Das Geschenk

Von Claudia Dvoracek-Iby

Nachdem ich auch diese Nacht wieder von bösen Träumen gequält wurde, sitze ich nun dementsprechend gerädert Gustav gegenüber, dem frisch Rasierten, dem Munteren, der mir Marmelade auf den Toast streicht, der mich anlächelt, der nicht zu ahnen scheint, dass er die sechste Nacht in Folge umgebracht worden ist, und der leider nicht die Feinfühligkeit besitzt, mir zuliebe seine gute Laune ein wenig zurückzuschrauben, sondern der sie im Gegenteil mittels beschwingtem Pfeifen förmlich um sich sprüht, was für mich kaum erträglich ist. Um wie viel lieber wäre mir doch jetzt ein negativer Gleichklang zwischen uns, ein gemeinsames Grundeln auf tiefem Schlechte-Laune-Boden.
Mein Blick fällt wie so oft in den letzten Tagen auf den Auslöser unseres Stimmungs-Ungleichgewichtes, auf Julias silbernes Geschenkpaket, bleibt am I-Tüpfelchen, der blitzblauen Seidenmasche, hängen.
„Etwas Selbstgemachtes zu eurem ersten Hochzeitstag“, hat sie, Gustavs kleine Nichte, vor nun genau sieben Tagen verkündet, und „Tu´s nicht!“ hat Gustav geschrien, als ich sogleich an der blauen Schleife gezogen habe, um an das Wesentliche zu kommen.
„Öffne es bitte nicht, Susanne“, hat er mit belegter Stimme und tatsächlich zu Tränen gerührt gefleht. „Genauso ein wunderschönes Paket – Silberpapier, blaue Masche – habe ich mir als Kind gewünscht und nie bekommen, und jetzt, viele Jahre später, steht es vor mir! Weißt du, wie ergreifend das für mich ist? Ich möchte mich noch eine Weile daran erfreuen, bevor wir es öffnen.“
Was soll man dazu sagen? Ich habe nichts gesagt, habe nur stumm zugesehen, wie er es verträumt lächelnd vorsichtig aus meiner Reichweite und auf das oberste Regal neben den Porzellanhund seiner verstorbenen Großmutter gestellt hat.
Seitdem steht es da oben und provoziert mich.
Seitdem bin ich schlecht gelaunt.
Seitdem halte ich Gustav nicht mehr aus.
Seitdem bringe ich ihn jede Nacht um.
Die Art und Weise, wie er liebevoll das Paket betrachtet, wie er zart lächelt, wenn er jeden Tag sanft zu mir sagt: „Morgen öffnen wir es, Susanne, heute bitte noch nicht“, verursacht diese Albträume, in denen ich zum Beispiel vor seinen entsetzten Augen genüsslich und brutal die Schachtel aufreiße, den unbekannten Inhalt – irgendetwas Zerbrechliches, Verletzliches – zu Boden werfe und darauf herumtrample – und in denen das Ding, das ich tottrample, plötzlich kein Ding mehr, sondern Gustav ist.
„So, heute ist es so weit!“ unterbreche ich grimmig sein fröhliches Pfeifen.
„Was ist so weit, Schatzi?“
Ich deute zu dem Paket.
„Ach..“, sagt er.
„Was heißt da ‚ach‘! Du, mir reicht`s jetzt! Seit einer Woche schau ich dir dabei zu, wie du ein ungeöffnetes Paket anhimmelst.“
„Ungeduldig, gierig, gemein ..“ höre ich Gustav murmeln, als ich mich auf die Zehenspitzen stelle und die Schachtel vom Regal nehme, an der breiten, blauen Schleife zerre und ein Messer aus der Küchentischlade nehme, um damit das Paket zu öffnen.
Aber Susanne, doch nicht mit dem Speckmesser!“ schreit Gustav auf, langt über den Tisch, um mir das Paket zu entwenden, hält es nach einem kurzen, heftigen Gerangel mit mir in seinen Händen und starrt dorthin, wo zuvor die blaue Masche geprangt hat und wo nun senkrecht der Griff des Messers herausragt, dessen Schneide vollends in der Mitte des Pakets versenkt ist.
„Oh!“ bin ich ehrlich erstaunt. „Wie ist denn das passiert?“
Gustav antwortet nicht, sein Gesicht ist blass, sein Mund verkniffen, seine Finger zittrig, als er vorsichtig das Messer aus dem Paket zieht, behutsam das Silberpapier löst, dieses sorgfältig auf dem Küchentisch glattstreicht, langsam den beschädigten Deckel der nun grauen Schachtel öffnet, hineinsieht – und dann mich ansieht, tieftraurig.
„Du hast mich umgebracht“, sagt er leise.
„Jetzt übertreibe nicht! Das Messer hat dich nicht berührt. Ich kann mir selber nicht erklären, wie es in das Paket fallen konnte.“
Wortlos schiebt Gustav Julias Paket zu mir. Ich sehe hinein. Zwei mich anlächelnde kleine Puppen liegen da Hand in Hand auf Watte gebettet. Es sind Miniaturen von Gustav und mir. Eine hat wie ich blondes Haar, die andere trägt ein typisches blaues Gustav-Hemd. Das Hemd ist aufgeschlitzt, in dem entblößten papierenen Oberkörper klafft ein langer tiefer Riss. Er stammt eindeutig von dem Messer aus meiner Hand. Erschrocken erinnere ich mich an einen meiner Albträume, in welchem ich Gustav auf dieselbe Weise getötet habe.
Ich wage nicht, ihn anzusehen, weiß ich doch, wie abergläubisch er ist, wieviel Bedeutung er in derartige Vorkommnisse legen und wie sich dies auswirken kann. Vor einigen Wochen, als mir der Porzellanhund, den Gustav abgöttisch liebt und der mich beinahe ebenso nervte wie dieses soeben unabsichtlich zerstochene Paket hier, als mir eben dieser Hund versehentlich beim Abstauben hinuntergefallen und ihm beim Aufprall der linke Porzellanfuß abgebrochen ist, hat sich Gustav wenige Stunden später seinen linken Fuß verstaucht, was seiner Ansicht nach nur aufgrund meines Missgeschickes passiert ist. – Nicht auszudenken, was ihm in wenigen Stunden nach meinem Messerstich passieren könnte ..
„Ich wollte dich nicht töten“, bereue ich flüsternd und möchte die nach einem Mord einzig logische Konsequenz durchführen, greife nach dem Speckmesser, und nur Gustavs blitzschnelle Reaktion, mit der er es mir aus der Hand reißt, kann verhindern, dass ich es meinem winzigen Ich in den Leib ramme.

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© 2022 Claudia Dvoracek-Iby
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