Von Madame Pavot
Der Baum neben der Eisdiele sang den Herbst schon mit Blätterknistern. Bald würde sie schließen, doch blieb der Sommer in der Auslage, Mango, Heidelbeere, Cassis. Eine Kugel im Hörnchen, danke, vielleicht Streusel oder Erdbeersoße, mit den letzten Sonnenstrahlen.
Weil die Eisdiele gegenüber von unserem Fenster war, ging ich in grünen Hausschuhen, in meinem Kopf Sahne und die bestmögliche Kombination, vielleicht weiße Schokolade und Walnuss, vielleicht Salzkaramell. Ich stellte mich in die Schlange, es war mitten am Tag, die Rentner hatten Ausgang und redeten angeregt über Neurologentermine und das Wetter. Auf einmal sah ich Dich. Du warst auf der braunen Bank. Du zähltest Kleingeld, aber Dein Blick war verloren und flatterte umher. Ich ging zu Dir, setzte mich. Du sahst mich an, sagtest schüchtern „Hallo“, ich hörte Deinen Akzent, zeigte auf mich, sagte meinen Namen. „Ich, Sveta“, antwortetest Du und spieltest mit den Münzen. Ich erfuhr, dass Du vier Wochen hier warst, es herrschte Krieg in Deinem Land. Die klimpernden Münzen zeigten Dein Unbehagen.
„Warte kurz“, flüsterte ich. Eis brach doch jede Sprachbarriere. Ich drängelte mich an den Rentnern vorbei, sie schnalzten verächtlich.
Ich bestellte die Sonnenstrahleneiskugeln, Mango für mich, aber weiße Schokolade, meine Lieblingssorte für Dich. Hoffentlich hatte die Eisfrau besonders viel Soße auf Deine Kugel geträufelt, Du solltest fühlen, wie gut sie auf der Zunge zergeht.
Als ich Dir das Eis gab, bedanktest Du Dich leise. Wir aßen still nebeneinander, aber etwas war anders, entspannter, Dein Geldklimpern hatte aufgehört. Unsere Augen schauten in den baldigen Herbsthimmel, unsere Münder fingen den Sommerrest ein. Ich begann herumzuträumen, als ich auf einmal deine Stimme hörte: „Spazieren?“, murmeltest Du. Ich bejahte, wir standen auf und gingen los. Irgendwann würden wir mit Händen und Füßen sprechen und genau hier Sommereis essen. Ich freute mich und vergaß, dass ich in Hausschuhen lief.
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