Von Regine Wendt
Gestern. Das Einkaufszentrum zerrte an meinen Nerven, verklebte das Gemüt. Nur raus hier. Abends war sie da, das Mädchen, wie es zärtlich seine Schätze begutachtete. Glitzersternchen, Federn, Märchenfestsachen. Es kniete auf dem Boden, suchte mit liebevollem Bedacht ein wenig Schmuck, versunken in all dem, was entzückte. Ein weiches Lächeln, ein kleines Wunder in dieser Kaufhaushektik.
Schönheit braucht den ruhigen Blick.
Begegnung auf einer Lesung. Pausengespräche.
Heute trage ich keine Fliege. Heute trage ich eine Krawatte. Er zieht die Maske herunter. Ein junges, hübsches Gesicht, mir fast unbekannt. Leises Erinnern. Er . bleibt neben mir. Abgelenkt habe ich ihn schon wieder vergessen. Am nächsten Morgen ist er da, obwohl er weg ist. Nimmt Raum ein.
Wie begegnen wir uns? Interessiert uns der Andere oder sind wir nur bei uns selbst? Haste ich selber nur durch das Leben, gibt es viel mehr blinde Flecken?
Neuerdings rede ich sehr viel, falle ins Wort und verliere den Faden. Blinde Flecken können nicht mehr aufgehellt werden, der Gesprächspartner ist fort.
Wohin renne ich, atemlos gegen die Wand? Die Einsicht ist da, wenn ich mich betrachte gefalle ich mir so nicht.
Viel Lärm um nichts. Meine Freundin, die Ärztin. Mein Freund der Rechtsanwalt, Dr. Dr. Professor, es gibt sogar einen Bürgermeister. Ich lese Novalis, Bernhard, Thomas Mann. Zitate werden aufgesagt. Kassierer musst du doch kennen. Neulich in der Oper, Philharmonie, sonst wo. Das Beste zum Schluss, du schreibst Trivialliteratur für Hausfrauen. Hoch zu Ross die Leute. Nicht bewundernd schaue ich auf, klein in die Ecke gedrängt. Sei ruhig, die meinen nur sich selbst. Sollte ich jetzt auch aufmerksam in den inneren Spiegel schauen? Bei sich selbst anzukommen ist die erste Übung. Fehler dürfen gemacht werden, wenn sie sich summieren sollte ich mich über Rückwirkung nicht beklagen.
Neuerdings hat ein altmodisches altes Wort einen modernen Thouch: Achtsamkeit. Dafür gib es sogar Kurse. Volkhochschule oder sogar einen langhaarigen Guru in Wallagewand. Letzteres ist teurer, dafür berührt er sanft deinen Scheitel.
Als Gärtnerin bin ich geübt mit meinen Blumen und Pflanzen. Sie zeigen, wenn es zu grob, unachtsam wird. Mein Garten liegt mir am Herzen.
Es blüht überall. In allen Seitenstraßen, engen Höfen, auf Plätzen, in hellen und dunklen Räumen. Das dritte Auge oder das Herz will gepflegt werden, dann wird es leichter auch den Schrecken zu betrachten. Von der Seherin bin ich noch weit entfernt, noch zu viele blinde Flecken.
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© 2023 Regine Wendt
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