Farce

Von Marek Födisch

Nachrichten. Ruinen starren aus fensterlosen, verrußten Rechtecken ins Wohnzimmer, Trümmer, fliehende Menschen, wartend an Bushaltestellen, Reporter und Geschütze, Graben, Gräber, weinende Mütter, ein Greis am Küchentisch, allein unter einem zerstörten Dach.

Dann Berlin, am 9. Mai 2022. Ein Fahnenmeer in Farben eines angreifenden Staates, Augenglanz hier und da, Siegeslieder, später ein Autokorso. Jedes Schwenken, jedes Lächeln, jeder Schritt, jedes Skandieren, jeder Jubelschrei und jedes Rollen: eine Leichenschändung. Vermag sich die aufgewirbelte Indifferenz nicht setzen lassen, in den Tiefen und Untiefen, die ihr doch alle, oder fast alle, öffentlich vorgebt, für den Frieden und gegen den Faschismus zu sein, damit das zeitgleiche Morden, Bombardieren und Foltern als tatsächliches Morden, als Fakt, in ganzer Tragweite, an euer Feierufer schwappen kann? Schminken, kaschieren – oder gar den Badezimmerspiegel zertrümmern. Nein? Nadeschda Mandelstams Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe. In Anbetracht der hier Teilnehmenden: eine Farce.

Ukrainekrieg. Opferzahlen in einer Größenordnung, deren reale Dimension ein mitfühlendes Herz zerreißen würde. Und der Verstand weiß sich daher nur damit zu helfen, in die Abstraktion und Statistik zu fliehen, wenn überhaupt. Im schamhaften Glück der Ferne wage ich dennoch zu fragen: Wie fühlt sich wohl ein kleiner Kindersarg an, den man beim Abschiednehmen kurz mit den Händen berührt? Oder: wie sehen die Augen eines Vaters aus, die zwei Meter hinabblicken? Der Eindruck einer großen Heuchelei bäumt sich mir in einem Vergleich auf: einerseits ein berechtigtes Entsetzen über die Ermordung eines Kindes in irgendeiner deutschen Stadt, andererseits hunderte verschüttete Kinder, gestorben im Bombenhagel, dem ein jeweiliger Befehl vorausging. Dessen eingedenk – ein verstörender, exemplarischer Schwenk zurück, nach Berlin.

Es kann sein, dass ein mit Details versehenes Einzelschicksal schneller und tiefer unter die Haut dringen mag, aber …
Ein zorniges Dennoch spricht und schreit sich weiterhin in mir fest.

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© 2022 Marek Födisch
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