Von Ani Nersesyan
-Schau mich an, verdammt!
Mitten auf der Straße bleibe ich stehen, die Hände zu Fäusten geballt. Deine herannahenden schweren Schritte hallen laut auf dem Betonboden inmitten dieser Totenstille.
-Schau mich an.
Ich spüre deine Wärme auf meinem Rücken. Deine Hände ruhen schwer auf meinen Schultern und versuchen mich zu dir zu drehen. Erfolglos.
-Ich will nicht, dass du gehst. Ich wollte es nicht, es tut mir echt leid.
Du atmest geräuschvoll aus und lehnst dich vor – deine Stirn auf meinem Hinterkopf. Dein warmer Atem bahnt sich seinen Weg durch mein zerzaustes Haar zu meinen Wangen und gibt ihnen einen heißen Luftstrom.
-Rede mit mir. Sag mir, dass du mich hasst. Sei nicht still, Fee.
Ich schüttele meinen Kopf nach rechts und versuche mich im Schatten meines eigenen Haares vor dir zu verstecken. Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich hab‘ dir nichts zu sagen. Ich habe alle meine Emotionen und Gefühle vor zehn Minuten im Auto herausgeschrien. Ich habe keine Luft mehr, ich bin zu erschöpft, um weiter zu schreien.
Wir stehen einige Minuten in dieser Stellung. Ich – mit meinem Rücken zu dir, du – mit deiner Stirn an meinem Hinterkopf. Deine Arme wandern zwischendurch zu meiner Taille. Du scheinst dich an mir festzuhalten, um nicht zu fallen.
Plötzlich holst du tief Luft und fängst an, eine bekannte Melodie zu summen.
Wir stehen mitten auf der Straße, neben deinem Auto. Schwache Strahlen eines pfirsichfarbenen Sonnenuntergangs beleuchten deinen Rücken und bedecken den nassen Asphalt mit unseren Schatten. Wir sind allein, nur lästige Aprilmücken tanzen im Licht der untergehenden Sonne.
Ich bin zwischen dir und deinem Schatten versteckt, umgeben von deinem Geruch, deiner Stimme, deinen Armen. Seltsamerweise will ich dich nicht loswerden. Es ist jetzt der Moment, als deine Stirn meinen Nacken berührt, während du Celentano summst und uns nach links und rechts schaukelst. Es ist der Moment, in dem ich dich nicht mehr loswerden will. Wenn man mich vor zwanzig Minuten gefragt hätte, was ich will, würde ich antworten: „Alles, außer dir.“
-Willst du mich immer noch loswerden?
Ich sage dir nichts.
Du summst Celentano weiter und bewegst dich, mich in den Armen haltend, im Takt der Melodie.
-Sing noch was, ich habe Celentano satt.
Ich drehe mich um und vergrabe mein Gesicht an deiner Brust. Ich mag deinen Geruch: Ananas, Tabak und Minze.
-Ich werde nicht gehen,- sagtest du und legtest dein Kinn auf meinen Kopf.
-Was willst du, Fee?
-Sing einfach.
Und während du „Don’t cry“ von Guns N‘ Roses zu mir summst, lugt die Sonne kaum noch hinter dem Horizont hervor und löscht miteinander verwobene Schatten vom nassen Asphalt.
*
© 2023 Ani Nersesyan (Text & Bild)
Alle Rechte vorbehalten