Von Michelle Pyritz
Stille. 24 Stunden ein und dieselbe Wand. Angst. Und die ständige Sorge darum, was als nächstes passieren würde. Die Haut ist eingefallen. Die Gesichtsfarbe ähnelt einer Leiche. Jeder kämpft nur für sich. Aber ich habe den Kampf längst verloren. So fühlt sich aufgeben an.
Du sitzt dort und hoffst und bangst, dass dein Blick ihn nicht provoziert. Deine Worte nicht zu laut sind. Der Rücken ist nass kalt. Genauso fühlt sich ständige Angst an. Der Kopf ist immer hellwach. Adrenalin stoßt dauerhaft durch die Venen.
Das passiert, wenn dein zu Hause zum Gefängnis wird.
Ich sitze in meinem und alles was ich habe, sind meine Gedanken. Mein Leben lang begleiten sie mich schon. Immer freundlich, immer in Liebe. Aber heute sind sie verändert. Sie sind nicht mehr freundlich, sie haben seinen Ton angenommen. Sie haben seine Worte einfach übernommen, wie eine neu bespielte CD.
Sie sind böse, feindselig und voller Kritik.
Um aus diesem Gefängnis auszubrechen braucht man viel Mut. Diesen habe ich verloren. Die Stimme in meinem Kopf, die mich so treu begleitet hat, ist auch gegen mich.
Wem soll ich trauen, wenn nicht mir selbst?
Wenn sich Hoffnungslosigkeit in mir breit macht, fühlt sie sich wohl. Also gebe ich ihr, was sie will, um mich ein klein wenig besser zu fühlen.
„Warum guckst du schon wieder so depressiv?“, fragt er so, als könne er meine Gedanken lesen. Ich weiß, dass jedes Wort falsch sein könnte. Wie bei einem Tier macht sich mein ganzer Körper bereit für das, was gleich passieren wird.
„Seit wann interessiert dich denn wie ich gucke?“, die feindselige Stimme wird jetzt laut. Meine echte ist mittlerweile vollends verstummt und liegt irgendwo in der Ecke, stumm und traumatisiert.
„Warum bist du so frech? Kann man dir keine normale Frage stellen ohne so eine blöde Gegenfrage von dir zu bekommen? Wie kann man so ekelhaft sein?“
„Der Mensch passt sich an. Das ist meine Geschichte. So wurde ich zum ekelhaftesten Mensch Deutschlands…“, das letzte Wort konnte ich kaum noch aussprechen. Und Bam. Der erste Schlag geht direkt in den Magen. Ich krümme mich auf den Boden und merke die Tritte kaum, die gegen die Rippen gehen. Ja, der Mensch passt sich an. Und der Mensch gewöhnt sich an alles. Ich nehme die Prozedur hin, wie lästiges Beine rasieren im Sommer.
Er setzt mich, nachdem er fertig ist, auf und versucht in meinem Gesicht zu lesen, ob ich jetzt wieder normal und hörig bin.
„Nochmal die Frage. Warum bist du so ekelhaft?“
„Weil du ausgesucht hast mich zu lieben.“
Ruhe. Stille. Das einzige, was ich noch mitbekommen habe, war seine Hand, die meinen Oberkörper gegen den Türrahmen geschleudert hat. Es wurde warm um meinen Kopf. Kein Schmerz, absolute Stille. Sein Gesicht unter Schock, seine Augen weit aufgerissen. Ich höre seine Worte nicht mehr. Alles ist warm. In mir ist kein Schmerz mehr. Ich schaue nach links und sehe überall rot.
Meine nette Stimme ist erwacht und sagt mir, dass ich loslassen soll. Der Schmerz, die Wut, die Angst- das ist jetzt alles vorbei. Es gibt niemanden mehr, der uns weh tun kann. Niemanden, der uns Hoffnung macht und dann am Ende doch nicht hilft. Aber sie muss nicht mehr viel sagen. Es ist nach langer Zeit das schönste Gefühl meines Lebens. Es ist warm, ohne Schmerz. Ohne Angst. Die Stille ist wunderschön – also gebe ich mich ihr hin. Und lasse los.
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© 2023 Michelle Pyritz
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