Ein Sittenstrolch gegen den Krieg

Von Walter Bosch

Meine bekanntlich anarchische Ader lässt das rechtsextreme Gedankenblut des glatzigen Oberhaupts erschaudern. Ich bin weder links noch rechts. Steh festverankert in der Mitte, mal mit, mal ohne Sitte.

Ich wandle auf einem Drahtseil über die moralische Wertetabelle und fühle mich von Spitzenwerten betrogen, weil ich sie selber nicht gefälscht habe. Soziale Normen und gesellschaftliche Regeln sind da, um gebrochen zu werden oder dadurch gebrochen zu werden. Weder Sitte noch das Wörtchen Bitte konnte meinen sturen Weg der Mitte beeinflussen. Unbeeindruckt radikal mit Scham und Charme poge ich leichtfüßig über das Kopfsteinpflaster der Inneren Stadt. Die Bierdose rechtfertigt nicht nur meine gute Laune, nein sie erklärt auch die Distanz zur Instanz. Die freie Meinung ertrinkt im Geschwafel der InderFluchtnachVornevergesseIchaufmeineFehler-Politiker. Darf man eine eigene Meinung überhaupt noch haben? Ist das zeitgemäß? Ist es nicht viel, viel easier einfach den TikToks der Masse zu vertrauen. Die haben ja Millionen von Follower/innen ergo muss das stimmen, oder?

Utopisch strolche ich durch Raum und Zeit, allgegenwärtig bereit seit meiner eigenen Kindheit. Ich klatsche in meine Hände, schlage mit Fäusten gegen patriachale Wände, bringe diktatorische Häuser zum Einsturz und über lang und kurz zerschlage ich die zweckmäßige Vernunft. In der Zukunft liegt unsere Chance, nicht in der Vergangenheit und so wandel ich ständig weiter.

Wie in Trance fliegen Raketen um meine Ohren, Salven segeln um meine Silhouette und um mich herum detonieren die Bomben der Verwüstung. Mein selbstgebasteltes Kartenhaus droht von Innen heraus einzustürzen. Also klammere ich mich an die Säulen der Hoffnung und stütze aus Leibeskraft das Fundament der Liebe. Trümmer um Trümmer fallen auf mich herab, die Belastung wird unerträglich. Ich, der Widerstand, bin bereit zu kämpfen. Doch sie zwingen mich in die Knie. Schleichend beschweren sie die Last meines Gewissens und malträtieren mich immer mehr und mehr. Am Ende bin ich vollkommen leer.

Mit der aufkeimenden Wut im Bauch richte ich meine letzte Energie auf diesen fulminant dämlichen Krieg. Ich höre meinen Widersacher schon lauthals jubeln und er posaunt seinen Sieg. Doch nicht mit mir. Ich propagiere meine Friedenstruppen, schwöre auf ein kriegloses Intervenieren und dann, wenn mir die ganze Welt, meine Seifenblasenarie glaubt, dann greife ich an und zerstöre mit voller Wucht.

In Schutt und Asche liegt nun meine Utopie. Schluchzende Menschen beschallen meine müden Ohren und in all diesem Wahn, stupst mich ein Kind plötzlich an. Sein Gesicht ist voller Blut und Asche. Es schaut mich mit seinen riesigen Äuglein an und dann stellt es mir diese eine Frage: War es das wirklich Wert?

Das Kind sinkt ohnmächtig zu Boden und ich verstehe nun das Ausmaß meiner Taten.

Und während der Rubel weiter rollt, stirbt an unserer Seite die Hrywnja und mit ihr ein großes Stück Geschichte unserer Welt.

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© 2022 Walter Bosch
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Schreibe unter dem Pseudonym „weudl“ bei story.one und einige meiner Stories wurden schon in diversen Büchern veröffentlicht.

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Bisherige Veröffentlichungen:
Über MUT und Über LEBEN: Kurzgeschichtenanthologie
Mehrere Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in diversen Büchern.
Buch: Reisewarnung für Stubenhocker
ISBN-10 : 3990877941
ISBN-13 : 978-3990877944