Von Lena Kelm
Der frühe Morgen schenkt vor der angesagten Hitze des Tages angenehm kühle Luft. Ich fühle mich wohl. Die frische Morgenluft sorgt für einen freien Kopf. Die Sorgen des bevorstehenden Tages scheinen von den kaum vernehmbaren Windböen wie weggeblasen. Bin ich nun ein wetterempfindlicher Mensch?
Mein Grübeln über den Wettereinfluss auf meinen Charakter wird an dieser Stelle unterbrochen. Auf dem leeren Gehweg taucht ein kleiner Mann in BSR-Montur, großer Schutz-Brille, noch größeren Kopfhörern und einem elektrischen Laubläser auf, das er in dem Moment einschaltet. Er beginnt mit dem Schlauch den Müll einzusaugen. Das Geräusch ist ohrenbetäubend. Ich wünsche mir auch Kopfhörer. Beruhige mich bei dem Gedanken, ich verlasse in ein paar Metern diese Straße. Worüber ich mich mehr aufrege, das ist viel Lärm um Nichts. Das Gerät zieht zwar einige Kippen, Blätter und kleinere Papierfetzen ein, den größeren Müll, darunter Pappbecher, bläst er wie ein winziger Tornado an die Gehwegränder, wo schon anderer angehäufter Müll liegt. Die meisten Kippen bleiben zwischen den Pflastersteinen stecken. Sisyphusarbeit. Ich denke sehnsüchtig an den guten alten Hausmeister mit dem gründlichen Besen, den es nicht mehr gibt.
In der Einkaufsstraße fällt mir ein adrett gekleideter Mann, mittlerer Statur, mit akkuratem ergrautem Kurzhaarschnitt auf. Sein blütenweißes Hemd, schwarze Hose und Lackschuhe passen zu ihm. Er hält anstatt eines Besens eine Greifzange. Das beeindruckt mich. Ein tüchtiger, pflichtbewusster Inhaber eines der vielen kleinen Universalwarenläden dieser Straße sorgt für Sauberkeit vor seinem Geschäft. Konzentriert greift er nach Kippen, Papierfetzen. Aber – ich traue meinen Augen nicht – wirft er diese auf die Straße und nicht in den Mülleimer. Er fegt sozusagen vor eigener Tür. Was geht ihn der Müll auf der Straße an? Ich bin enttäuscht, fühle mich hilflos und zu feige, ihn zu ermahnen.
Um die Ecke begegnet mir eine schöne junge Blondine im Mini-Röckchen. Sie hat wohl die erste Portion Nikotin inhaliert, beiläufig wirft sie ihre Kippe auf den Gehweg und tritt sie freundlicher Weise aus. Die modischen Sandalen sind ihr dafür nicht zu schade. Das macht auch kaum einer. Lobenswerter hätte ich es gefunden, wenn sie die paar Schritte zum orangen Hängeeimer der BSR getan hätte. Sie würde ihre Schuhe schonen und müsste sich nicht einmal bücken. Meine Ermahnung, Umweltverschmutzung zu vermeiden, schlucke ich herunter, um eine unvorhersehbare Reaktion zu vermeiden. Habe schon aggressive Ausfälle erlebt. Mir fällt ein Gespräch mit einem Migranten ein, der meinte, Deutsche nerven, belehren, ohne gefragt zu werden wie man zu parken oder wie laut man zu sprechen hat.
Passiere die Straße weiter. Meine Stimmung ist etwas gekippt, ich versuche die Morgenluft tief ein- und auszuatmen. Das soll gegen Aufregung, Stress helfen. Ich merke, die Menschen erwachen allmählich. Eine Frau mit schwarzem Kopftuch kommt mir entgegen. Sie nähert sich mir und sagt plötzlich laut, offensichtlich erregt: „Legt mir Deckel unter die Füße!“ Erst da registriere ich den entgegenkommenden Passanten, der die eben geöffnete Bierflasche zum Mund führt. Ein paar Schritte weiter entdecke ich den Bierdeckel und umgehe ihn, wie es wohl hunderte Menschen nach mir an diesem Tag machen werden. Eventuell tritt einer rauf. Habe auch schon Kinder damit auf dem Gehweg Fußball spielen gesehen.
Für heute Morgen reicht es mir an Zufällen, die keine Zufälle mehr sind, sondern Gepflogenheiten, die die frische Morgenluft und die Umwelt verunreinigen.
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© 2022 Lena Kelm
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