf. ein krieg scheinbar ohne stress; und wenn er jahre dauert. doch darauf kommt es nicht an. zeit spielt offenbar keine rolle. oder zumindest so lange nicht, bis die statthalterposition abläuft. zuerst die nachtruhe, dann das winterlager. sowohl bei dunkelheit als auch während der kältezeit sind die kampfhandlungen eingestellt. der krieg muss jedenfalls vor genannter frist siegreich für rom beendet sein. das ist eine ungeschriebene selbstvorgabe bzw. -vereinbarung. koste es, was es wolle. und wenn das ende über eine million tote gallier sind…
am nächsten morgen ist caesar wieder voll ins leben zurückgekehrt; so als wäre am vortag nichts gewesen. reden will er darüber schon gar nicht. ein imperator darf nicht krank sein. kranksein ist schwäche; und schwäche bedroht kampf & krieg. beim jupiter: krieg ist der vater allen daseins. caesar ist mit der gallien-aktion jahrelang beschäftigt. maximal ein monat im jahr verbringt er in rom. offensichtlich geht er dort niemand ab. seine selbstverwirklichung heißt gallien. es hat ihn hier aber niemand gerufen. er reitet durch die weiten, ebenen, berglandschaften, wiesen, felder und wälder. bei seinen exkursionen fallen ihm zahlreiche eichenwälder ins auge; mit trauben- und stiel- teils zerr- und flaumeiche. einmal durch ein weites waldgebiet reitend, fallen ihm zwei nicht zu übersehende besondere baumarten auf: die stechpalme und die eibe. wahrscheinlich ein stechpalmen-eichen-wald mit taxus-ausprägung auf podsol, geht es caesar durch den kopf. weiter reitend gelangt er auf einen südhang mit zusätzlich kastanie sowie hasel, weniger eibe und einem strauchartigen baum – der mispel. zuerst eine kurze irritation mistel <> mispel, doch dann ist alles klar: eine steinobstfrucht. auf einer granithochfläche geht der eichenwald über in einen buchen-eichen-mischwald mit zahlreichen zwergsträuchern.

in einem thermophilen traubeneichenwald macht caesar unter birken rast. er schickt seinen adjutanten auf erkundung: auf feuchtem unterhang eschen-stieleichen-wald, auf lehmboden traubeneichen-mischwald, eventuell gibt es auch eine kalkvariante. auf pseudogleyboden bergahorn, mit esche und schwarzerle. auf karbonat neigt der eichen-hainbuchen-wald zu starker variation. zumeist auf armen, sandigen standorten stockt birken-eichen-wald. wahrscheinlich ist die birken-dominanz anthropogen bedingt, denkt caesar. und so ist es auch.
dann eines tages auf halber strecke zwischen einem zerreichen- und flaumeichen-mischwald in den vorgelagerten vorbergen der zentralen ausläufer des aquitannischen bergwaldes passiert es: caesar fällt – wieder einmal – vom pferd: ein epileptischer anfall. verschwommen sieht er birken, buchen, stechpalmen, kastanienbäume, linde und buchs neben eichen und nochmals eichen: ist er in einem fago- oder betula-quercetum?
ein kleiner anfall – petit mal, sagt der per pferd herbeigeeilte leibarzt des diktatorischen imperators. wahrscheinlich ein fokaler anfall, fügt er hinzu. und tatsächlich: zuerst zuckungen in der gesichtshälfte und rechten hand, sich über die rechte körperhälfte bis in die füße ausbreitend. bringt das pferd weg!, schreit der adjutant. warum erledigt er es nicht selbst? haltet ihn nicht fest; und versucht nicht, ihn an seinen zuckungen zu hindern – ruft der arzt den umstehenden zu. sollen wir ihm nicht seine kleidung öffnen?, fragt ein in der nähe stehender soldat. ja freilich, brüllt da der arzt. warum schreien sie so laut?, fragt ein offizier den mediziner. dieser schweigt; und ist offensichtlich intensiv mit seinem patienten beschäftigt.
durch den sturm der letzten nacht gelockert, fällt ein ast eines baumes zu boden. zerr- oder flaumeiche? räumt die äste weg, befiehlt da ein reiter. wer hat hier die befehlsgewalt?, schreit der zweite offizier in die runde. hoffentlich kommt kein zweiter anfall, denkt sich der arzt im stillen.
bring ein leptilan oder sixinutin, sagt der arzt gehetzt zu einem in der nähe stehenden soldaten; oder ein zentropil, fügt er nervös hinzu. der neben dem soldaten stehende offizier wiederholt die order des mediziners. dadurch erlangt die order den status eines befehls. der vorgesetzte befiehlt dem untergebenen. der ober sticht den unter. in der hektik des geschehens verwechselt der offizier sixinutin mit simatin und leptilan mit liskantin. der einfache soldat eilt zum begleitenden feldlazarett. gefragt, was er brauche, hat er sowohl das eine wie auch das andere und das dritte vergessen.
als er zu der gruppe zurückkommt, liegt caesar noch immer am boden. seine augen schauen in die eichenkronen. der soldat weiß nicht, ob es sich um weiß-, rot- oder schwarzeichen handelt. oder sind es etwa erlen: rote – schwarze – grüne? er hat je eine packung luminol, dulcolax und orfiril mitgebracht. der dr.med.arzt nimmt zwei tabletten aus irgendeiner packung, ohne zu schauen aus welcher, löst sie in einem wasserbecher auf und reicht diesem den adjutanten. dieser bemüht sich dann, dem inzwischen schon aufrecht am boden sitzenden caesar die medizin zu verabreichen.
glücklicherweise erholt sich der imperator bald wieder und nach einiger zeit reitet der tross weiter; durch lusitanischen eichenwald sowie montane eichen-waldgesellschaften und galicischen stieleichenwald mit korkeiche. da auf einmal taucht eine reiterschar am horizont auf. bald stellt sich heraus, dass es römische reiter sind. und zwar eine abordnung von julius crassus – dem bruder von publius crassus – der irgendwo in aquitanien auf caesar wartet, um den krieg beginnen zu können; den caesar mit einer legion zu den aulercern, coriosoliten, essuviern, osismern, redonen, venellern und venetern entsandt hat, um diese zu besiegen. der truppführer überbringt caesar die nachricht, all diese völkerschaften seien unterworfen und in römische gewalt gebracht worden.
als caesar diese botschaft hört, scheint es ihm gleich noch besser zu gehen. seine fahle gesichtsfarbe weicht einem süffisanten & zynischen lächeln. bis uxellodunum ist es trotzdem noch weit, hört man den ersten offizier murmeln. caesar scheint das gemurmel entweder nicht zu hören oder zu negieren. was ohnehin das beste ist.
von den eichen sollst du weichen, die buchen sollst du suchen, die linden sollst du finden, die tanne hält dich in banne. so kommt es dann auch, das caesar im fazebok drei bäume postet: buche – tanne – linde. die eiche ist nicht dabei. was die kelten verärgert. und sie daher – wohl verständlicherweise – nicht auf den like-button drücken.
endlich trifft caesar beim vereinbarten treffpunkt mit p. crassus zusammen. wobei vorher durch ein missgeschick der eine links mit rechts und der andere rechts mit links verwechselt. da beide den gleichen analogen fehler begehen, gleicht sich dieser glücklicherweise aus und die treffpunktörtlichkeit ist gesichert. salute maximus imperatore, ruft dieser dem anderen entgegen. caesar steigt vom pferd, beordert den pferdeknecht, sich um dieses zu kümmern, gibt seinen adjutanten einige anweisungen, brüllt mit den reitknechten herum, wendet sich dann zu crassus und sagt nur in herrischem ton:
die würfel sind gefallen! lasst uns ins horn stoßen und aufbrechen. zeit ist kostbar. ich habe derer für diesen feldzug nur begrenzt zur verfügung. aquitanien muss vor dem kommenden winter gefallen sein! (dadurch ist die kriegsdauer vorgegeben). worauf warten wir noch? die strategie heißt erstürmung & unterwerfung…
crassus salutiert und caesar gibt den abmarschbefehl. crassus hält einen sieg über aquitanien als wahrscheinlich. für caesar ist ein solcher nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher. alle wahrscheinlichkeitsberechnungen laufen auf eine siegreiche unterwerfung aquitaniens bzw. einen sieg der römer hinaus. warum man dies wissen könne?: weil dies sowohl die laplacesche als auch die newtonsche und poissonsche formel bestätigen würden.

und so ist es dann auch: nicht nur die würfel sind gefallen, sondern auch aquitannien – und später ganz gallien.

(in der geschichte ist julius caesar der große held & imperator; in wahrheit hat er millionen tote, verwundete, vertriebene und geflüchtete gallier auf dem gewissen)

[Entn. aus: H.E. Hengel, Caesar in Facebook. Ein römisch-gallisches On- & OffLine-Abenteuer. Unveröffentl.]

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