Von Michael Wiedorn
Der Hase springt. Sanfter Blick aus runden Augen. Das weiche Fell. Der Hase springt weit in den Himmel. Der Jäger konnte das Tier nicht erlegen und häuten. Die Kinder streichelten vor der Jagd das Fell. Ihr Liebling zitterte wie Espenlaub. Der ins Weiteste und Fernste hoch wachsende Hase verzehrt immer größere Teile des Erdballes. Die Jagdhunde konnten das Wild nicht zerfleischen und die wartenden Messer konnten kein Fleisch zerschneiden. Auf ihr Essen wartende Restaurantbesucher packt die Angst. Sie fliehen in ihrer Schuld in die Wälder. Teilweise noch mit Serviette um den Hals und Gabel und Messer in den Händen. Im Wald wehrt sich das Wild dagegen zu Braten zubereitet zu werden.
Die vom Hasen entzündeten Brände zertrümmern die Städte. Ein sanfter Blick aus runden Augen. Dieses Viech schnuppert ängstlich. Löffel erheben sich schlagbereit hoch hinauf in die Wolken und lösen sich in Rauch auf. Die Feuerwehr birgt den zerfleischten Kadaver eines erlegten Metzgers. Völker und Massen von Hasen sind geworfen worden und überziehen rasend und Haken schlagend alle Länder. Der Verstand der Tiere ist vom Kohldampf betäubt. Sie fressen und fressen. Sie verschlingen alles, was ins Maul passt. Sie lieben das Leben und wollen wachsen und reinschlingen. Dann werden nur noch graue Steinwüsten übrig bleiben. In den Schlachthäusern erwachen die gehäuteten Leichen. Aus der Totenruhe gerissen durch beißenden Hunger. Das Schlachtvieh will die Welt erobern und in ihre Mägen verschlucken, zerstückelt durch die Kraft ihrer Zähne.
Nebel steigen von den Flüssen auf. Es ist November und der Sommer wird nie wieder in die vom Hunger besessenen Länder kehren.
Nebel steigen aus den Ozeanen. Tief aus dem Grunde des Meeres treibt ein gehäuteter und von Gedärm entkernter Körper. Er beginnt zu stinken und auseinander zu fallen. Gräten statt Knochen. Jemand ruft aus dem Nebel, dann ziehen beunruhigte Gestalten mit Fackeln durch die leichenfahlen Schwaden. Feuer brennen. Immer mehr Männer und auch Frauen. Der Fremde aus dem Ozean. Der Wald leuchtet purpurn und entzündet sich. Die Wunde entzündet sich und schmerzt. Auf dem Herd brennt das Fleisch an. Die Flammen würgen jeden anderen Laut ab. Hasen sind stumm. Mahlzeiten soll man sich schweigend einverleiben. Mittags das felllose Fleisch des Hasen. Tiere leisten keinen Widerstand. Tiere leisten Widerstand. Löffel lodern und schießen blitzartig aus Erdlöchern. Hasen schreien nicht, sondern sind lautlos wie Kammerdiener und verschwiegen wie Bankangestellte. Wenn du nicht auf sie achtest, umzingeln sie dich! Wenn du nicht auf sie hörst, zerstören sie dein Leben! Deine Glieder brennen dann auf dem glühenden Herd. Dein zerstückelter Körper landet dann auf Tellern und Schüsseln. Viele Tiere nehmen ihre Mahlzeit schweigend ein. Hasen vermehren sich und breiten sich lautlos aus. Krieger kämpfen und erobern. Du siehst sie nicht. Lauschende Pelzantennen erheben sich aus allen Gräsern. Sie erheben sich und wachsen über die Wipfel der Wälder, über Häuser, auf allen Dächern. Sie lauschen. Türme stützen den Himmel und lassen ihn einstürzen.
Ein Hase hängt an den Beinen aufgehängt mit dem Kopf nach unten. Der aufgeschnittene Bauch klafft auf. Die Innereien hängen zum gekachelten Boden herab. Sie werden mit Butter eingestrichen in der Pfanne schön rösch gebraten werden. Das Kind streichelte zärtlich das sanfte Fell. Wenn du nicht auf die Tiere hörst, dann hängst du! Dann werden wir nicht den Heiligen Gral finden. Ein Kelch blinkt silbern rot befleckt in der Sonne. Der gehäutete und entleerte Fremde aus dem Ozean. Die Seitenwunde blutet und wird nie aufhören zu bluten. Niemand kommt ihn zu erlösen – das erhängte Tier. Das Mitleid gefriert. Geschächtet zu Ehren des Menschen! Wenn du nicht auf die Tiere hörst, dann hört sie niemand mehr!
Stummheit tötet!
Wenn der Mond ins Haus scheint, zerfällt das Fleisch. Mückenschwärme flackern zu Boden und entzünden die Bodendielen. Hasen jagen lautlos über die nächtlichen Felder. Sanfter Blick. Schnee flackert sprachlos zu Boden und umkrallt mit seiner Macht, mit seinem Mantel das Leben mit zerschneidender Kälte. Der König hängt mit dem Kopf nach unten. Ausgeweidet und schnarcht. Schnee fällt von den Tannen. Es wird Weihnachten und nicht Ostern. Christus wird geboren und kein Biest. Alles Leben erfriert. Tier und Mensch ziehen hungernd die Rinden von den Bäumen. Sie alle sind vom Mangel ausgehöhlt. Eine gefräßige Hohlheit lässt ihre Körper schrumpfen. Herzen und Mägen und Därme wollen anwachsen und wachsen und sich mit anderen Herzen und Mägen und Därmen vereinigen. Die jetzt Hungernden haben alle im Sommer nichts gehortet und angehäuft. Grau, braun, weiß erstrecken sich Wälder und Wiesen. Mitten zwischen Geröll steht eine Sparkassenfiliale. Davon träumen die Tiere. Schatzkammern gefüllt mit Brüsten, Herzen und Flügeln. Herzpurpurnes Fleisch wartet auf seine festliche Begegnung mit Reis, Bohnen, Kartoffeln. Die Seitenwunde ist nass. Nass topft die Möse. Der König bricht zusammen. In der Morgenröte reitet auf einem Schimmel der gerüstete und entrüstete Metzger. Das Tranchiermesser blinkt rot besudelt in der Sonne. Spitze die Spitze des Bleistifts! Schreibe, schreibe auf das Rot des Schreibpapiers! Purpurne Vorhänge öffnen sich. Die Bühne belebt sich immer mehr und mehr. Tiere erwachen.
Wenn dann das Lachen die Hoffnung befreit, dann blühen die Rosen, dann strahlt das Grün von Baum und Wiese. Freiheit weht. Fröhlich rollen die Wogen des Meeres in weite Fernen. Die Seitenwunde des Herrschers nässt und fließt. In der Brust des herrschenden Hasen wallt das Blut und lässt die schmerzende Seitenwunde aufreißen. Azurblaue Ozeane stürzen aus der Wunde und überfluten Schloss und Wald. Wassermauern erschlagen Tannen und Fichten und Eichen. Vielen Bestien kocht das Blut in den Adern und lässt sie besinnungslos in die heranstürzenden Brandungen rasen.
Dann schweigen die zu Hause gebliebenen Tiere und die Menschen, aufbewahrt in durchsichtigen Plastikbeuteln. Die Regierung hat Plastiktüten an die Bevölkerung verteilt. Ein stummer, regloser Mann, nackt in Embryonenstellung hakt sich und verhakt sich – weißes, hässliches Fleisch hilflos fremden Blicken ausgeliefert – mit Krallen und Zehen in das Fell eines ebenfalls reglosen und stummen Schimpansen. Der Affe zerfällt. Der Mensch ist geschrumpft und eingeschweißt worden. In seine Angst eingesperrt.
Zum Wohle der Wissenschaft!
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© 2023 Michael Wiedorn
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