Der Täschner

Von Andreas Rüdig

Ein Täschner ist ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf. Er gehört zum lederverarbeitenden Gewerbe. Er überzieht Stühle mit Leder, stellt aber auch Koffer, Taschen und andere Behältnisse aus Leder, Kunststoff und / oder Textilien her.

Fleischfressende Pflanzen sind uns ja hinlänglich aus Gewächshäusern, Garten-Centern sowie Botanischen Gärten bekannt. Sie locken Fliegen und andere Insekten in die Falle, schnappen zu und verdauen ihre Opfer dann.

Daß es auch fleischfressende Taschen geben könnte, darauf hat mit meine Frau Isolde immer wieder aufmerksam gemacht.

„Wo ist denn Fiffi, unser gebliebter Schoßhund?“ fragte sie mich beispielsweise nach unserem letzten Tagesausflug. „In deiner Reisetaschae natürlich. Du hast doch selbst gesagt, daß er dort am besten aufgehoben und am leichtesten zu transportieren wäre.“ Was Isolde natürlich nur bestätigen konnte – sie hatte es nämlich tatsächlich gesagt. Wir schauten beide zusammen in die Tasche, fanden ein paar Wollknäuel und Kratzreste und hörten dann ein Bäuerchen. „Du Ferkel,“ pflaumte mich Isolde an. Und ließ sich nur schwer davon überzeugen, daß jemand anders gerülpst haben mußte.

Auf genauso mysteriöse Art und Weise verschwanden Brieftaschen, Gürtel, Geldbörsen und andere lederne Utensilien.

Irgendwann war ich es Leid. Ich brachte die Tasche zum Hersteller zurück und beschwerte mich, daß immer wieder Gegenstände verschwinden. „Selbst schuld,“ hielt mir der Täuscher-Handwerker entgegen. „Wieso?“ – „Sie haben doch ausdrücklich warmes, weiches und neues Leder verlangt.“ – „Ja, und?“ – „Das Leder lebt eben noch. Es hat Hunger und fühlt, wenn tierische Produkte in die Tasche gefüllt werden. Die werden dann in Nullkommanix gefuttert, verdaut und ausgeschieden.“

Seitdem besteht meine Frau auf Plastiktaschen. Da können eben nichts schieflaufen.

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