Von Marcus Nickel
Ich lag auf dem Sofa, ich lag, um in mich zu gehen. Vor einer halben Stunde noch versuchte ich, locker im Umgang natürlich, mit der Anstrengung ringend ein Gedicht zu Papier zu bringen. Das Pergament sollte mit Tinte, vielleicht mit etwas Blut, getränkt werden, stattdessen umklammerte ich meinen Stift wie ein Neurotiker seinen Wehstock. Trotz des Sonnenscheins über den Häusern blieb es bei einer Finsternis in mir. Es wollte mir kein Gedanke kommen, der zu einem Vers werden könnte. Normalerweise gelang mir das wortspielerisch, aber ich hatte eine Ladehemmung, die nicht einmal aus Abscheu die hohlste Hülle ausgeworfen hätte. Das war eine überaus seltene Rarität innerhalb meines künstlerischen Schaffens. Ich war nicht schlecht genug drauf, um etwas Schlechtes auf das Papier zu kritzeln. Wenn es wenigstens irgendwas gewesen wäre!
Mein Atem gewann, nach einer kurzen und nach mir schnappenden Anspannung, zunehmend an homogenem Rhythmus. Ich schloss meine Augen, die Stille wuchs mit Kraft. Momente vergingen. War ich tatsächlich eingeschlafen oder dämmerte ich lediglich in meinem Inneren vor mich hin? Ich konnte es nicht ausmachen, bis ein lauter werdendes Poltern mich aus meinem Zustand riss wie ein aufgeschrecktes Augenlid. Ich lag als Winzling auf dem Notizblock, der sich auf meinem Wohnzimmerglastisch befand. Über mir war der Himmel aus Tapetenweiß und meine Schränke bildeten den Horizont. Und um mich herum tanzten riesige Buchstaben als wären sie Kobolde auf Kohlenschnee. Sie überragten mich um das Doppelte. Trotz des Bebens unter mir, schaffte ich es aufzustehen. Ich sah das A, das B, das C, das M, das R, das Q und das Y, während der Rest des Alphabets eine verschwommene Masse bildete, bevor auch die erkennbaren Buchstaben zu kreisenden Strichen verkamen. Ich fühlte mich wie in einem Tornado. Meine Ohren dröhnten, mir wurde schwindelig vor Augen. Ich setzte mich, bevor ich umkippen konnte und letztlich legte ich mich wieder hin, weil mir die Sitzposition ebenso kippgefährdet erschien. Das Beben ließ nach, das Dröhnen schwand und verschwand. Ich drehte mich auf die Seite und sah über den Notizblockrand hinaus durch das Glas in einen Abgrund aus Staubwolken und Krümelgraupel. Es war, als würde ich in mich blicken und meine Leere wahrhaftig erkennen. Vielleicht war es aber nur ein Traum aus Wahn und Sinn. In diesem Moment flackerte die Welt auf und verpuffte plötzlich. Ich öffnete die Augen und war zurück auf dem Sofa.
Es fühlte sich befremdlich an, aus einer Vision seiner Selbst zu erwachen, wie ein Rausch ohne anschließenden Kater. Ich stand auf, sammelte mich und schaute hinab auf den Glastisch. Ich sah mir ins Spiegelgesicht, sah durch mich hindurch und mein Blick endete fünfzig Zentimeter darunter. Das war mein Sein und es war ernüchternd wie nie zuvor. Und als ich dann auf den Notizblock sah und in dessen Leere hinein, wusste ich, dass auch die schönsten Worte daran nichts ändern würden.
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© 2022 Marcus Nickel
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