Von Anna B.
Nach Ende des II. Weltkriegs zog die Familie von Susanne aufs Land in den Osten Österreichs. Das Mädchen war gerade neun Jahre alt geworden. Sie ist ungetauft, die Eltern Kommunisten. In der Stadt war das nicht so besonders ungewöhnlich gewesen, es wurde kaum darüber gesprochen; die Genossen gingen ein und aus, in der Schule gab es einige Mitschülerinnen „ohne Bekenntnis“. Am Land schaut das anders aus. Vor der Roten Armee waren die Nazifreunde aus Angst vor der Rache der Russen in den Westen Österreichs geflohen und beteten seit ihrer Rückkehr fleißig für ihr Heil. Susanne fand zwar die Sprache, die Sitten und Gebräuche, die alten Lehrer und vieles andere ziemlich befremdlich, nahm die Dinge aber hin wie sie kamen und freundete sich mit einigen Mädchen schnell an. Anni, ein Arbeiterkind, deren Schwester auf den Strich ging und deren Vater die Mutter oft schlug war ihre erste Gefährtin, bei der sie manchmal eingeladen war. Schön fand sie dort die Hasen, die sie auch füttern durfte und sie war von der stattlichen Mutter mit der langen wallenden Mähne begeistert. Anni wiederrum kam oft zu ihr auf Besuch, vor allem um das WC zu bewundern; bei ihr zu Hause erledigte man die kleinen und großen Geschäfte in einer kleinen stinkenden Holzhütte im Garten. Eine andere Freundin ging mit ihr in die Klasse; deren Vater war Lehrer am Gymnasium, am Nachmittag saß er an seinem Schreibtisch mit lauter Alben, in denen er Briefmarken aus diversen Ländern mit großer Behutsamkeit verstaute. Von Susannes Mutter bekam er regelmäßig Briefmarken aus England, Südamerika, USA und aus der DDR – alles Länder, wo Verwandten und Freunde der Familie vor oder nach dem Krieges gelandet waren. Susanne war sehr stolz, dass ihre Mutter dem Vater ihrer Freundin beim Sammeln so behilflich sein konnte. Gertraud, so hieß die Freundin, war ein wildes Kind. Mit ihr lernte sie auf Wiesen, in Büschen und im Gestrüpp herumzutollen, auf Schotterhalden zu klettern und von oben runter zu rutschen. Es war streng verboten in den nahen Ziegelwerken mit den Förderwägelchen zu spielen, aber Susanne und Gertraud hängten sich an ihnen an und ließen sich durch Teile der Anlage tragen. Im Sommer badeten sie im Ziegelteich, was auch verboten war. Dabei war ihnen schon etwas mulmig, da vor gefährlichen Strudeln gewarnt wurde. Auch das Fußballspielen auf der Straße und akrobatische Rock & Roll Versuche mit etwas älteren Buben bereitete Susanne Vergnügen.
Als sie ins Gymnasium kam, änderte sich das Leben etwas. Die Buben verschwanden von der Straße, wollten mit ihr auch nicht mehr tanzen; sie gingen in die Hauptschule und Susanne gehörte jetzt zu den „Großkopferten“. Die Lehrer an der Schule flößten ihr Angst ein, alte Knacker mit bösen Gesichtern oder alte Jungfern mit strengem Blick. Alle waren todernst und streng. Warum eigentlich?. Die ersten vier Jahre gingen schnell dahin, Susanne war eine unauffällige mittelmäßige Schülerin, von der die Lehrer*inne ihrer Mutter sagten, sie sei intelligent, aber etwas faul. Das sagten sie über die Mehrheit ihrer Zöglinge. In der Oberstufe fielen ihre Leistungen in den Keller, sie interessierte sich hauptsächlich für das andere Geschlecht, für Tanz, Alkohol und Zigaretten. Besonders Franz hatte es ihr angetan, der sich auch für sie interessierte. Eines Tages ließ er ihr in einer Unterrichtsstunde einen Zettel zustecken auf dem stand: „Einladung ins Krematorium morgen Nachmittag“. Sie erschrak und zerriss den Zettel. „WARUM das? Was soll das heißen? Will er mich verbrennen, weil ich so ein bisserl jüdisch bin und krause Haare habe?“. Sie traute sich nicht, mit irgendjemanden darüber zu reden. Was hätte es genützt? Der Schuldirektor ein alter Nazi, der Klassenvorstand und auch der Geschichtslehrer um nichts besser, beide waren nie nett zu ihr. Der Geschichtslehrer hatte einmal ohne weitere Erklärung zu ihr schauend gesagt: „Die Kommunisten sind Staatsfeinde“. Auch hier tat sich in ihr ein großes WARUM auf. Zu Hause sagte sie nichts, weil sie keine Aufregung erzeugen wollte. Sie stellte Franz zur Rede, der dummdreist meinte, er hätte nur einen kleinen Scherz machen wollen. Das WARUM blieb ihr schmerzhaft in den Knochen. Immer stärker wurde der Wunsch nach dem Tag, zurück nach Wien zu gehen. Dort begegneten ihr aber noch sehr viele WARUMs; nicht nur wegen antisemitischer Ressentiments und Hass gegen Linke.
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© 2023 Anna B.
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