Von Marion Kannen
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Eindrücke zu Szenen aus der Choreografie “Das Schiff” von Pina Bausch
Eine Liebeserklärung
…Mitte Bühne steht die Frau im Sand. Mit drehenden, schlingernden Bewegungen ihres Körpers und ihrer Arme holt sie in Höhe ihrer Körpermitte etwas Unsichtbares aus sich heraus und an der ausgestreckten Zeigefingerspitze ihrer rechten Hand hält sie überrascht den Fund hoch, wiederholt diese Handlung mit der anderen. Immer abwechselnd vollführt sie diese sich ähnlich bleibende gleitende, sich windende Bewegung rechts, – findet in stetiger, unaufhörlicher Schwingung immer etwas heraus aus sich und hält es, hoch in die Luft, zeigend, schaut was ich gefunden, hält es frei, feil in den Himmel, in die Welt und Männer kommen von überall her, gehen, laufen in Bögen, Ellipsen um sie herum und zu ihr, nehmen einvernehmlich mit ihren ausgestreckten Zeigefingerspitzen von ihren Fingerspitzen, – pflücken ab von den Fingern der Frau, rechte Hand, linke Hand, ohne sie selbst weiter zu beachten, und mit ihrem Gepflückten gehen sie weiter und pflanzen es irgendwo ein, in den Boden, in die Wände, selbstverständlich, routiniert, gesetzmäßig verbindet sich ihr Gehen, Pflücken, Pflanzen mit ihrem Suchen, Finden, Zeigen zu einer einzigen großen in sich kreisenden Bewegung, ein Kreisen von Planeten um eine Sonne, in scheinbar unendlicher Wiederholung. Sie sucht, pflückt, findet, zeigt und immer mehr tauchen auf und kreisen um sie, berühren die Spitzen ihrer Finger und tragen fort, pflanzen, kommen zurück, pflücken, gehen, pflanzen, kommen, pflücken, gehen, pflanzen und sie, sich drehend, windend holt aus sich immer neu, immer mehr und hält und zeigt, kann nicht anders, nicht aufhören und muss weiter immer weiter in sich suchen, finden, zeigen, ein ewiger Kreislauf von Kommen, Pflücken, Pflanzen, …und einer kommt und stellt ihr einen Stuhl und drängt sie auf den Stuhl auf den sie sinkt und kann doch nicht aufhören, – und er beugt sich zu ihr zum Kuss und sie erhebt sich zum Kuss und steht wieder und windet, und mit jedem Winden wieder findet sie und wieder dies Kommen und …
2) Die Frau die den Rücken des Mannes hinauf rennt, ihn als Abflugrampe benutzt und fliegt und fliegt und aufgefangen, getragen wird von den anderen und wieder neu auf den Rücken rennt und springt und fliegt und getragen und wieder rennt und springt und fliegt…
3) Ganz vorn an der Rampe der junge schöne Mann, der sich lächelnd vor das Publikum stellt, sich froh, erwartungsvoll unsichtbare Herzen auf die Hand, den Arm, die Brust malt und uns ansieht, wartet auf eine Reaktion und sie dann durchstreicht und der Blick sagt: das habt ihr verspielt, hättet ihr haben können, wolltet ihr nicht und dann höhnisch, verletzt, wütend abgeht.
4) Die Frau, die voll fröhlicher Erwartung, lächelnd, getragen von zwei Männern an den Armen, die Beine übermütig schaukelnd, schwingend Richtung Publikum hereinkommt und vor uns hingestellt uns erwartungsfroh ansieht, lächelnd, die Männer stolz froh, uns ein überaus wertvolles wunderschönes Geschenk zu bringen, schauen ernst, auch erwartungsvoll, aber es kommt nichts, gar nichts, keine Dankbarkeit, keine Anerkennung, kein Applaus, keine Antwort, nur Schweigen, doch die Frau lächelt weiter, jetzt eher bemüht in dem so tun als ob, als wäre nichts, nie etwas gewesen, keine Erwartung, und schwingt sich wieder, abgewiesen jetzt hoch auf die Arme der Männer, jetzt bemüht lachend sich die Enttäuschung nicht anmerken lassen wollend, schwingt sie sich hoch, schaukelt mit den Beinen wieder wie beim Hereinkommen, nur nicht mehr so unbefangen fröhlich wie ein Kind, das ein Kunststück eingeübt hat und es den Eltern zeigen will, in der Gewissheit, sie werden es genauso wunderbar finden wie es selbst und es loben, sondern ihr Lächeln ist jetzt tapfer, die Männer schauen nach wie vor ernst, die Gesichter aber maskenhafter, verschlossener als beim Hereinkommen, die Augen hart jetzt, besonders als sie stehen und schauen ins Publikum nach der Präsentation ihres Wunders, des Kunststücks der Frau, die eine alle beglückende Lebensbewegung gefunden hatte, die sie uns zeigen , uns schenken wollte, die wir nicht verstanden haben, die uns verwirrte, bedrohte, die wir nicht wollten.
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