Die Zeit ist dürr

Von Irena Habalik

Die Zeit
ist dürr fettleibig stachelbeerenrot und gierig bis auf die Mundwinkel
Die Zeit, Ebbe und Flut auf meiner Haut
im Grundbuch ein Eintrag. Eine obdachlose Zeit

Eine Schöne auf dem Cover mit halbgeöffnetem Mund
Eine Alte mit Bart und Fliege
Mit ihr würde ich einen Walzer wagen
Wenn ich da ruhig sitze, spüre ich wie die Uhr fickt
zwischen dem Bücherstapel

Kommt Zeit kommt Verrat
Kommt Gelegenheit in jemandes Armbeuge
weich zu werden, zu rufen: ein Gedicht für diesen Augenblick
schön muss es sein, duften nach Pastinaken

Zeit, du vergehst gar nicht, du schleppst dich müde
ich bin es der eilt, wie ein Esel, dem man irrtümlich Drogen verabreichte
Ach, wegen dir habe ich Fieberblasen
aber warum sind die Beine nass?

Wie du es bravourös schaffst, heilst die Wunden
die du zugefügt hast
Zeit, dem Entflohenen nachzujagen, Ringe in die Quadrate
zu pressen. Später dann wird man sagen: es war ein goldenes Zeitalter
und jetzt, was sagt man jetzt? Die Erde spricht sich aus

Wir horchen und du, du Gehirnwäscherin, du Hirngespinst
das ganze Leben klebst du mir an den Waden
einmal wirst du meine Hand halten bis sich das Weiße
im Auge verfinstert, dann erlöschen alle Gezeiten

*

Aus dem Lyrikband „Male dein Schweigen“ (Pop-Verlag)

© 2023 Irena Habalik
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