Schulschluss, rein in den Bus

Von Regine Wendt

Einmal in der Woche fahre ich mit den Bus an der Solling-Schule vorbei. Die Schüler stürmen den Bus.

Vorn, gleich neben dem Fahrer sitzt ein Junge. Ca. 13 bis 14 Jahre alt. Sein Haarschnitt fällt auf, hier hat sich ein grober Dilettant versucht. Wie eine Statue sitzt er, den Blick fest geradeaus, erstarrt. Nach einigen Fahrten bemerke ich seine Angst, hier passiert Ungutes oder sogar Gefährliches. Dieser Platz ist sein Schutzplatz, direkt neben dem Fahrer kann keine körperliche Gewalt passieren.

Während der Busfahrt kommen immer wieder Gleichaltrige im Imponiergehabe zu ihm, lachen höhnisch laut und sagen etwas, was ich nicht verstehen kann. Wichtig ist dabei, dass andere sich amüsieren, endlich ein Opfer. Gefundenes Fressen für Schweine. Der große Zampano bei den Mädchen. Mitleid ist jetzt aussichtslos. Das Opfer zuckt mit keiner Wimper. Unruhig schaue ich zu, bin wütend.

Bis zur nächsten Busfahrt ist er in meinen Gedanken. Wie schwer mag es für ihn in der Schule sein? Er hat ein intelligentes Gesicht, dumm ist er sicher nicht, sieht sogar sportlich aus. Die Kleidung ist immer dieselbe, einfach, sieht ärmlich aus.

Dann kommt eine besondere Busfahrt. Eine gemischte Gruppe Gleichaltriger, die Jungen auf Krawall gebürstet suchen lauthals die Aufmerksamkeit der Mädchen, viele stark geschminkt. Nichts Besonderes. Die Pubertät schlägt durch.

Dann geht einer mehrmals nach vorn. Unter allgemeinem Gejohle spuckt er jetzt das auserkorene Opfer an. Grinsend sagt er etwas zu ihm, der starr geradeaus blickt, der ganze Körper unter Spannung.

Ich stehe auf und stelle mich vor den Jungen, bilde eine Wand. Als der Angreifer kommt, ein blöder Angeber, remple ich ihn kräftig an, trete ihn dabei auf den Fuß und als der Bus stoppt, falle ich fast auf ihn, halte mich an ihm fest. Ein schrilles Lachen der anderen begleitet die Szene. Perplex zieht er sich zurück.

Zwei Stationen später steigt das das Opfer aus, nicht ein Blick hat uns verbunden. Niemand hat ihn nochmals belästigt. Zusammen mit den Schülern steigen wir in die U-Bahn um. Auf dem Bahnsteig beobachte ich die Gruppe.

Normal, wie ich es oft erlebe, sind sie vergnügt. Laut auffällig, einige ruhig. Aber ich habe sie anders erlebt. Roh und mitleidlos.

Schau nicht zu oft hin, denke ich, bin vorsichtig. Zugegeben, ich habe ein wenig Angst.
Der Junge ist verschwunden, ich bin ihm nicht mehr begegnet. Was ist geschehen?

Es bleibt ein Gefühl von Hilflosigkeit in mir.

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© 2022 Regine Wendt
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