Anmerkungen zum literarischen Schreiben

Von Johannes Morschl

Hier geht es nicht um praktische Vorschläge zum literarischen Schreiben, das so wie jedes künstlerische Schaffen ein Akt der Selbstverwirklichung und Selbstbehauptung ist, sondern um einige Anmerkungen dazu und ein wenig Wissen darüber. So wie bei jeder selbstständigen künstlerischen Tätigkeit tritt man beim literarischen Schreiben mit sich selbst in Begegnung. Dazu braucht es Mut zum Schauen in sich selbst, in seine Liebe, Sehnsucht, Trauer, Wut, Schuld, Angst und Verzweiflung, in seine Träume und inneren Widersprüche, in seine Erfahrungen mit Menschen, Tieren, Dingen, Landschaften, in besondere Ereignisse in seinem Leben und um sein Leben herum. Man nimmt seine Grenzen, auch die unumstößliche Gewissheit der eigenen Sterblichkeit wahr. Man schmiedet seine Erfahrungen, Einsichten, Gefühle und Fantasien in Worte, Sätze, Gedichte, Geschichten, Szenen, Dialoge um. Bei manchen scheitert das literarische Schreiben an ihren Vorurteilen, an ihrer Angepasstheit an die Gesellschaft, an ihrem Unvermögen, mehr als nur „originell“ zu sein. Sie mögen sich schriftlich gut ausdrücken können, vielleicht auch eine blühende Fantasie haben, aber beim Lesen oder Zuhören bei einer Lesung merkt man etwas Seichtes, Oberflächliches im Text. Der Autor oder die Autorin hat es nicht gewagt oder nicht vermocht, sich der Selbstbegegnung und Wirklichkeit der eigenen Welterfahrung zu stellen.

Sich künstlerisch auszudrücken bedeutet in der heutigen Auffassung von Kunst, ein autonomes Kunstwerk zu erschaffen, das keinen praktischen Zwecken dient, sondern einzig und allein der Selbstverwirklichung des Künstlers/der Künstlerin. Der Künstler/die Künstlerin erschafft aus innerem Drang eine Kunstwirklichkeit, die neue Perspektiven öffnet. Dies kann im Extremfall wie dem des Dadaismus mit seinem spielerischen und provokanten Umgang mit der Sprache zu einer vom Gewohnten völlig abweichenden Erfahrung führen. Kunst ist in gewisser Weise eine Antithese zur gesellschaftlichen Realität, – ein Heraustreten aus dem Reich des Nützlichen, Verwertbaren, aus vorherrschenden Sinngebungen und ästhetischen Normen in eine Sphäre des freien individuellen Ausdrucks. Der/die literarisch Schreibende bleibt – falls dazu fähig – nicht an vorhandenen Kulturkonserven kleben, sondern erschafft eine neue Art und Weise des Erzählens. Dies wird besonders in der Literatur der Moderne sichtbar. Man denke etwa an Werke von James Joyce wie Ulysses und Finnegans Wake. Nun kann und braucht nicht jeder/jede, der/die literarisch schreibt, in die Weltliteratur einzugehen. Ein solch hoher Anspruch kann sich als sehr hemmend erweisen. Es geht vielmehr darum, beim Schreiben die eigenen Themen, den eigenen Sprachausdruck, die eigenen Sprachbilder und den eigenen Sprachrhythmus zu finden, und nicht darum, irgendwelchen berühmt gewordenen Autor*innen nachzueifern oder sie zu imitieren versuchen.

Das Umschmieden eigener Erfahrungen, Gedanken, Fantasien und Gefühle in literarisches Schreiben kann – beabsichtigt oder nicht – auch dazu führen, dass der Autor/die Autorin zum Warner/zur Warnerin wird, der/die vor Entwicklungen warnt, die sich in der Gesellschaft zeigen oder anbahnen. So enthält die Kunst des 20. Jahrhunderts viele Symbole der Entfremdung und Angst. Der englische Dichter Wystan Hugh Auden gab mit seinem Gedicht Das Zeitalter der Angst (The Age of Anxiety, 1948) einer ganzen Epoche den Namen, – einer Epoche der Weltkriege, Revolutionen und Konterrevolutionen, der totalitären Regime, der Shoa, der Gulags und des ersten Abwurfs von Atombomben (1945 von der US-Luftwaffe auf Hiroshima und Nagasaki).

Viele Menschen fliehen ins Wegschauen, in die Verdrängung, in die Banalitäten des Alltags. Warum konnte ein Theaterstück wie Warten auf Godot von Samuel Beckett, in dem zwei Männer in ein unsinnig wirkendes, banales Gespräch verwickelt sind, während sie auf einen gewissen Godot warten, der nie erscheint, so erfolgreich werden? Das Stück spricht ein Gefühl der Entfremdung von uns selbst und der Welt an, und es spricht die diffuse Hoffnung auf eine Über-Person oder einen Gott an. Im Namen Godot steckt das Wort Gott, auf Englisch god, wobei man zu Godot auch assoziieren könnte: Gott-tot.

In gewisser Weise erfordert literarisches Schreiben ein Ringen mit den Göttern. Der/die literarisch Schreibende muss gegen die real vorhandenen Götter der Gesellschaft ankämpfen, gegen die Götter des Konformismus, des materiellen Erfolgs und der ausbeuterischen Macht. Auf der seelischen Ebene ist literarisches Schreiben auch eine Auseinandersetzung mit dem Tod und Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Da Künstler*innen oft sehr sensible, nicht selten zur Melancholie neigende Persönlichkeiten sind, kann diese Auseinandersetzung in Todessehnsucht umschlagen. Der Tod wird dann als letzter Ausweg aus einer unerträglich gewordenen Welt gesehen. So einige Autor*innen wählten aus unterschiedlichen Gründen den Freitod wie z.B. Karoline von Günderrode („Darum fort und fort ins Weite / Aus dem engen dumpfen Leben“), Heinrich von Kleist, Georg Trakl („Schwester stürmischer Schwermut / Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt / Unter Sternen / Dem schweigenden Antlitz der Nacht“), Wladimir Majakowski, Marina Zwetajewa, Paul Celan, um nur einige zu nennen. Literarisches Schreiben als Leidenschaft und Berufung ist also nicht ungefährlich. Der/die literarisch Schreibende ist aber im Grunde genommen ein Rebell/eine Rebellin gegen den Tod, der/die wie Jean Paul Sartre den Tod als Skandal ansieht. Er/sie ist auch ein Gebärender/eine Gebärende, der/die seine/ihre Geschöpfe aus dem Material der Sprache zum Leben erweckt. Dabei bewegt er/sie sich in einer Dynamik zwischen Schaffensdrang und Schaffenshemmung, der berühmt berüchtigten Schreibhemmung, unter der so manche Schriftsteller*innen schwer zu leiden hatten und haben. Sie ist der Fluch der kreativ Schreibenden. Im Extremfall führt sie dazu, nichts mehr zustande zu bringen.

Literarisches Schreiben ist primär Ausdruck der Persönlichkeit des/der Schreibenden, und sekundär Ausdruck einer Epoche, eines Kunststils, einer Kunstideologie und Ästhetik. Wie ich zu Beginn geschrieben habe, sehe ich im literarischen Schreiben einen Akt der Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung. Dieser kreative Akt findet in einem Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft statt. Je nachdem, ob eine Gesellschaft der Persönlichkeitsentfaltung, dem Individualismus mehr Raum gibt, oder ob sie das Kollektive über das Individuelle stellt, wird sich der/die Schreibende in seinem/ihrem Schaffensdrang in unterschiedlicher Art und Weise ausdrücken. Im zweiten Fall muss sich der/die Schreibende bis zu einem gewissen Grad an kollektive Normen, Vorgaben und Vorstellungen anpassen. Dadurch wird seine/ihre künstlerische Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung zwar eingeschränkt, aber sie bleibt dennoch vorhanden, denn ohne sie könnte kein originales Kunstwerk entstehen.

So bewegten sich z.B. die Schriftsteller*innen der DDR in dem Spannungsfeld zwischen geforderter Linientreue zur Kulturpolitik des Staates und persönlichem kreativen Ausdruck, und schufen dennoch bedeutende, die Fronten des Kalten Krieges zwischen Ost und West überschreitende Werke. Eine der bedeutendsten Schriftsteller*innen der DDR und überhaupt eine der bedeutendsten deutschen Schriftsteller*innen des 20. Jahrhunderts war meines Erachtens die 1900 in Mainz geborene Anna Seghers (Geburtsname Anette „Netti“ Reiling, den Namen Seghers nahm sie aus Bewunderung für den niederländischen Radierer und Maler Hercules Seghers aus dem 17. Jh. an), die schon vor ihrer Zeit in der DDR eine bekannte Schriftstellerin war. Einer ihrer großen Romane, Das siebte Kreuz, eine Geschichte über sieben geflohene KZ-Häftlinge, wurde 1944 von dem österreichisch-amerikanischen Regisseur Fred Zinnemann in den USA verfilmt. Anna Seghers war überzeugte Kommunistin, 1929 Mitglied der KPD geworden. In der DDR war sie viele Jahre Vorsitzende des Schriftstellerverbands der DDR (1952 – 1978). Als solche war sie aber durchaus nicht immer linienkonform. So stimmte sie gegen den Ausschluss des Dramatikers, Dramaturgen und Lyrikers Heiner Müller aus dem Schriftstellerverband der DDR, konnte sich aber nicht durchsetzen.

Ich kann hier nicht auf alle bedeutenden Schriftsteller*innen, Dichter*innen und Dramatiker*innen der DDR eingehen, das würde den Rahmen dieses Kurz-Essays sprengen. Da wären neben den bereits Genannten – Anna Seghers und Heiner Müller – noch eine ganze Reihe anderer zu nennen, u.a. Johannes R. Becher, Jurek Becker, Wolf Biermann, Johannes Bobrowski, Thomas Brasch, Volker Braun, Bertolt Brecht, Franz Fühmann, Peter Hacks, Stefan Heym, Wolfgang Hilbig, Peter Huchel, Hermann Kant, Sarah Kirsch, Reiner Kunze, Erich Loest und Christa Wolf. Ich möchte aber im Zusammenhang mit vom Staat geforderter Linientreue und damit kollidierenden künstlerischen Positionen und persönlichen Haltungen skizzenhaft auf Bertolt Brecht, Thomas Brasch und Wolf Biermann eingehen.

Brecht ging nach seiner Rückkehr aus dem Exil in den USA zuerst nach Zürich, Österreich und dann nach Ost-Berlin in die SBZ (Sowjetische Besatzungszone, ab 1949 DDR). Seine Form des „epischen Theaters“ stieß bei den Kulturfunktionären der DDR immer wieder auf Kritik, da es nicht der Doktrin des Sozialistischen Realismus entsprach. Nach der Niederschlagung des Bauarbeiteraufstands am 17. Juni 1953 in Ost-Berlin schrieb Brecht das berühmte Gedicht Die Lösung:

„Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?“

Von den ehemaligen DDR-Autor*innen fühle ich mich am stärksten mit dem Schriftsteller, Lyriker, Dramatiker, Regisseur und Übersetzer einiger Theaterstücke von Shakespeare Thomas Brasch verbunden, vor allem wegen seines ganz eigenen Stils, aber auch wegen seiner rebellischen Persönlichkeit. Er stammte aus einer höheren SED-Funktionärsfamilie, sein Vater war eine Zeit lang stellvertretender Minister für Kultur der DDR. Als der 1968 zur Prenzlauer Berg-Boheme gehörende 23-jährige Thomas Brasch gemeinsam mit seiner damaligen Freundin, der Liedermacherin Bettina Wegner, Flugblätter gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch russische Panzer in Hausbriefkästen in Ost-Berlin einwarf und dabei erwischt wurde, wurde er zu einer längeren Haftstrafe verurteilt, nach 11 Wochen Gefängnis aber auf Bewährung entlassen. Er wurde dazu verdonnert, den Rest der Strafe als Arbeiter in der Produktion abzuleisten. 1976 – kurz nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR – übersiedelte er mit seiner Freundin, der Schauspielerin Katharina Thalbach nach West-Berlin. 2001 starb er im Alter von 56 Jahren an Herz- und Lungenversagen in Folge eines jahrelangen übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsums (Kokain). In West-Berlin wurde zuerst sein noch in der DDR entstandener Prosaband Vor den Vätern sterben die Söhne veröffentlicht (Rotbuch Verlag, 1977). Dieser Prosaband wurde im Westen als Anti-DDR-Buch gepriesen und damit propagandistisch reduziert. Was Brasch da zum Beispiel über automatisierte Produktion in einem DDR-Betrieb und den Stress, die von der Betriebsleitung geforderte Stückzahl zu erreichen, schrieb, so wie über den Alkoholismus bei den Werktätigen, erinnerte mich stark an meine eigenen Erlebnisse als Aushilfskraft in den Wiener Ziegelwerken und später in Westberliner Fabriken. (Zu einigen meiner diesbezüglichen Westberliner Erlebnisse siehe meinen in der Textmanege vom März 2022 veröffentlichten Text Episoden aus dem Leben eines Exil-Wieners in West-Berlin). Wer sich über das Leben von Thomas Brasch informieren will, dem empfehle ich den Film „Lieber Thomas“, seit Kurzem auch in der Mediathek des Fernsehsenders arte zu finden.

Und dann Wolf Biermann. Ich kannte schon Lieder von ihm, als er noch in Ost-Berlin lebte und seine Lieder dort verboten wurden. Ein Bekannter von mir hatte sie in Ost-Berlin auf Tonband aufgenommen und aus der DDR geschmuggelt. Biermanns Lieder wie z.B. das Lied Ermutigung – „Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit, die all zu hart sind, brechen…“ – ermutigte auch uns kleines Häuflein junger antiautoritärer Linker in Wien, zu dem ich damals gehörte. Der Dichter und Liedermacher Wolf Biermann, der als junger überzeugter Kommunist von Hamburg in die DDR übersiedelte, nahm mit der Zeit eine immer kritischer werdende Haltung zu Staat und Partei (SED) ein. Er bekam schließlich Auftrittsverbot und seine Lieder wurden in der DDR verboten, sie wurden aber in oppositionellen Kreisen unter der Hand weitergegeben. Dabei musste man äußerst vorsichtig sein, um keine Schwierigkeiten mit der Stasi (Staatssicherheit) zu bekommen. Man ließ Biermann 1976 zu einem Auftritt in Köln, zu dem er eingeladen worden war, aus der DDR ausreisen, ließ ihn allerdings danach nicht mehr in die DDR zurück einreisen und er wurde aus der DDR ausgebürgert, was zu Protesten von Künstler*innen der DDR wie einem Offenen Brief an die Staats- und Parteiführung gegen die Ausbürgerung Biermanns führte, den u.a. auch Thomas Brasch unterschrieben hatte.

Der heute vorherrschende individualistische Typus des Künstlers/der Künstlerin hat seinen Ursprung in der Genie-Vorstellung vom Künstler in der Renaissance. Der Geniebegriff der Renaissance bedeutet die Vergöttlichung des Menschen als einer schöpferischen Persönlichkeit, wobei das Bild vom Schöpfergott, wie es in der jüdisch-christlichen Tradition in der Genesis beschrieben wird, in den Menschen selbst verlegt wird. Soziologisch bedeutet dies die Schaffung und Anerkennung des Typus „Genie“ als eines für die Gesellschaft hochwertigen Kulturfaktors. Der Künstler/die Künstlerin wird selbst zu einer Art von Schöpfergott/göttin. Er/sie entwickelt seinen/ihren besonderen individuellen Stil, der sich zwar noch an Vorbilder hält, aber gleichzeitig über die vorherrschenden literarischen Stile und ästhetischen Vorstellungen hinwegsetzt und mit neuen Ausdrucksformen die Grenzen der Tradition überschreitet.

Während Sigmund Freud künstlerisches Schaffen als Sublimierung des Sexualtriebs ansah, – nicht nur meines Erachtens eine zu einseitige Auffassung -, wäre es viel interessanter zu untersuchen, welche Voraussetzungen es einem Menschen ermöglichen, künstlerisch tätig zu werden. Im Unterschied zum gehemmten Künstler/zur gehemmten Künstlerin, der/die wegen zu hoher Ansprüche an sich selbst und wegen zu negativer Selbstbeurteilung die eigene Persönlichkeit nicht voll akzeptieren kann, stellt der künstlerisch kreative Typus das Gegenstück dar. Er/sie akzeptiert seine/ihre Persönlichkeit mit ihren Licht- und Schattenseiten, und in einer übersteigerten Form glorifiziert er/sie sogar das eigene Selbst. Dies kann nach außen hin abstoßend wirken, wenn einer/eine – so gut er/sie auch schreiben mag – eine Geniereligion mit eigenem Personenkult vertritt, wie es bei dem symbolistischen Dichter Stefan George der Fall war, zu dessen Kreis junger männlicher Verehrer der spätere Hitler-Attentäter Claus Schenck Graf von Stauffenberg und dessen Brüder gehörten.

Aber ein gewisses Selbstbewusstsein gehört zum Schreiben dazu, denn der/die literarisch Schreibende wird von niemandem zum Künstler/zur Künstlerin ernannt, sondern kann sich nur selbst zum Künstler/zur Künstlerin ernennen, unabhängig davon, ob seine/ihre Umwelt ihn/sie als solchen/solche akzeptiert oder nicht. Diese Selbsternennung muss er/sie dann durch sein/ihr Werk vor sich selbst rechtfertigen. Der Akt der Selbsternennung zum Künstler/zur Künstlerin, der auch eine gewisse eigene Persönlichkeitserhöhung mit der Gefahr zum Größenwahn in sich birgt, ist die Grundvoraussetzung für den künstlerischen Schaffensprozess. Dem künstlerischen Schaffensdrang liegt nicht nur die bei allen Menschen vorhandene Dynamik zwischen Antrieb und Hemmung (Angst, Selbstzweifel) zugrunde, sondern es kommt noch der individuelle Willensakt hinzu, den Weg des Künstlers/der Künstlerin zu gehen.

Durch die Selbsterhöhung und Selbsternennung zum Künstler/zur Künstlerin hebt sich die Person aus der Gemeinschaft heraus, was auf der lebenspraktischen Ebene zu schweren Konflikten führen kann, vor allem in Diktaturen. Man denke etwa an das Schicksal des russischen Dichters Ossip Mandelstam, der sich nicht der offiziellen Kunstdoktrin in der Zeit nach der russischen Revolution unterordnete und im Zuge der stalinistischen „Säuberungen“ in ein Straflager in Sibirien deportiert wurde, wo er zu Tode kam. (Nach einer anderen Version kam er aus dem Lager zurück und wurde von den in Russland einmarschierten Deutschen im Zuge von deren Massakern an den russischen Juden ermordet.) Oder man denke an das Schicksal der großartigen russischen Dichterin Marina Zwetajewa, die nicht nur Männer, sondern auch Frauen liebte, und die sich 1941 erhängte, da sie nach ihrer Rückkehr von Frankreich nach Russland, – das Russland der Stalin-Ära -, isoliert blieb und geschnitten wurde, auch von ehemaligen Freunden wie Boris Pasternak. Oder man denke an die Autor*innen der Weimarer Republik, die in der Nazizeit expatriiert oder in Konzentrationslager gesperrt wurden. Man denke etwa an den anarchistischen Schriftsteller und Publizisten Erich Mühsam, der im KZ Oranienburg bestialisch misshandelt und ermordet wurde. Oder man denke an die vielen Autor*innen, deren Bücher in Deutschland öffentlich verbrannt und aus den Bibliotheken entfernt wurden. Viele emigrierten aus Deutschland und Österreich (nach dessen „Anschluss“ 1938). Thomas und Heinrich Mann, Erika und Klaus Mann, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Anna Seghers, Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Robert Musil, um nur einige wenige zu nennen, gehörten zu den Schriftsteller-Emigrant*innen. Oder man denke an den spanischen Dichter und Dramatiker Federico Garcia Lorca, der vermutlich nicht nur wegen seiner republikanischen Gesinnung, sondern auch wegen seiner Homosexualität von spanischen Falangisten erschossen wurde.

Die Selbsterhöhung und Selbsternennung zum Künstler/zur Künstlerin spiegelt sich bei Autor*innen in der je besonderen Formung des Sprachmaterials, die über ein nur unterhalten wollendes literarisches Produkt hinausgeht. Doch eigentlich bleibt die Entscheidung, den Weg des Künstlers/der Künstlerin zu gehen, das Hauptwerk, da alle anderen Werke nur Ausdruck dieser Entscheidung sind und Rechtfertigungen derselben darstellen. Die Entscheidung, diesen Weg einzuschlagen, geht einher mit einem Schaffensdrang, der zur Selbstverewigung tendiert. Der Künstler/die Künstlerin wehrt sich gegen das vergängliche Erleben des Ichs und zieht sich nicht selten aus dem Leben zurück, das für ihn/sie Vergänglichkeit und Hinfälligkeit bedeutet. Er/sie versucht im Schaffensprozess sein/ihr vergängliches Leben zu verewigen. Er/sie will den Tod in Leben verwandeln, verwandelt aber in gewisser Weise auch Leben in Tod, denn das fertige Werk lebt nicht nur weiter, sondern wird für ihn/sie auch abgesondertes Objekt. Der Schaffensdrang treibt ihn/sie zum nächsten Werk weiter. Es kann aber auch vorkommen, dass er/sie mit einem Werk nicht fertig wird, da er/sie es immer wieder überarbeitet und ergänzt. So ist zum Beispiel Robert Musil über seinem Opus Magnum Der Mann ohne Eigenschaften in der Emigration in der Schweiz gestorben (1942). Der umfangreiche Roman, an dem Musil viele Jahre gearbeitet hat, blieb unvollendet, und Musil hinterließ zusätzlich zum Fertigen noch viele Seiten von Entwürfen.

Zum Abschluss möchte ich zwischen zwei Typen der literarisch Schreibenden unterscheiden, – zwischen dem/der klassischen und dem/der romantischen Schriftsteller*in. Der/die klassische Schriftsteller*in drückt sein/ihr Selbst in der Verarbeitung des sozialen Erlebens aus. Man denke z.B. an die Romane von Lew N. Tolstoi, vor allem an den Roman Krieg und Frieden, in dem ein beeindruckendes Panorama der russischen Gesellschaft zur Zeit der napoleonischen Kriege entfaltet wird. Oder man denke an die Romane von Émile Zola. Er recherchierte akribisch die Milieus und Orte, in denen sich seine Romane abspielen. Welch ungeheure düstere Wucht hat sein vielleicht bester Roman Germinal. Oder man denke an den großartigen, auf eigenen Fluchterfahrungen beruhenden Roman Transit von Anna Seghers, in dem das Schicksal von Menschen beschrieben wird, die 1940 auf der Flucht vor der in Frankreich einmarschierten Hitler-Armee und dem mit Hitler kollaborierenden Regime von General Petain in Südfrankreich zu Tausenden in Marseille zusammenströmen, um noch in letzter Minute Ausreisepapiere und ein Schiff nach Übersee zu bekommen. Das Werk und die damit verbundene soziale Anerkennung, die Verewigung im kollektiven Gedächtnis, sind dem klassischen Künstler*in-Typus wichtiger als das persönliche Leben und Erleben, das ihm/ihr nur ein Mittel für sein/ihr Schaffen ist.

Anders ist es beim romantischen Künstler*in-Typus. Vorweg sei betont, dass ich hier nicht nur die im engeren Sinn zur Stilepoche der Romantik zählenden Autor*innen meine, sondern diesen Begriff in einem erweiterten Sinn verwende. Dem romantischen Künstler*inTypus ist sein/ihr Ich mit seinem/ihrem Erleben wichtiger oder genauso wichtig wie sein/ihr Werk. Sein/ihr Werk ist oft eine zwanghafte Befreiung von inneren Nöten. Das künstlerische Schaffen ist ihm/ihr Überlebensmittel in einer nahezu selbsttherapeutischen Weise. Seine/ihre Kunst ist subjektiver, enger mit dem individuellen Leben verknüpft als die Kunst des klassischen Typus, die objektiver ist und mehr mit dem gesellschaftlichen Leben und mit der vorherrschenden Ästhetik verbunden bleibt. In der schreibenden Zunft ist der romantische Typus oft bei Dichter*innen vorzufinden. Man denke zum Beispiel an Georg Trakl, dessen inzestuöse Liebe zu seiner jüngeren Schwester Gretl in einigen seiner Gedichte mehr oder minder verklausuliert thematisiert wird, und der dem Alkohol und anderen Rauschmitteln zugeneigt war.

Abschließend bleibt zu sagen, es ist einerseits wunderbar, den Weg des Künstlers/der Künstlerin zu gehen, es ist aber kein leichter und kein gefahrloser Weg.

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© 2023 Johannes Morschl
Alle Rechte vorbehalten

Diesem Essay liegen zum Teil Gedanken aus dem Buch Kunst und Künstler – Studien zur Genese und Entwicklung des Schaffensdranges (Erstveröffentlichung 1932) des Freud-Schülers, Psychoanalytikers und Abweichlers von der Freud’schen Lehre Otto Rank zugrunde, der 1926 nach Paris ging und 1933 in die USA emigrierte. Eine seiner Schülerinnen in den USA war die in Frankreich geborene Pyschoanalytikerin und Schriftstellerin Anais Nin, mit der er auch eine Liebesaffäre hatte. Anais Nin, die in Paris eine Liebesaffäre mit dem US-amerikanischen Schriftsteller Henry Miller und auch mit dessen Frau June hatte, hat eines der berühmtesten Werke erotischer Literatur geschrieben: „Das Delta der Venus“.

Kleines Essay an Silvester

Von Pawel Markiewicz

Ich spüre eine unendliche Wonne, die mir ein Geist des Silvesters schenkt. Ich kann einfach zärtlich den Engeln die Seele geben. Ein Zauber des Abendrotes erwacht in meinem Innern. Die Ewigkeit ruft nach einem Traum, der so
anmutig glitzert. Der Flimmer der Sehnsucht offenbart eben pompöse Erfüllung, zu Silvester. An Silvester fließen
die Gedanken heimwärts zu deinen Schwärmereien. Eine ewige Heimatzauberei zu fühlen, bedeutet der Mythos von Arethusa und Alpheus, eine uralte Sage der Ewigkeit. In jedem Mythos schwelgt die schiere Phantasie, die nie verloren geht, sondern sie träumt immer noch. Arethusa war völlig verliebt in die Ergötzung an Artemis‘ Feuern, die lichterloh zu brennen schienen, erhellend manch selige Sternennächte. Ich liebe an Silvester den erfüllten Himmel
voller Barden aus Gestirnen her. Diese Barden sind eben Sternchen. Ich verspüre die Heimat um mich herum. Die Sterne sind ihre Begleiter. Kein Gefühl vergeht im dem Schneewind des Neujahres. Keine Phantasie wird verweht.
Ich fühle mich umarmt von hehren Geistern der Freiheit. Ein grenzenloser Frieden herrscht überall und funkelt wie diese winterliche Nacht.

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© 2023 Pawel Markiewicz
Alle Rechte vorbehalten

Die Angst vor dem Tod

Von Johannes Morschl

Der Mensch ist wie ein Hauch; seine Tage sind ein vorbeifliehender Schatten. (Psalm 144,4)

In seinem Buch Existentielle Psychotherapie weist der US-amerikanische Psychotherapeut und Romanautor Irvin D. Yalom (u.a. Als Nietzsche weinte, Die Schopenhauer-Kur) darauf hin, dass Psychotherapie unvollständig bleibt, wenn sie nicht den Zusammenhang der psychopathologischen Symptome mit der ständig unter der Oberfläche des Bewusstseins vorhandenen Angst vor dem Tod einbezieht. Yalom sieht im Tod die ursprüngliche Quelle der Angst und somit eine primäre Quelle der Psychopathologie. Die Urangst, die letztlich hinter allen anderen Ängsten steht, ist die Angst vor dem Tod als Angst vor dem „Nichtsein, das Nichtsein bleibt“ (Paul Tillich). Die Abwehr und Verdrängung dieser Angst blockiert das Selbst- und Welterkennen und verstellt die Öffnung zur Fülle des Lebens.

In der Welt sein ist Sein zum Tode, heißt es bei dem deutschen Philosoph Martin Heidegger in seinem bekanntesten und philosophisch einflussreichsten Werk Sein und Zeit (Erstveröffentlichung 1927). Die Gewissheit des Todes begleitet das Leben von Anfang an und löst eine latent vorhanden bleibende Grundangst vor dem Erlöschen im Nichts aus. Diese Angst ist wegen ihrer Unbestimmtheit, die auf ein Nichts und Nirgends verweist, unheimlich. In dieser Unheimlichkeit der Angst erleben wir uns ungeborgen in der Welt. Wir neigen dazu, diese Unheimlichkeit und Ungeborgenheit zu verdrängen und im alltäglichen gesellschaftlichen Getriebe unterzutauchen. Wenn wir uns dies bewusst machen, können wir aus dem Zustand der Seinsvergessenheit in den Zustand der Entschlossenheit zum Sein wechseln, die letztlich auch eine Entschlossenheit ist, sich handelnd schuldig zu machen und den Tod in Kauf zu nehmen.

Bei Heidegger darf nicht unerwähnt bleiben, dass er bereits 1932 die NSDAP gewählt hat und ihr am 1. Mai 1933 beitrat. Er blieb bis Ende des Zweiten Weltkriegs Parteimitglied von ihr. Er sah die Entschlossenheit zum Sein in der nationalsozialistischen Bewegung verkörpert, wobei sie ihm diesbezüglich noch zu wenig radikal war. Auch entpuppte er sich nach der posthumen Veröffentlichung seiner Schwarzen Hefte als übelster Antisemit, der sich eine Welt ohne Judentum wünschte. Paradoxerweise hatte er, als er noch außerordentlicher Universitätsprofessor in Marburg in der Weimarer Republik war, ab 1927 (nach Veröffentlichung von Sein und Zeit) ein außereheliches Liebesverhältnis mit der jüdischen Studentin Hannah Arendt. (Wer sich für diese seltsame Beziehung der beiden so gegensätzlichen Persönlichkeiten interessiert, dem empfehle ich das Buch von Antonia Grunenberg, Hannah Arendt und Martin Heidegger : Geschichte einer Liebe, Piper 2006.)

Der in den vorherrschenden Gewohnheiten, in der kulturell-gesellschaftlich geprägten Normalität des Alltags untertauchende Mensch neigt dazu, vor seiner existenziellen Angst in Egozentrik, Selbstmitleid und Aggressionen gegen konstruierte Außenfeinde und Sündenböcke zu fliehen. Er verschließt sich geistig und emotional. Es fehlt ihm an Selbsttransparenz. Er kann nicht akzeptieren, nur ein endliches Ereignis des Seins zu sein.

Es gibt Situationen im Leben, um die wir nicht herumkommen und in denen die existenzielle Grundangst hervorbrechen kann. Der deutsche Philosoph und Psychiater Karl Jaspers nannte sie Grenzsituationen. Wir leiden, kämpfen, sind dem Schicksal unterworfen, verstricken uns in Schuld und müssen sterben. Im Alltag verschließen wir uns diesen Tatsachen und tun so, als wären sie nicht da. „Wir vergessen, dass wir sterben müssen, vergessen unser Schuldigsein und unser Preisgegebensein an den Zufall“, schrieb Jaspers in seiner Einführung in die Philosophie.

Grenzsituationen sind nicht nur Situationen, die Angst und Verzweiflung auslösen können, sondern sie können uns auch aus der Seinsvergessenheit, aus der Scheinsicherheit des Alltags wecken und dazu führen, unser Leben zu verändern. Wer seine Verletzlichkeit, Zerbrechlichkeit und Endlichkeit bewusst annehmen kann, der kann sich mit neuem Mut dem Leben zuwenden und aus der Angst und Verzweiflung in seine Würde und Kraft kommen.
Die Veränderung besteht darin, das vom Schicksal Geschickte bewusst anzunehmen. Man verstehe dies nicht falsch: Es bedeutet nicht, in Fatalismus zu verfallen und sich zum Beispiel widerstandslos staatlicher Missachtung der Menschenrechte und sozialer Ungerechtigkeit zu fügen. Es bedeutet nicht, auf die Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse und auf die Auseinandersetzung mit ihnen zu verzichten.

Der US-amerikanische Psychiater und Gestalttherapeut Arnold R. Beisser beschrieb in seinem Buch Wozu brauche ich Flügel?, wie er im Alter von 25 Jahren an Kinderlähmung erkrankte, die zu einer fast vollständigen Lähmung führte, und versuchte, mit dem schweren Schicksal zurechtzukommen, das ihn anfangs in den Abgrund der Verzweiflung gestoßen hatte. Mit der Zeit lernte er, das, was unumkehrbar war, anzunehmen, und das, was im Rahmen seiner schweren körperlichen Behinderung verändert werden konnte, anzugehen. Ausgehend von dieser Erfahrung entwickelte er die paradoxe Theorie der Veränderung, welche in die Gestalttherapie (begründet von Fritz und Laura Perls) Eingang gefunden hat. Beisser schrieb, dass Veränderung dann geschehen kann, wenn man akzeptiert, was man ist, jedoch nicht, wenn man versucht, etwas zu werden, das man nicht ist. Veränderung ergibt sich nicht aus dem Versuch, sie zu erzwingen, aber sie findet statt, wenn man sich die Zeit nimmt und die Mühe macht, zu sein, was man ist. Dies bedeutet, sich voll und ganz auf sein gegenwärtiges Sein einzulassen. Wenn Gefühle der Angst, Ungeborgenheit, Ohnmacht und Hilflosigkeit hochkommen, hilft nicht ihre Bekämpfung, nicht der Versuch, sie weg zu therapieren. Vielmehr helfen das bewusste Wahrnehmen, das bewusste körperliche Spüren der Angst, Ungeborgenheit, Ohnmacht und Hilflosigkeit, das bewusste und achtsame Annehmen dieser Gefühle und Hindurchgehen durch sie. Dies führt paradoxer Weise zu einer emotionalen Veränderung und Stärkung.

In diesem Zusammenhang muss auch unbedingt der berühmte britische Astrophysiker und Sachbuchautor Stephen Hawking (Eine kurze Geschichte der Zeit, Das Universum in der Nussschale, Kurze Antworten auf große Fragen) genannt werden. Bei ihm wurde im Alter von 21 Jahren eine Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert, in deren Folge er seine motorischen und sprachlichen Fähigkeiten verlor und schließlich nur noch über einen Sprachcomputer kommunizieren konnte. Er war verheiratet und hatte eine Tochter und einen Sohn. Im Nachwort zu seinem Buch Kurze Antworten auf große Fragen schrieb seine Tochter Lucy Hawking: „Mein Vater gab nie auf, er wich nie vor einem Kampf zurück.“ Und: „Er litt, aber er gab nicht auf.“

Wir neigen dazu, die Angst vor dem Nichts und Nirgends abzuwehren und zu verdrängen. Wir versuchen, sie mit Hilfe religiöser Vorstellungen von der Unsterblichkeit der Seele, vom Weiterleben in einem Jenseits oder von der Wiedergeburt (Reinkarnation) zu bannen. Wir verwandeln die Angst vor dem Nichts und Nirgends in die Furcht vor etwas Bestimmten, etwa in die Furcht vor den Umständen des Sterbens, vor dem Verlust von Menschen, Tieren und Dingen, an denen wir hängen und die wir im Tod zurücklassen müssen. „Aber letztlich sind die Versuche, die Angst in Furcht umzuwandeln, vergebens. Die Grundangst, die Angst eines endlichen Wesens vor der Drohung des Nichtseins, kann nicht aufgehoben werden. Sie gehört zur Existenz selbst.“ (Paul Tillich, Der Mut zum Sein)

Die Angst vor dem Nichtsein, das Nichtsein bleibt, ist die tiefste und am stärksten verdrängte Angst. Ihr nahe steht die Angst vor dem Schicksal, vor dem Ausgeliefertsein an die Macht des Zufalls. Angst macht dabei die „Irrationalität, die undurchdringliche Dunkelheit des Schicksals. Aber die relative Bedrohung ist nur Bedrohung, weil im Hintergrund die absolute Drohung steht. Das Schicksal würde keine unausweichliche Angst erzeugen, wenn nicht der Tod dahinter stünde.“ (Tillich)

Manche Psychotherapeuten und Psychiater sehen in der Angst nur ein psychopathologisches Phänomen, das sie durch Beseitigen heilen wollen. Sie übersehen dabei die in der Sterblichkeit liegende Wurzel der Angst. Diese existenzielle Grundangst kann nicht beseitigt werden. „Der Psychiater, der behauptet, dass Angst immer pathologisch sei, kann nicht leugnen, dass die Krankheit in der menschlichen Natur potentiell immer gegenwärtig ist. Er muss dem Vorhandensein von Endlichkeit, Zweifel und Schuld in jedem menschlichen Wesen Rechnung tragen. Unter seiner eigenen Voraussetzung muss er die Universalität der Angst anerkennen.“ (Tillich)

Die existenzielle Grundangst gehört zum Menschsein dazu. Wir können ihre pathologischen Formen analysieren und mildern. Wir können Verhaltensweisen trainieren, um mit neurotischen Ängsten besser umgehen zu lernen. Wir können die Übernahme von Ängsten aus dem Familiensystem aufdecken und bei den Personen lassen, von denen wir sie übernommen haben. Wenn uns die Angst derart überschwemmt, dass wir handlungsunfähig werden, können wir uns notfalls Psychopharmaka verschreiben lassen, die helfen, sich angstfreier in der Umwelt bewegen zu können. Am Grund der Existenz aber bleibt die Angst vor dem Nichts und Nirgends. Es geht nicht, diese existenzielle Angst weg zu therapieren, so wie es nicht geht, unsere Sterblichkeit weg zu therapieren.

Aus meiner Sicht geht es vielmehr darum, sich der Grundangst in der Offenheit hin zum Sein, das Leben gewährt, trägt und wieder zurücknimmt, zu stellen. Hilfreich ist dabei das Sich-Spüren im Hier und Jetzt, das bewusste Wahrnehmen und Zulassen von allem, was hier und jetzt auftaucht. „Lass die Vergangenheit ruhen und vergiss die Zukunft. Ich werde dich das Jetzt lehren“, heißt es im buddhistischen Majjhima-Nikaya. Gelingt dies, so kann sich der Nebel der Anhaftungen an die Daseinsgebilde lichten und wir können jenen Zustand erreichen, der im apokryphen Thomas-Evangelium mit den Jesus-Worten benannt wird: „Seid Vorübergehende.“ In diesem Satz ist unsere Vergänglichkeit, nur für eine kurze Zeitspanne Gäste in der Herberge des Diesseits zu sein, vom Zustand des passiven Erleidens in den Zustand des bewussten Annehmens umgewandelt. Im bewussten Annehmen unserer Vergänglichkeit können wir inneren Frieden finden.

Nun könnte man gegen all dies einwenden, dass es nicht nur die Angst vor dem Tod, sondern auch eine Todessehnsucht gibt, die im Tod eine Erlösung von den Übeln der Welt sieht. In den KZs der Nazis sind Häftlinge in den elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun gelaufen, um dieser Hölle zu entgehen. Es gibt den Freitod, den viele Menschen gewählt haben und wählen, sei es zum Beispiel wegen einer unglücklichen Liebe, einer unheilbaren Krankheit, des Todes einer geliebten Person, einer unerträglich gewordenen Armut, einer totalen Vereinsamung, eines wirtschaftlichen Ruins, eines einen überschwemmenden Gefühls der Sinnlosigkeit des Lebens, usw. Der Freitod wird abwertend Selbstmord genannt. Er wird religiös und moralisch diffamiert. Er müsste aber ebenso als Menschenrecht anerkannt werden, wie das Recht auf Leben. (Diesbezüglich verweise ich auf das Buch Hand an sich legen – Diskurs über den Freitod von Jean Améry).

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© 2022 Johannes Morschl
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Farce

Von Marek Födisch

Nachrichten. Ruinen starren aus fensterlosen, verrußten Rechtecken ins Wohnzimmer, Trümmer, fliehende Menschen, wartend an Bushaltestellen, Reporter und Geschütze, Graben, Gräber, weinende Mütter, ein Greis am Küchentisch, allein unter einem zerstörten Dach.

Dann Berlin, am 9. Mai 2022. Ein Fahnenmeer in Farben eines angreifenden Staates, Augenglanz hier und da, Siegeslieder, später ein Autokorso. Jedes Schwenken, jedes Lächeln, jeder Schritt, jedes Skandieren, jeder Jubelschrei und jedes Rollen: eine Leichenschändung. Vermag sich die aufgewirbelte Indifferenz nicht setzen lassen, in den Tiefen und Untiefen, die ihr doch alle, oder fast alle, öffentlich vorgebt, für den Frieden und gegen den Faschismus zu sein, damit das zeitgleiche Morden, Bombardieren und Foltern als tatsächliches Morden, als Fakt, in ganzer Tragweite, an euer Feierufer schwappen kann? Schminken, kaschieren – oder gar den Badezimmerspiegel zertrümmern. Nein? Nadeschda Mandelstams Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe. In Anbetracht der hier Teilnehmenden: eine Farce.

Ukrainekrieg. Opferzahlen in einer Größenordnung, deren reale Dimension ein mitfühlendes Herz zerreißen würde. Und der Verstand weiß sich daher nur damit zu helfen, in die Abstraktion und Statistik zu fliehen, wenn überhaupt. Im schamhaften Glück der Ferne wage ich dennoch zu fragen: Wie fühlt sich wohl ein kleiner Kindersarg an, den man beim Abschiednehmen kurz mit den Händen berührt? Oder: wie sehen die Augen eines Vaters aus, die zwei Meter hinabblicken? Der Eindruck einer großen Heuchelei bäumt sich mir in einem Vergleich auf: einerseits ein berechtigtes Entsetzen über die Ermordung eines Kindes in irgendeiner deutschen Stadt, andererseits hunderte verschüttete Kinder, gestorben im Bombenhagel, dem ein jeweiliger Befehl vorausging. Dessen eingedenk – ein verstörender, exemplarischer Schwenk zurück, nach Berlin.

Es kann sein, dass ein mit Details versehenes Einzelschicksal schneller und tiefer unter die Haut dringen mag, aber …
Ein zorniges Dennoch spricht und schreit sich weiterhin in mir fest.

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© 2022 Marek Födisch
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Balance

Von Hannah Knaak-Völker

Zufriedenheit

Ein im Hong Konger Kloster Chi Lin zu lesender Spruch lautet:
„Suche beim Erledigen deinen Angelegenheiten nicht den einfachen Weg. Ohne Hindernisse wirst du stolz und extravagant. Solche Gedanken beeinträchtigen alle anderen. Daher betrachtet ein heiliger Mensch das Mühen als Weg zur Freiheit.“
Ein ewig stabil bleibendes, gleiches Zufriedenheitsmaß für den Rest meines Lebens würde sich jeden Tag wie den vorherigen anfühlen lassen. Die Gefühlsantwort auf dieses Zufriedenheitsniveau würde mir nach kurzer Zeit kein Glück mehr bescheren, auch wenn mich diese Menge Zufriedenheit möglicherweise einst zu Glücksgefühlen verführte. Es ist alles abhängig von den Proportionen.
Das Verhältnis eines Zustandes zu einem anderen; eine Veränderung, die eine Verbesserung eines Zustandes bewirkt – nicht eine quantifizierbare feste Qualität – erweckt Freude. Ohne die Beziehung, die den einen Zustand zum nächsten ins Verhältnis setzt, fällt es der Freude schwer sich von der Gewöhnlichkeit alltäglicher Langeweile hervorzuheben. Die Vergangenheit erscheint im Licht der Gegenwart und die Gegenwart im Licht der Vergangenheit.
Das Ringen um Glück bestimmt unser Verhältnis zu Glück und Unglück. Es muss viel und wenig Glück geben, weil viel nur im Verhältnis zu wenig, viel ist.
So kommt es häufig, dass ältere Menschen sich an kleinen Dingen, wie Blumen und Licht, leichter erfreuen als Workaholics mit ihren selbst angelegten Scheuklappen. Ihre Wertschätzung hat sich im Laufe des Lebens skaliert. Gutes wird nicht mehr leichtfertig hingenommen und Schlechtes nicht mehr als unüberwindbares Übel betrachtet. Großes und Unbedeutendes tritt in den Hintergrund – vielleicht ist nicht mehr viel Zeit, aber der Moment ist da, solange der Atem einen nicht im Stich lässt – , wenn nichts anderes mehr zählt, als ein weiterer Augenblick häufig verkannter Schönheit.
Die Bedeutung kleiner, schöner Dinge ist, dass sie die Abwesenheit des Beschwerlichen, Schmerzlichen, Hässlichen und Chaos in einem Moment anzeigen. Sie sind Freude und Erleichterung in einer Welt, in der immer etwas auffindbar ist, das es wert ist, die Augen zu verschließen und die Gedanken auf der Suche nach Leichtigkeit zu zerstreuen.
Doch mit Ruhe, Muße und Zeit drängen sich einem auch all die Dinge auf, die es wert sind, allen Sinnen ihr Sinnen zu erlauben.

Berge & Täler

Berge und Täler bedingen einander. Ohne sie wäre die Erde glatt, auf der zu wohnen zwar weniger anstrengend wäre, als sich mit Gebirgen und Schluchten abmühen zu müssen, aber da dieser Zustand auch der einzig bekannte wäre – und daher der normale – würde sich das Leben in Ermangelung eines Vergleichs nicht leichter anfühlen als sonst. Erst der Berg gibt der Ebene ihr bestechendes Qualitätsmerkmal der verheißenden Einfachheit.
Jede Wertschätzung benötigt der Hilfe eines Maßstabs: Der Berg muss beschwerlich sein, damit die Ebene erholsam und beflügelnd sein kann. Die Wertschätzung des Wanderns in der Ebene entsteht durch das Wissen um die Anstrengung einer Bergbesteigung.
Solange die Erinnerung an die Beschwerlichkeit des Berges existiert, profitiert das Gehen in der Ebene.
Wären wir Bergziegen oder Felswallabys und Felsbrocken und Klippen unser natürliches Habitat, wäre unser Klettern daran alltäglich – weder bemerkenswert, noch so anstrengend wie für den aufrechten Zweibeiner.

Licht & Schatten

So wie Berge und Täler einander definieren, benötigen sich auch Dunkelheit und Licht für ihre gegenseitige Existenz.
„Sowohl Licht als auch Schatten sind der Tanz der Liebe“ – Rumi, Mystiker (1207–1273).
Die Dunkelheit wirkt nur unheimlich, wenn der Blick ins Licht die kontrastierende Dunkelheit düsterer erscheinen lässt, als sie ohne den Vergleich erscheinen würde. Aus dem beleuchteten Haus sieht die Nacht viel schwärzer aus, als draußen auf dem Feld oder inmitten einer Waldlichtung, wo Mond und Sterne den Pfad beleuchten.
Nur weil die Sonne heller leuchtet als der Mond, ist die Nacht nicht zwangsläufig dunkel. Die Nacht bringt ihre eigene Leuchtkraft mit sich. Wenn der Mond sich ziert, sich zu zeigen, führt es nur dazu, dass die Sterne umso heller erscheinen. Man kann nur sehen, was eine Chance erhält, gesehen zu werden. Je länger die Dunkelheit währt, desto mehr Chancen des Sehens eröffnen sich dem geduldigen Auge, das Zeit besaß sich zu adjustieren.
Die Relevanz des Sehens – im physischen, wie im auf die Wahrnehmung des Lebens übertragenen Sinn – ist dadurch gezeichnet, dass was wir gewöhnt sind zu sehen, die individuelle Art die Welt zu betrachten beherrscht. Daher ist es so gefährlich immer nur dasselbe zu sehen oder nicht „alles“ oder zumindest vieles zu sehen.
Die Schönheit der Dunkelheit zum Beispiel kann nur sehen, wer in der Lage ist, die Angst zu überwinden, sich vom Licht zu entfernen. Man muss darauf vertrauen, dass einige Nächte vielleicht länger währen als andere, aber keine von ihnen ewig andauert.
Geht der Mond ungehindert von Störlichtern und düsteren Wolken am Himmel auf, sind weder das Leben noch die Nacht furchteinflößend.
Ein klarer Mond hilft der Klarheit der Seele.

Erfahrungen

Erfahrungen haben keine ihnen intrinsische Bedeutung – „sie sind, was sie sind“ – ihre Bedeutung erhalten sie durch unsere an sie vergebenen Interpretationen und Erklärungen für ihre Existenz. Der Wert, den wir Erlebnissen verleihen, bestimmt, wozu ihr Eigenleben, das wir ihnen einhauchen, wird. Die Erinnerung unserer Erfahrungen und der damit verbundene erdachte Sinn unserer Erlebnisse macht uns zu der Person, für die wir uns halten und wie die wir uns verhalten – oder denken, uns verhalten zu müssen.
Unsere Lesart entscheidet über Interpretation und Bedeutung der Vergangenheit. Dabei steht die Wahl zwischen einer Sichtweise, die durch das Verständnis von Schmerz eine Verbindung mit der Welt schafft, und einer, die die Abkehr von der so wahrgenommenen feindlichen Außenwelt bewirkt, wodurch Isolation und Abgeschiedenheit in den Vordergrund der gesamten Erfahrungswelt rücken.
Die Gewissheit, dass kein Mensch außerhalb seiner gaukelnden Gedanken mit seinem Leid wirklich allein sein kann, weil jeder irgendwann irgendwie unweigerlich leidet, verbindet das einsame Schicksal des Einzelnen mit denen Milliarden anderer. Ich wäre mir sicherer, weniger allein auf der Welt zu sein, wenn ich im Unglück versänke, als bei der Erfahrung des größten Glücks. Das Erkennen dieses Netzes geheimen Leids, welches die Welt umspannt, macht mich Teil von allem lebendigen, atmenden und fühlenden auf der Erde und verleiht mir mehr Kraft als ein einsamer Höhenflug, weil es erklärt, woher die Sehnsucht nach Schönheit und Leichtigkeit kommt, die alle Menschen vereint und sie bei Erhalt mit Erleichterung beglückt – eine alle vereinende Erleichterung durch das Spüren von Freiheit. Nichts lebendes kann frei von Schmerz sein. Aber wir haben immer Momente von Freiheit.
Obwohl sich jedes Schicksal vom nächsten unterscheidet, haben sie die Gemeinsamkeit, sich aus der Gesamtheit menschlicher Erlebnisse zusammenzusetzen. Wir auf diese Art robust geformten einzelnen Wesen erfahren Trauer, Leid und Unglück als notwendige, dem Leben intrinsische Kontraste für die hellsten und fröhlichsten Farben auf der Leinwand der lebenden Existenz, ohne die keine noch so gute Erfahrung in der Lage wäre in ihrer Schönheit zu leuchten und glänzen, zu flimmern und schimmern.

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©2022 Hannah Knaack-Völker
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Toilettenwissenschaften

Von Alexander Reisenbichler

Ein Zitat Goethes aus seiner Farbenlehre leitet diesen wissenschaftlichen Narrensaum ein, ein surrealer pseudo-wissenschaftlicher Text, während Goethes Farbenlehre durchaus ernst gemeint war, Goethe war immer sehr stolz auf seine wissenschaftliche Seite, die Entdeckung des Zwischenkieferknochens, den Menschen und Affen besaßen, und damit die Verwandtschaft von beiden bewiesen hätte.
Schweinetoiletten sehen auf den ersten Blick wie Plumpsklos aus, darin befindet sich ein Schwein, das die Exkremente auffrisst und im Koreanischen „Kot-Schwein“ (Ttong-dwaechi) genannt wird. Diese Schweine wurden dann gegessen. Heute noch selten anzutreffen, haben unsere Nachbarn ein solches zur Hochzeit ihres Sohnes ein halbes Jahr großgezogen, dann wurde es geschlachtet und verzehrt.

Wenn Kunst Wissenschaften geschäftig vergewaltigt

Es ist meinen Freunden und einem Teil meines Publici nicht unbekannt, daß ich seit mehreren Jahren verschiedene Teile der Naturwissenschaften mit anhaltender Liebhaberei studiere. Ich konnte mir in diesen Rücksichten den Wunsch nicht versagen, eine Anzahl Erfahrungen, an denen ich großes Vergnügen fand und die mir und anderen merkwürdig genun schienen, bekannt zu machen:
Der Abstand der Holzbretter mit Loch unserer Luxus-Plumpsklo-Ex-Schweintoilette zum Boden betrug ungefähr 1 Meter 50 cm, der mit Reisschalen und Asche überdeckte Kothügel hatte eine Seehöhe von ungefähr 30cm, also legte der fallende Kot – Gesäß- und Holzbretter-Abstand ungefähr 15 cm – 1m 35cm zurück. Bei meinen Sitzungen bzw. Hockungen fiel mir auf, dass ich überdurchschnittlich – Vergleichswert hierzu war meine unwissenschaftliche Annahme, die in einer hochwissenschaftlichen Studie wie dieser natürlich nichts zu suchen hätte, aber aufgrund fehlender Fliegen-Anscheiß-Statistiken musste ich mit diesen meinen Parametern Vorlieb nehmen – oft Fliegen zu- und Frösche angeschissen habe, pro Sitzung bzw. Hockung 0,8 Zuschissungen in einer Vergleichsperiode von einem Jahr. Der hohe Wert ergibt sich unter anderem auch aufgrund von multiplen Zuschissen, es gab aber auch wetter- und saisonal bedingte Perioden, in denen der Wert überdurchschnittlich sank, da im Winter das Autreten der Fliegen und Frösche numerisch sehr gering war.
Es verwunderte mich, dass die Zu- und Anschissungen sehr häufig waren, da ich annahm, dass die oculi compositi, also die Augen, die bei bestimmten Insekten aus mehreren zehntausenden Ommatidien, also Einzelaugen, bestanden, die bei räuberischen Arten oft bis zu 90% der Kopfoberfläche ausmachen, auch nach oben gerichtet sind. Nicht annehmend, dass die von mir zugeschissenen Fliegen Schäden der Facettenaugen oder Verschmutzungen der Chitinlinsen aufwiesen, musste ich feststellen, dass die Fliegen erst nach dem ersten Aufprall meines Kots auf dem Kothügel davonflogen, das heißt, dass die Fliegen, die sich auf den Aufprallpunkten des Kots befanden, hoffnungslos verloren waren und in der Statistik als ‘zugeschissen’ geführt wurden, die anderen aber erst durch den Zuschiss ihrer Artgenossen das Weite suchten. Obwohl diese Facettenaugen 300 Bilder pro Sekunde produzieren können, etwa fünfmal mehr als das menschliche Auge, konnten diese Superaugen ihre Besitzer, die Fliegen, nicht retten. Hier stellt sich natürlich die Frage der Sinnhaftigkeit der Evolution, wofür hat man sich so angestrengt, diese Augen zu evolutionieren, wenn sie dann erst nicht richtig funktionieren. Ich hatte das wissenschaftlich seltene Glück, Vergleichsprobanden in situ zu haben, die Frösche, denen es auch nicht gelang, sich dem herabfallenden Kot zu entziehen, die jedoch aufgrund ihrer Körpergröße nur an- und nicht zugeschissen wurden und so überlebten – Folgewirkungen des Anscheißens wurden hierbei nicht beachtet. Das Linsenauge des Frosches hat eine bewegliche und in der Größe veränderliche Linse, aber allerdings keine, wie es für Linsenaugen typisch ist, Fovea. Fovea wird der Bereich der Netzhaut genannt, auf der ein Bild mit der größten Schärfe dargestellt wird. Auch ist der Frosch kurzsichtig und kann somit nur in einem Bereich von ca. 15 cm vor seinen Augen scharf sehen. Das hat den Vorteil, dass der Frosch Objekte im Hintergrund nur verschwommen erkennen kann und im Vordergrund alles klar sehen kann. Weitere Daten des Froschauges, auf die später noch genauer eingegangen wird sind: Sehschärfewinkel von 7’, ein Gesichtsfeld von 330° bis 360° und eine Verschmelzungsschärfe von 48 Bilder pro Sekunde. Natürlich ist das wichtig, Sie sind eben kein Wissenschafter!
Die Augen des Frosches sind also nicht dazu geeignet, von oben herabfallende Objekte zeitgerecht zu erkennen, im Idealfall würde der Frosch den Kot erst 15cm über seinem Kopf erkennen, und hatte entsprechend der Formel der Gravitationskraft

kein entsprechendes Zeitfenster mehr, sich dem Kot zu entziehen.
Aufgrund meiner wissenschaftlichen selbstfinanzierten Studie habe ich festgestellt, dass unter bestimmten Bedingungen die Leistungskraft von Facettenaugen verschiedener Fliegen mit dem wissenschaftlichen Namen Brachycera und die Froschaugen des gemeinen grünen koreanischen Wiesenfrosches gleich ist, da der Fluchtweg beider Spezien mehr oder minder gleichzeitig erfolgte, der Frosch hüpfte nach einem Anschiss weg, die nicht zugeschissenen Fliegen nach Zuschiss ihrer Kameraden (Auf das ethische Problem der unterlassenen Hilfeleistung der überlebenden Fliegen werde ich später eingehen.). Ich hoffe der Forschung hiermit einen wertvollen Dienst erwiesen zu haben, immerhin haben wir bewiesen wie überschätzt die Evolution doch ist. Bei Anhängern der Kreationisten verschiebt sich die Schuldzuweisung natürlich etwas. Um meinen Ergebnissen statistische Signifikanz zu verleihen, werde ich meine Studien in diesem Kaliyuga natürlich weiter fortsetzen und rufe gleichzeitig auch zu interkulturellen Vergleichsstudien auf, etwa roter namibischer Baumfrösche, die aufgrund ihres Lebensraumes zwar sehr schwer anzuscheißen sind, aber trotzdem nicht als Probanden ausgeschlossen werden dürfen, da dies eine geographisch-lokale Diskriminierung darstellen würde. Auch rote namibische Baumfrösche haben ein Recht angeschissen zu werden.

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© 2022 Alexander Reisenbichler
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lockdown – reminiszenzen (szenarien zwischen pandemie & paranoia)

Von Heinz Erich Hengel

alle macht dem volke: doch das volk steht alledem macht- & hilflos gegenüber. volks-aufstände enden in auflaufformen. und erst recht das ablaufdatum. die menschen sind in ihren widersprüchen gefangen. stellt keine fragen und gehorcht! jahrzehnte- lang wird man getrimmt, verrückt zu werden. man muss entschlossen sein, offen gegen regeln zu verstoßen; und auszusteigen aus einer hierarchie, in der jeder dem nächsthöheren ständig in den arsch kriecht. das sagt bereits jerry rubin in ´do it. war früher das zerschlagen von porzellan ein sakrileg, so wird es später zu einer alltäg-lichkeit: tagtäglich neue scherbenhaufen. wem die stunde schlägt. jedenfalls ein schlag ins gesicht. und dann erst recht das gesicht verlieren. die einen finden das ganze großartig. auch wenn es ihnen im endeffekt an den kragen geht. wascht mir den hals und macht mich nicht nass! zuerst das wesentlichste. und zu allererst das wichtigste. was für die einen wichtig ist, kann für die anderen unwichtig sein. un-wichtigkeiten nehmen ihren lauf. und dazu dann noch unrichtig. musikanten betreten die bühne. die bühne aber ist abgebaut. säle sind geschlossen. tribünen eingestürzt. schauspieler im home-office. theaterbühnen & konzerttribünen im lock-down. stadt & land ist eingelockt. wie kann man die maschinerie zum stehen bringen? eine hand wäscht die andere. und tote fliegen im waschwasser. mutationen in den kläranlagen. armeen im untergrund. schutzsuchende im unterstand. ausgangssperre. militärhub-schrauber. hubräume werden zu relieflandschaften. das ganze land ist übersät mit zerschlagenem porzellan: niemand kann das übersehen; viele wollen es. früher gab es noch gasthäuser; heute muss man lange danach suchen. und gäste; heute negativ getestete, oder gar nur geboosterte geimpfte. es sollte jedenfalls mehr spaß machen, die revolution zu praktizieren, als zuseher zu all dem ungewollten irrwahn zu sein. oft hat es den anschein, als wollten die regierenden krisen provozieren, um so die menschen aufzuscheuchen und dazu zu zwingen versuchen, ihr leben über nacht zu ändern: die neue normalität. es ist verboten, das haus zu verlassen! doch soll man sich darauf verlassen können? schilder wurden aufgestellt: achtung, kampf-hunde. bitte unbeweglich stehen bleiben, falls sich ihnen einer der hunde nähert; und sie nicht kämpfen wollen. falls sie trotz des verbots das haus verlassen haben: achtung > porzellanscherben. die zuständigen leugneten, die schilder aufgestellt zu haben. die hunde befänden sich unter aufsicht in einem umzäunten zwinger. nie-mand wurde ja gezwungen. dann auf einmal waren die hunde verschwunden. die zwinger blieben zurück. und das zerschlagene porzellan. niemand wollte die scherben wegräumen. die warnschilder schienen niemanden (mehr) zu stören. die, die trotz des verbotes ihre häuser verließen, hatten anderes zu tun, als sich um schilder zu kümmern; und was darauf stand. einen standpunkt haben. auch wenn stillstand. lasst aus demonstrations- keine trauerzüge werden! wählt jene, die von den anderen abgewählt wurden. lasst euch von zerschlagenem porzellan nicht ab-schrecken. jeder ist des porzellans freund oder feind. feindbilder entstehen zuerst im kopf. ohne feindbilder nur bilderbuch-freundschaften. freundschaft. genossenschaft. die buhlschaft. so manche buhlen darum, wer mehr porzellan zerschlagen hätte. scherbenhaufen auf schritt & tritt. tritt-stein-bio-tope. zumindest schrittweise. auch wenn oft niemand den 1. schritt wagt. die einen sammeln den abfall – und werfen ihn dann weg; andere bewirtschaften ihn. nichts ist unmöglich; man kann alles tun. die einen sagen, dass sie protestieren, um ihre anliegen vorbringen zu können. die anderen sagen, dass sie ihre anliegen ohnehin durchsetzen würden. reisewarnungen & warnstreiks. während die einen bereits am boden liegen. die streikandrohung von sitzstreiks. niemand aber begreift, was er tut. tote taten in toten meeren. baum-stümpfe in toten gewässern. jeder kämpfer muss wissen, wie er das, was er be-kämpfen will, für sich nutzen kann. jede ideologie ist eine gehirnkrankheit. auch wenn porzellan zerschlagen worden ist: man sollte sich aber immer noch in den spiegel schauen können. und wenn nicht?… selbst eine revolution wird ein spiegelbild nicht revolutionieren können. vom falschen überzeugt zu sein, grenzt an fanatismus; oder ist jedenfalls fanatisch. auch wenn fanatismus oft aus frustrationserlebnissen ent-stehen kann. man muss aufpassen, dass spiegelbilder nicht zu bilderwelten werden. es gibt momente, da kann selbst auch das gewöhnliche zu einer illusion werden. zu alledem sollten derartige dinge jedenfalls zu denken geben. umsturz. sturzbäche. bachauen. aulandschaften. landschaftsmaler. zerschlagenes porzellan neben ge-schächteten schafen. geschlachtetes porzellan. scherbenhaufen in schlachthäusern. lasst euch bloß nicht unterkriegen! was ist das programm der regierung? – außer eine neue normalität, die die alte einengt. was aber, wenn das volk diese gar nicht will? das volk scheint seiner selbst entfremdet zu sein. es scheint, als würde die politik die menschen absichtlich entfremden wollen: so glauben sie, druck ausüben zu können. sie sind verhaftet wegen hausfriedensbruch. wir begehen keinen hfb. es ist egal, was sie tun: sie sind verhaftet! revolution darf nicht zu einem straßentheater verkommen. wenn politik zu einem debakel wird, so ist desaster vorprogrammiert. und ein malheur ist das allemal. wenn schweigen laut wird, dann ist es an der zeit! wenn die politik ein supermarkt ist. es dauert lang; aber dann. trillerpfeifen zur konditionierung. der karren steckt im dreck. für manche bedeutet das wort arsch bereits eine sexuelle erregung. das erste verbrechen besteht oft bereits schon darin, dass man atmet. man kann auch das gesetz brechen, ohne das eigene haus zu verlassen. auch wenn ohnehin lockdown herrscht. der vorwurf zur anstiftung einer revolution: wenn eine rede ohne wirkung ist, dann steht sie unter dem schutz der verfassung; wenn eine rede wirkung zeigt, dann ist der tatbestand der ´anstiftung zum aufruhr erfüllt. auch wenn der um-sturz in einer gartenlaube endet. gartenmöbel werden zu aufruhrrequisiten. porzellan in glasvitrinen. zersplittertes glas. epidemische konkretismen. verschwörungen als pyjama-parties im home-office. ideologische begriffe für begriffsstutzige. schlagzeilen werden zu zeilenparasiten. wenn willkür verordnet wird, so folgt kritiklosigkeit. in zeiten des corona-wahnsinns ist selbst der weisenrat ratschlaglos. um die einen zu retten, müssen die anderen sterben. und dazwischen waten die dritten in porzellan-scherben. auch rechenmodelle können porzellan zerschlagen. splitter in rachen-räumen. wenn die these zur antithese wird. heilsversprechen in rüttelgruppenwork-shops. aussagen werden gesucht, um in sackgassen zu landen. hinter hausmauern wird die vernunft mit füßen getreten; und der irrtum auf altären zelebriert. hülsen-früchtebrei in porzellanschüsseln. es ist kein ende in sicht. auch wenn die revolution ihre kinder frisst: eine revolution kann nie im sinne einer gebrauchsbeschreibung an-geleitet werden. die entdeckung des porzellans war eine revolutionäre leistung. und die kinder der revolution haben dann dieses porzellan zerschlagen. scherbenhaufen auf ansichtskarten sind für touristen ein beliebtes motiv. digitalität. inkontinenz. zebrastreifenfußgeherübergänge. linienführungsansprüche. wellenmortalitäts-panorama. klettergerüstbesteigung. aber es könnte auch anders sein! im worst-case jedenfalls ein unwort: unworte erst recht zur unzeit. worte & zeiten haben das por-zellan zerschlagen. zerschlagungswerte als wertmaßstab. splitterbomben. bomben-stimmung. stimmungsmache. mahnwache. wachzustand. zuständigkeit. keine bilder von scherbenhaufen: vertuscht; gelöscht; nie da gewesen. dafür haufenwolken; haufenweise. haufenwolkenreportagen. reporter ohne grenzen berichten von grenzenlosem vertuschungsmissbrauch. doch deswegen keine mop = missbrauchs-opferpanik. eine revolution muss sich auszahlen: und erst recht, wenn sie umsonst sein sollte. des kanzlers neue normalität: mürbgemachte & zermürbte. demon-strationen werden verboten. die einen fordern demonstrationsfreiheit; die anderen fragen, warum sie dann nicht die freiheit haben sollten, porzellan zerschlagen zu können. und die dritten fahren in urlaub, trotz lockdown; vielleicht zum golfen nach südafrika. wir fordern ein ende all des unfugs! entschlagt euch eures rede- und aus-gehverbots. entschlagt euch eures zwangsverordneten lockdowns. ein scherben-gericht sollte nicht das letzte gericht sein. nur allzu leicht kann sich die frage nach kritischem denken zu einer fallgrube entpuppen. und wieder andere verwechseln kritisieren mit verleugnen. man sollte den regierenden eimer & besen in die hand drücken, damit sie sich nützlich machen und straßen und plätze fegen; und die scherbenhaufen wegräumen. ich weiß nicht, ob es bereits erwähnt wurde: der führer trug den scheitel rechts. was dann später schon dazu reichte, ein rechtsradikaler zu sein. und das erst recht, wenn man nicht unbedingt dem mainstream folgte. stigma-tisierte. kollaborateure. jubelchöre. scherbenhaufen. die einen rufen: schafft das por-zellan ab; und die anderen: nieder mit dem schmutz. vergrabt wenigstens die scherben. soldatenstiefel müssen scherben überleben. soldatenstiefel zertreten die frische erde, unter der die scherben versteckt werden sollten. soldatenstiefel über-wachen das ausgangsverbot. hubschrauber kreisen über das land auf der suche nach etwaigen gesunden, die ihr haus verlassen haben. die, die in quarantäne sein sollten, bleiben unbewacht. dann eines tages das amtliche verbot: es ist verboten, auf der – oder: die – straße zu pinkeln. pinkeln als grund- & freiheitsrecht: wie kann es sein, dass die einen illegal, aber offiziell, über die grenze kommen und die anderen nicht auf die straße pinkeln dürfen? eine revolution muss fundamentale menschliche bedürfnisse befriedigen. einsamkeit hat die menschen erfasst. städte voll von ver-schlossenen türen und schildern mit der aufschrift: geschlossen/closed. shut-down. oder: verboten. straßen sind mit einsam- & trostlosigkeit gepflastert. leere säle sind zu seelengefängnissen geworden. wenn jemand zu jemand anderem ein wort sagt, so ist diesem bereits zu misstrauen. misstrauen lastet wie glatteis auf den pflaster-steinen. ein guter spaziergeher ist jener, der dem anderen ausweicht. ein guter auto-fahrer ist jener, der eine andere straße oder route wählt. sperrgebiete als regionale herrschaftsgebiete. nieder mit den lockdowns, fordern die einen; lockt sie ein, rufen die anderen. in sperrgebieten verhallen alle rufe & forderungen. es ist nicht mehr möglich, längere zeit ungestraft an einer straßenecke zu stehen und nichts zu tun. jeder will etwas tun; aber es wird ihm nicht gelassen. landfriedensbruch. bruchlinien als linienführung. die politik hat sich verschworen, der geschäftswelt den krieg zu er-klären. lockdowns in shutdown-zeiten. das leben auf der straße, in geschäften und lokalen wird zu einem verbrechen erklärt. in spgeb sollte aber selbst das porzellan vor dem zerschlagen sicher sein. spazierengehen ist illegal. und erst recht das mund-harmonikaspielen auf der straße; zumindest wegen der aerosole. für einen, der auf der / die straße pinkelt, besteht die große gefahr, in einem irrenhaus zu landen. auch wenn organisationsänderungen diese institution stark reduziert haben. zusammen-künfte auf öffentlichen straßen & plätzen unterliegen dem verbotsgesetz. auf nicht-öffentlichen orten droht eine bsk = besitzstörungsklage: sogar wenn man gar nicht dort ist. taxifahren gilt als ein verbrechen. illegale grenzübertritte werden toleriert. jeder, der einem anderen über den weg läuft, könnte ein potenzieller feind sein; mög-licherweise. in sperrgebieten ist es nicht unmöglich, dass denunzianten bespitzelt werden; und die polizeispitzel ihrerseits wieder die denunzianten denunzieren. die frage ist, ob sperrgebiete von revolutionen verschont bleiben. in sperrgebietghettos werden die gesetze des wirtschaftswachstums außer kraft gesetzt. für sperrgebiete braucht man keine eintrittskarten; und ihre enteignung ist ein leichtes. die einzige hoffnung besteht darin, dass es so viele ungeimpfte (ugi) gibt, dass es nicht mehr möglich ist, sie alle ob ihrer vielzahl denunzieren zu können. angst als versuch zu einem kommunalen schweigen und einer allgemeinen handlungsunfähigkeit. ge-horchen – oder durch das virus sterben… repressalien, erschwernisse, absper-rungen, wasserwerfer, knüppel & tränengas. es ist wahrlich zum weinen. eine gesell-schaft ist gespalten. das porzellan ist zerschlagen. der wille soll gebrochen werden. ein virus verleiht autorität; mutationen noch dazu eine moralische. hört auf damit! es hat noch gar nicht angefangen? wir wollen so leben, wie wir zuvor gelebt haben. wir lassen uns unseren willen zur befreiung der freiheit nicht durch politische repres-salien brechen. es darf nicht sein, dass durch repressalien proteste in kriegsge-schehen verwandelt werden; und dass beobachter & kritiker beseitigt werden. re-pression darf nicht dazu führen, dass ein virus zu king-kong mutiert. die zukunft darf nicht unterdrückt werden. pandemien dürfen nicht durch kriseneuphorie zum aus-bruch kommen. eine krise darf nicht die freiheit ersetzen! revolutionäre werden in die hallen der politik eindringen. der krieg findet in friedenszeiten statt. keine papiertoten auf hölzernen beinen und mutationen mit totenmasken. ein ende der vertuschungs-szenarien. ein ende der unvernunft; und der repressalien. am ende kein mn-schutz mehr beim schlafen. offene parkanlagen, waldränder, streuobstwiesen, offene sperr-gebiete, balkon- & zimmertüren. in der erkenntnislehre ist das kriterium kennzeichen für die wahr- oder falschheit eines satzes. wahrheit sei das sein desjenigen seienden, das wahr genannt wird; sagen die philosophen. was aber sagen sie zu der tatsache der immer wieder aufs neue mit füßen getretenen wahrhaftigkeit? wahrhaftig haben die lügner die wahrhaftigen schon overruled. szenarios gibt es genug; um nicht von wahn & schizophrenie überrollt zu werden. scheint wirklich nur mehr eine revolution dem ganzen irrsinn noch ein ende bereiten zu können?

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© 2022 Heinz Erich Hengel (Text & Bild)
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Christian Roßtäuscher

Von Susanne Ulrike Maria Albrecht

Noch zu Napoleons Zeiten wurde im Jahre 1805 Christian Roßtäuscher außerhalb der damaligen Zweibrücker Stadtgrenze geboren. Sein Vater, Valentin Roßtäuscher, war aus Thüringen nach Zweibrücken gekommen und arbeitete als Zimmermann und Flößer. Die Mutter hieß Elisabeth, geborene Brennemann. Seinen Vater verlor der junge Christian schon mit neun Jahren. Er starb an der vom zurückflutenden französischen Heer mitgebrachten „Kriegsseuche“, welcher damals viele Zweibrücker Bürger erlagen.

Die frühe künstlerische Begabung von Christian Roßtäuscher wurde vom ehemaligen Zweibrücker Hofmaler Christian von Mannlich bei seinem längeren Aufenthalt 1818 in der Herzogstadt erkannt und gefördert. Der junge Roßtäuscher kannte die mit nazarenischem Anklang gemalten Spätwerke Mannlichs in seiner Heimatstadt.

Wie jeden aufstrebenden jungen Künstler zog es Christian Roßtäuscher nach München, der bayerischen und damit auch pfälzischen Hauptstadt. Die Vorbilder Mannlichs im Gedächtnis war es ganz folgerichtig, dass er zu Peter von Cornelius an die Kunstakademie zur Ausbildung kam. Peter von Cornelius, 1783 in Düsseldorf geboren, schloss sich 1811 in Rom den Nazarenern an, einer Gruppe deutscher Maler, welche als ihr Ideal die religiöse und altdeutsche Kunst verstanden. Er wurde 1819 nach München berufen und war dort von 1824 bis zu seiner Berufung nach Berlin 1841 Direktor der Kunstakademie. Unter seiner Ausbildung wagte sich der junge Christian Roßtäuscher an die Ausführung eines großen christlichen Kultbildes „Die Darstellung Jesus“. Das verschollene Gemälde stellt sechs Personen dar: Den Heiland, Maria, Maria Magdalena und im Hintergrund die drei Lieblingsjünger von Jesus.

Wie Christian Roßtäuscher selbst über die später oft verächtlich behandelten Bilder religiösen Inhalts dachte, zeigt eine Tagebucheintragung: „Sind es die Zeitverhältnisse oder der religiöse Sinn, Geschmack oder Charakter des Publikums, dass es solche Sachen liebt, die unterhalten, romanhaft, modisch, närrisch, witzig sind und überhaupt ein effektvoll oberflächliches Ganze haben, Nußknackergeschichten oder eine Landschaft voll Ochsen und Esel? Wenn nur die Sache keine ernste Seite hat, die Verstand und Herz in Anspruch nimmt, so findet sie Tausende dieser gefühlvollen, zarterweichten Brünettenbeschauer als Verehrer.“

Aufgrund der hohen Qualität dieses Gemäldes hat König Ludwig I. dem jungen Maler Christian Roßtäuscher ein Stipendium für eine Studienreise nach Rom verliehen.

1835, kurz nach der Fertigstellung des Bildes, starb der begnadete Maler Christian Roßtäuscher auf der Reise nach Rom.

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© 2022 Susanne Ulrike Maria Albrecht
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Der Mensch in den unendlichen Weiten des Weltalls – Anmerkungen zu Blaise Pascal

Von Johannes Morschl

„Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich.“ (1)

Die Pensées (Gedanken), jene Sammlung von fragmentarischen Aufzeichnungen des französischen Physikers, Mathematikers, Erfinders, Philosophen und Laientheologen Blaise Pascal (1623 – 1662), berühren uns noch heute durch ihre die Existenz des Menschen in der Welt erhellenden Aussagen. Darunter befinden sich Abschnitte über die Natur des Menschen und über seine Position im Weltall, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben.

„Was ist der Mensch in der Natur? Ein Nichts im Hinblick auf das Unendliche, ein All im Hinblick auf das Nichts, eine Mitte zwischen dem Nichts und dem All, unendlich weit davon entfernt, die Extreme zu begreifen. Das Ende der Dinge und ihr Anfang sind in einem undurchdringlichen Geheimnis unüberwindlich für ihn verborgen. Er ist ebenso unfähig, das Nichts zu sehen, aus dem er gezogen ist, wie die Unendlichkeit, von der er verschlungen ist.“ (2)

Der Mensch befindet sich zwischen zwei Unendlichkeiten, – der des Mikrokosmos und der des Weltalls. Zu Pascals Zeit konnte man mit den ersten Lichtmikroskopen (um 1600 in den Niederlanden erfunden) die für das menschliche Auge ohne Hilfsmittel unsichtbare Welt des Mikrokosmos sichtbar machen und es offenbarten sich neue Welten im Winzigen. Ebenso konnte man mit den ersten astronomischen Teleskopen viel tiefer und genauer, als es dem menschlichen Auge bis dahin möglich war, in das Weltall schauen, und konnte eine Ahnung von dessen schier unendlichen Größe mit seinen unzähligen Himmelskörpern bekommen. Galileo Galilei (1564 – 1642) und Johannes Kepler (1571 – 1630) waren die ersten Anwender der Teleskop-Astronomie. So erscheint der Mensch als ein „All im Hinblick auf das Nichts“ und ein „Nichts im Hinblick auf das All“, der weder den Mikrokosmos mit seinen immer noch kleineren Teilchen, noch die Unendlichkeit des Alls bis in seine letzten Gründe erfassen kann.

Die Unendlichkeiten im Winzigen wie im Kosmischen haben sich durch unser heutiges Wissen noch vervielfacht. Die moderne Physik hat immer kleinere Teilchen entdeckt, angefangen von den Atomen, aus denen die Materie zusammengesetzt ist, und die wiederum aus Protonen, Neutronen und Elektronen bestehen, bis hin zu den Elementarteilchen und Antiteilchen der kosmischen Strahlung, zu den Quarks, Leptonen, Hadronen, usw. Aber mit jeder neuen Entdeckung entstanden und entstehen neue Fragen. Mit den heutigen Weltraumteleskopen können wir tiefer als je zuvor in die Raumzeit des Weltalls blicken, und wir wissen inzwischen, dass es Milliarden von Galaxien gibt. Über das Universum gibt es heute unterschiedliche Theorien bezüglich seiner Gestalt und Ausdehnung, die in der Regel von der Urknall-Theorie als Erklärung für seine Entstehung ausgehen, also für die Entstehung von Raum und Zeit aus einer Anfangssingularität, in der Raum und Zeit noch nicht vorhanden sind. Auch wenn der Mensch in seinen kleinsten Teilchen aus Sternenstaub besteht und insofern eins mit der kosmischen Materie ist, so ist er in seiner besonderen Gestalt als Landtreter auf der Oberfläche seines Heimatplaneten Erde nahezu ein Nichts im Universum.

So wie die Wissenschaftler heute – etwa in der Astrophysik oder in der biologischen
Entschlüsselung der Formbildungen von Lebewesen – mit jedem neuen Wissen auf neue Fragen, Rätsel und Grenzen stoßen, so erging es auch den Gelehrten und Wissenschaftlern des 17. Jahrhunderts, in dem es zu einem wissenschaftlichen und technischen Aufbruch kam, den wir als den Beginn der Moderne bezeichnen können. Pascal erlebte diese Grenzen in seinen Forschungen als Physiker und Mathematiker (3), und erkannte, dass das wissenschaftliche und philosophische Streben nach einem letzten Grund des Seins zum Scheitern verurteilt ist.

„Wo immer wir an eine Grenze zu geraten und festen Fuß zu fassen vermeinen, gerät sie in Bewegung und entgleitet uns; wenn wir ihr folgen, entzieht sie sich unserm Griff, entschwindet uns, in ewiger Flucht vor uns. Nichts bleibt vor uns stehen. Das ist der Zustand, der uns natürlich ist und trotzdem zu unseren Neigungen im größten Widerspruch steht; wir verbrennen vor Sehnsucht, einen festen Ort und ein endgültiges bleibendes Fundament zu finden, um einen Turm darauf zu erbauen, der sich bis ins Unendliche erhebt; aber alle unsere Fundamente bersten und die Erde tut ihre Abgründe auf.

Suchen wir also weder Sicherheit noch Festigkeit: Unsere Vernunft wird von der Unbeständigkeit der Erscheinungen beständig betrogen; nichts kann dem Endlichen zwischen jenen beiden Unendlichkeiten, die es umschließen und die ihm entgleiten, einen festen Standort verleihen.“ (4) Und „der geringe Anteil, den wir am Sein haben, verhüllt uns den Anblick des Unendlichen.“ (5)

Der Mensch befindet sich als endliches Geschöpf der Evolution in einer bodenlosen Situation zwischen Nichts und Unendlichkeit. Es gibt für ihn keine Sicherheit, kein festes Fundament für seine Existenz. Er kann sich Sicherheit auch nicht mit seiner Vernunft verschaffen, „die von der Unbeständigkeit der Erscheinungen ständig betrogen“ wird. Diese letztlich bodenlose Situation des Menschen wird im 20. Jahrhundert Martin Heidegger in Sein und Zeit (1926) als die existenzielle Ungeborgenheit des Menschen beschreiben, der er auch nicht durch seine zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften entgehen kann. Die Angst vor dem Tod als unbestimmte Angst vor dem Nichts verweist ihn auf eine unüberbrückbare Ungeborgenheit in der Welt. (6)

Pascals Sichtweise, dass der geringe Anteil, den wir am Sein haben, uns den Anblick des Unendlichen verhüllt, und dass unsere Vernunft von der Unbeständigkeit der Erscheinungen ständig betrogen wird, führt uns zur Reflexion des menschlichen Erkenntnisvermögens. Was können wir überhaupt erkennen und inwiefern geben unsere Erkenntnisse, seien sie nun durch die sinnliche Wahrnehmung oder durch das Denken gewonnen, die objektive Realität wieder? George Berkeley (1685 – 1753) und Immanuel Kant (1724 – 1804) sagten, dass es kein Objekt ohne erkennendes Subjekt gibt. Die körperliche Welt würde ohne erkennendes Subjekt wegfallen. Später heißt es bei Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) in Die Welt als Wille und Vorstellung, dass die Welt, wie wir sie wahrnehmen und wie sie in unser Bewusstsein tritt, nur in unserer Vorstellung existiert. Wir können nur in der uns spezifischen Art und Weise erkennen, d.h. in Ursachen und Wirkungen. Das Kausalitätsprinzip liegt demnach nicht in der Natur, sondern ist unsere Art und Weise, Vorgängen in der Natur einen Sinn zu geben, den sie an sich nicht haben. Schopenhauer stimmte insofern mit Pascal überein, als er sagte, dass wir innerhalb der Schranken unseres Wahrnehmungs- und Denkvermögens zwar zu einem gewissen Verständnis der Welt gelangen können, „ohne jedoch eine abgeschlossene und alle ferneren Probleme aufhebende Erklärung ihres Daseins zu erreichen.“ (7)

Pascals Aussage, dass der geringe Teil, den wir am Sein haben, uns den Anblick des Unendlichen verhüllt, verweist nicht nur auf die Grenzen unseres Erkennens, sondern ist bei ihm auch theologisch zu verstehen. Für ihn konnte nur Gott die letzte Ursache sein. Gott, der Schöpfer des Universums, entzieht sich aber unserer Erkenntnis, bleibt uns verborgen, ist uns ein „verborgener Gott“ (8), der nur mit dem Herzen, nicht aber mit der Vernunft gefunden werden kann. Man könnte von einem Versteckspiel Gottes sprechen: Er entzieht sich den Rationalisten und offenbart sich nur einigen leidenschaftlichen Suchern. (9) Für Pascal bestand der einzig mögliche Weg, mit der Endlichkeit, Unsicherheit und Beschränktheit der menschlichen Existenz leben zu können, in der Suche nach dem verborgenen Gott, in der Suche nach Zeichen, die dieser verborgene Gott in die Welt gesetzt hat.

„Was in ihr (der Welt) sichtbar wird, beweist weder die völlige Abwesenheit, noch die offenbare Gegenwart einer Göttlichkeit, sondern die Gegenwart eines Gottes, der sich verbirgt.“ (10) Gott entzieht sich dem Verstand, kann verstandesmäßig nicht erfasst werden. (11) Gott kann nur mit dem Herzen gefunden werden. Mit dem Verstand können wir unsere Grenzen erkennen und wir können erkennen, Gott verloren zu haben. Erst wenn wir erkannt haben, Gott verloren zu haben, im Herzen aber die Sehnsucht nach Gott, die Öffnung zu Gott da ist, können wir ihn suchen. Pascal widersprach aber den Mystikern, die sagten, man könne die Vereinigung mit Gott, die Unio mystica, durch Abgeschiedenheit und geistliche Übungen herbeiführen. Diese Vereinigung geschieht aber nur in unserer Einbildung, ist eine selbst suggerierte Vereinigung mit Gott. Unser Wille und unsere Vorstellungskraft können nur immanent etwas bewirken. Sie haben keine unsere Endlichkeit überschreitende Wirkkraft zum Göttlichen hin. Laut Pascal können nicht wir uns mit Gott vereinen, aber Gott kann sich mit uns vereinen. Er offenbart sich denen, die ihn mit dem Herzen suchen. Er zeigt sich den Suchenden in Zeichen, die Chiffren seiner verborgenen Anwesenheit sind. Er kommt zu uns, nicht wir kommen zu ihm. (12)

Auch wenn für Pascal Gott ein verborgener, sich dem Menschen entziehender Gott ist, so ist für ihn das Annehmen-Können der eigenen endlichen, winzigen Existenz im Weltall nur sinnvoll möglich, wenn wir uns als Gottes Geschöpfe erkennen. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts verkündete der sächsische Pfarrerssohn Friedrich Nietzsche, der sein Leben lang mit dem Christentum gerungen hat: „Gott ist tot.“ Bei ihm ist Gott nicht mehr verborgen, sondern endgültig verschwunden. Der Begründer des Existenzialismus Jean-Paul Sartre sagte 1945, wenn Gott nicht existiert, ist der Mensch verlassen und frei, – frei von vorgegebenen höheren Werten und moralischen Anweisungen. Er findet außerhalb von sich keine Entschuldigungen mehr für sein Verhalten. Es gibt keine Gnade Gottes. „Wir sind allein, ohne Entschuldigungen. Das möchte ich mit den Worten ausdrücken: der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.“ (13) Der Mensch findet auf der Erde kein göttliches Zeichen, das ihm Richtung weisen kann, wie noch Pascal glaubte. Und wenn der Mensch behauptet, eines gefunden zu haben, so ist dies bloß seine Einbildung. Der Mensch ist nach Sartre „in jedem Augenblick, ohne Halt und ohne Hilfe, dazu verurteilt, den Menschen zu erfinden.“ (14) Es gibt für den atheistischen Existenzialismus keinen höheren Sinn mehr. Die Existenz des Menschen, die Natur, der Kosmos sind an sich sinnlos, d.h. sie können auf keine äußere Sinn-Hierarchie bezogen werden, so wie dies in den früheren, noch nicht entzauberten Jahrhunderten noch möglich war, etwa nach dem Motto: Nach oben hin zum Göttlichen wird es immer lichter und reiner, nach unten hin zum Materiellen immer finsterer und schmutziger (z.B. bei Plotin in den Enneaden).

Die existenzialistische Seite bei Pascal, die auf das Geworfen-sein in die Welt bei Heidegger und Sartre, auf das Zu-sein-haben bei Heidegger und das Verurteilt-sein zur Freiheit bei Sartre vorwegweist, ist jene Seite, in der er drastisch die Verlorenheit und Einsamkeit des Menschen in den unendlichen Weiten des Weltalls beschreibt. Der Mensch weiß allerdings von seiner Sterblichkeit und Verlorenheit. Dieses Wissen ist ein erschreckendes und doch auch ein selbstbewusstes Wissen.

„Wenn ich die Verblendung und das Elend des Menschen sehe, wenn ich das ganze stumme Weltall betrachte und den Menschen: Ohne Licht, sich selbst überlassen und verirrt in diesem Winkel des Weltalls, ohne zu wissen, wer ihn dahin gestellt hat, wozu er dahin geraten ist, was aus ihm werden wird, wenn er stirbt, unfähig jeder Erkenntnis – kommt das Entsetzen über mich, wie über einen Menschen, den man schlafend auf eine verlassene und furchtbare Insel getragen hat, und der erwacht, ohne zu erkennen, wo er ist, und ohne Möglichkeit, sie wieder zu verlassen.“ (15)

„Ich sehe diese furchtbaren Räume des Weltalls, die mich umschließen, und ich finde mich in einem Winkel dieser unermesslichen Ausdehnung gebunden, ohne zu wissen, warum ich gerade an diesen Ort gestellt bin und nicht an einen anderen, noch warum mir die kleine Zeitspanne, die mir zum Leben gegeben ist, gerade an diesem und nicht an einem anderen Punkt der ganzen Ewigkeit zugeordnet ist: der Ewigkeit, die mir vorangegangen ist, und jener, die mir folgt. Ich sehe auf allen Seiten nur Unendlichkeiten, die mich umschließen wie ein Atom und wie einen Schatten, der nur einen Augenblick dauert und nicht wiederkehrt. Alles, was ich weiß, ist, dass ich bald sterben muss, aber was ich am allerwenigsten kenne, ist dieser Tod selbst, dem ich nicht entgehen kann.“ (16)

„Der Mensch ist nur ein Schilfrohr, das schwächste der Natur; aber er ist ein denkendes Schilfrohr. Es ist nicht nötig, dass das ganze Weltall sich waffne, ihn zu zermalmen. Ein Dampf, ein Wassertropfen genügen, um ihn zu töten. Aber wenn das Weltall ihn zermalmte, so wäre der Mensch noch edler als das, was ihn tötet, denn er weiß, dass er stirbt, und kennt die Überlegenheit, die das Weltall über ihn hat; das Weltall weiß nichts davon.“ (17)

Der Mensch, jenes winzige Lebewesen in den unendlichen Weiten des Weltalls, versucht der einzigen absolut feststehenden Tatsache seines Schicksals, nämlich der seines Todes, zu entfliehen. Er flieht in die Zerstreuung. Später heißt es bei Heidegger, er flieht in das „man“ der Öffentlichkeit, in die Scheinsicherheit der Zivilisation und Kultur. Letztlich gibt es aber keine Sicherheit, keine Zuhause angesichts des Abgrunds des Todes. Jacques Attali schreibt in der Einleitung zu seiner Pascal-Biographie: „Er (Pascal) war einer der ersten, die aus der Vergänglichkeit des menschlichen Daseins den Grund für das Verhalten der Menschen ableiteten und vorhersahen, dass die Angst vor dem Tod die Flucht in Zerstreuungen und Gleichgültigkeit bewirkt – heute würde man es oberflächliche Unterhaltung und beliebig-narzisstischen Individualismus bezeichnen.“ (18) Pascal war in dieser Hinsicht auch ein Vordenker der neueren Psychotherapie, die – wie z.B. bei dem durch seine Romane international bekannt gewordenen Psychotherapeuten Irvin D. Yalom – davon ausgeht, dass die Angst vor dem Tod sich letztlich hinter allen neurotischen Ängsten und vielen anderen psychischen Störungen verbirgt.

Bei Pascal finden sich auch Gedanken, die wir im psychologischen Denken Nietzsches und Freuds wiederfinden. Er sah den Menschen als ein Doppelwesen, hin und her gerissen zwischen Leidenschaften und Vernunft: „Der innere Krieg des Menschen zwischen der Vernunft und den Leidenschaften: Wenn es nur die Vernunft gäbe, ohne die Leidenschaften… Wenn es nur die Leidenschaften gäbe, ohne die Vernunft… Da es aber beides gibt, kann der Mensch nicht ohne Kampf sein, da er mit dem einen nur Frieden haben kann, wenn er mit dem anderen im Kampf liegt: so ist er immer geteilt und im Widerspruch mit sich selbst.“ (19) Nietzsche sagte, der Mensch ist kein Individuum, sondern ein Dividuum, ein zweigeteiltes Wesen, zerrissen zwischen seiner tierischen Natur und seiner von einem schlechten Gewissen beherrschten Vernunft. Und Freud, der Nietzsche gelesen hat, beschrieb das psychische Drama des Menschen als ständigen Konflikt des bewussten Ichs zwischen den Geboten bzw. Verboten der anerzogenen Moralvorstellungen und den Triebansprüchen.

Die tragische Sicht Pascals auf die Existenz des Menschen im Kosmos hat viel mit seiner Lebenssituation in seinen letzten Jahren zu tun, als sein Vater gestorben ist und seine als Dichterin hochbegabte und von ihm heiß geliebte jüngere Schwester Jacqueline gegen seinen Widerstand in ein Kloster gegangen und ein Jahr vor ihm gestorben ist. Die Mutter hatte Pascal schon im Alter von drei Jahren verloren. Seit seiner Kindheit litt er an schweren Krankheitsanfällen mit schlimmen Kopfschmerzen und anderen somatischen Beschwerden, die immer nach Trennungserlebnissen auftraten. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen, aber sie konnten damals ohnehin nahezu niemanden heilen. Der Zusammenhang von Trennungserlebnissen und Krankheitsanfällen lässt bei Pascal auf ein schweres Trennungstrauma schließen, ausgelöst durch den frühen Tod seiner Mutter. Die Trennungen und die Schmerzen scheinen Pascals Geist gegen Ende seines Lebens verdüstert zu haben. In dieser Zeit (etwa 1657 bis 1659) schrieb er die Pensées, die er später zu einem geschlossenen Werk ausarbeiten wollte, wozu er aber nicht mehr kam.

Otto Rank, Schüler und Mitarbeiter Sigmund Freuds und später Dissident der Psychoanalyse, wies darauf hin, dass die Geburt als Verlassen des Mutterleibs auch die Trennung des Menschen vom Einssein mit dem Universum bedeutet. Diese Bedeutung kann auch der frühe Verlust der Mutter bekommen. Die Welt erscheint durch ihren Tod verdüstert. Der indische Prinz Gautama Siddharta, der spätere Buddha (der Erleuchtete, Erwachte), hatte seine Mutter kurz nach der Geburt verloren und predigte später, die Welt sei nichts als Leid. Er rief zum Loslassen von den Anhaftungen an die Welt auf. Dies sei der einzig mögliche Weg zum inneren Frieden. In ähnlicher Weise zog sich Pascal in seinen letzten Jahren immer stärker von der Gesellschaft zurück, verschenkte Geld an die Armen und widmete sich wohltätigen Zwecken.

Pascals tragische Sichtweise ist aber nicht nur psychologisch zu verstehen. Sie entstand vor dem Hintergrund des Dramas der Veränderung des Weltbilds im 16. und 17.Jahrhundert, – der sogenannten kopernikanischen Wende, der Wende vom bis dahin gültigen geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild. Die von dem griechischen Astronomen Claudius Ptolemäus (2. Jh. n. Ch.) aufgestellte Theorie, dass die Erde der unbewegliche Mittelpunkt des Kosmos sei, um den sich alle anderen Himmelskörper in vollkommenen Kreisbahnen bewegen, war bis ins 17. Jahrhundert hinein das offizielle Weltbild der christlichen Theologie, der Philosophie und der Wissenschaften. Dieses Weltbild wurde durch die heliozentrische Theorie von Nikolaus Kopernikus (1473 -1543) widerlegt, die besagt, dass sich die Planeten – also auch die Erde – in Kreisbahnen um die Sonne drehen. Diese Theorie wurde später durch Galileo Galilei (1564 -1642) und durch Johannes Kepler (1571 -1630) mittels Beobachtungen, Experimenten und Neuberechnungen bestätigt und verbessert. So wies Kepler nach, dass sich die Planeten nicht in Kreisbahnen, sondern in Ellipsenbahnen um die Sonne bewegen. Isaac Newton (1642 -1727) begründete dann mit der Aufstellung des Gravitationsgesetzes die Bewegungen der Planeten um die Zentralgestirne.

Standen im geozentrischen Weltbild die Erde und der Mensch im Mittelpunkt des Weltalls, so hat die kopernikanische Wende zu einem radikalen Bedeutungsverlust der Erde und des Menschen im Kosmos geführt. Auch die Position Gottes musste neu gedacht werden. Früher war Gott oben im Himmel. Der Himmel war eine überschaubare Hülle um die Erde und die Menschen herum. Die Welt war noch so, wie sie in der Genesis beschrieben wurde. Diese scheinbar unabänderlich feststehende Ordnung wurde durch die neuen Erkenntnisse über den Kosmos zerstört. Der Gott der Genesis hat sich plötzlich dem Menschen entzogen, und die bis dahin gültige Weltordnung mit ihren Werten und Sinngebungen hat sich in das Chaos eines kalten, teilnahmslosen Weltalls aufgelöst. Dieser gewaltige Verlust, diese Wende von einer göttlich-kosmischen Ordnung, mit der Erde und dem Menschen im Zentrum, zu den schier unendlichen Raum- und Sternwüsten eines völlig unbekannten Weltalls erzeugte eine tiefe Erschütterung und Angst, wie sie keiner jener früheren Gelehrten, Philosophen und Theologen so klar und dramatisch zum Ausdruck gebracht hat wie Blaise Pascal.

Quellennachweise und Anmerkungen:

(1) Blaise Pascal, Gedanken / Fragment 314, nach der endgültigen Ausgabe übertragen von Wolfgang Rüttenauer, Verlag Schibli-Doppler Birsfelden-Basel, Lizenzausgabe des Verlages Schünemann KG, Bremen (Sammlung Dietrich), ohne Jahresangabe, S. 150

(2) Ebenda, Fragment 313, S.149

(3) Pascal, der als Zehnjähriger ohne Unterrichtskenntnisse Gesetze der euklidischen Geometrie nochmals entdeckte und seinem Vater darstellte, und der als Zwölfjähriger auf Betreiben seines Vaters zu den Sitzungen der Academia Parisiensis, einer Versammlung von Gelehrten und Geistlichen, als Zuhörer zugelassen wurde, der als Einundzwanzigjähriger die erste Rechenmaschine konstruierte, die addieren, subtrahieren und multiplizieren konnte, der als Fünfundzwanzigjähriger, ausgehend von den Versuchen des Physikers und Mathematikers Evangelista Torricelli (1608 -1647), endgültig den Atmosphärendruck experimentell bewies, also die physikalische Tatsache, dass Luft ein bestimmtes, wenn auch geringes Eigengewicht hat, und damit die bisherige Theorie von der Gewichtlosigkeit der Luft widerlegte, der als Einunddreißigjähriger, ausgehend vom Glücksspiel in den adeligen Kreisen, in denen er verkehrte, die Wahrscheinlichkeitsrechnung entwickelte, der sich später mit der Berechnung der Volumen von rotierenden Kurven beschäftigte, wozu er eine Abhandlung schrieb, die Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) zur Entwicklung der Differential- und Integralrechnung inspiriert hat, – dieser leidenschaftliche Physiker und Mathematiker wusste, wovon er sprach, wenn er die Begrenztheit des Menschen und insbesondere auch die der menschlichen Vernunft aufdeckte, denn es handelte sich um Grenzen, an die er selbst immer wieder gestoßen war.

(4) Ebenda, Fragment 315, S.152/153

(5) Ebenda, Fragment 315, S.151

(6) Zu Heidegger darf nicht unerwähnt bleiben, dass er 1932 in die NSDAP eingetreten war. Heidegger war also kein „Märzgefallener“ wie z.B. der Staatsrechtler und politische Philosoph Carl Schmitt, der ursprünglich zu den konservativen Gegnern einer Kanzlerschaft Hitlers gehört hatte, sondern war schon vor März 1933, als Hitler an die Macht kam, überzeugter Nazi. Er attestierte den Nazis „Seinsentschlossenheit“, sie waren ihm aber diesbezüglich zu wenig radikal. Er war auch radikaler Antisemit, wie es in drastischer Art und Weise aus seinen Schwarzen Heften hervorgeht. (Zu Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus empfehle ich das Buch von Victor Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, Philo Verlag, Berlin 2000. Auch möchte ich in diesem Zusammenhang auf den Artikel „Philosophisches Gefälligkeitsgutachten? Konrad Liessmann im ORF über Martin Heidegger“ in der September-Ausgabe 2021 der österreichischen Zeitschrift ZWISCHENWELT- Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands hinweisen).

(7) Zit. aus: Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Erster Band, Anhang: Kritik der Kantischen Philosophie / Insel Verlag Frankfurt/Main und Leipzig 1996, S. 586

(8) Der verborgene Gott (lt. Deus absconditus) spielt in der christlichen Theologie bis heute eine Rolle, so in der Betroffenheit über das, was in den KZs der Nazis geschah. Wo war da Gott? Dabei beziehen sich die Theologen auf eine Stelle beim Propheten Jesajas, 45/15: „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland.“ (Luther-Übersetzung)

(9) Einmal scheint der Physiker und Mathematiker Pascal Gott zu definieren versuchen: „Die unendliche Bewegung; der Punkt, der alles erfüllt; der Augenblick der Ruhe. Unendlich ohne Quantität. Unteilbar und unendlich.“ (Blaise Pascal, Gedanken, Fragment 93, S.49) Dies erinnert daran, wie heute Astrophysiker die Anfangssingularität vor dem Big Bang zu beschreiben versuchen.

(10) Blaise Pascal, Gedanken, Fragment 341, S. 176

(11) Vom verborgenen Gott zum verborgenen Sein: Bei Heidegger, der sich von Gott und der katholischen Kirche losgelöst hat, tritt an die Stelle Gottes das Sein, das sich, indem es sich als Da-Sein zeigt, dem da-seienden Menschen verbirgt. Heidegger unterscheidet dabei zwischen Sein und Dasein. Dasein ist Vorhandensein. Sein ist das, was das Dasein trägt, hervorbringt und zurücknimmt. Sein kann philosophisch letztlich nicht erfasst werden. Um sich dem Sein annähern zu können, müsse sich das philosophische Denken der Dichtung annähern, selbst zu einer Art philosophischer Dichtung werden.

(12) Pascal war wie sein Vater Etienne, seine ältere Schwester Gilberte und seine jüngere Lieblingsschwester Jacqueline ein Anhänger des Jansenismus, einer nach dem niederländischen Theologen und Bischof Cornelius Jansen (Jansenius) benannten religiösen Erneuerungsbewegung innerhalb der französischen katholischen Kirche. Die Jansenisten vertraten eine strenge, an Augustinus orientierte Gnadenlehre, nämlich dass Gott jene, denen er die Gnade des ewigen Lebens nach dem Tod erteilt, von Geburt an auserwählt hat. Diese Gnadenlehre erinnert an die Prädestinationslehre des Reformators Johannes Calvin und trug den Jansenisten von Seiten der Jesuiten den Vorwurf ein, verkappte Protestanten und Kirchenspalter zu sein. Die Jansenisten predigten den Verzicht auf Reichtum, das Praktizieren von Nächstenliebe unter den Armen und Bedürftigen, den Rückzug vom Trubel der Welt und die innere Besinnung, die mit Hilfe sogenannter Gewissenslenker unterstützt wurde, die spirituelle Begleiter und Ratgeber waren. Die Jansenisten kritisierten die sogenannten Kasuisten aus den Reihen der damals am königlichen Hof in Frankreich und beim Papst in Rom sehr einflussreichen Jesuiten. Die Kasuisten erfanden spitzfindige Argumente, um auch schwere Schuld zu entschuldigen und mittels der Beichte zu vergeben. Zwischen Jesuiten und Jansenisten tobte eine heftige Auseinandersetzung, in die auch Pascal involviert war, der für seinen jansenistischen Freund Arnaud unter einem Pseudonym Verteidigungsschriften verfasste, die großes Aufsehen erregten. (Siehe dazu die empfehlenswerte Pascal-Biographie von Jacques Attali: Blaise Pascal – Biographie eines Genies, Klett-Cotta, Stuttgart 2006, im Original: Blaise Pascal ou le génie francais, Verlag Fayard 2000).

(13) Jean-Paul Sartre, Der Existentialismus ist ein Humanismus, aus: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays, 1943-1948 / Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 2. Auflage April 2002, S.155

(14) Ebenda, S.155

(15) Blaise Pascal, Gedanken, siehe oben, Fragment 354, S.183

(16) Ebenda, Die Apologie der christlichen Religion, S.5

(17) Ebenda, Fragment 128, S.61 / An die Zitate (15) und (16) knüpft Hans Jonas im Epilog seines Buchs Gnosis – Die Botschaft des fremden Gottes (1957) an und stellt fest, dass sich bei Pascal das existenzialistische Grundgefühl des Verlorenseins, des Unzuhauseseins in der Welt ankündigt. Jonas bringt in dem Epilog den Existenzialismus mit der spätantiken Gnosis in Verbindung. Diesen Zusammenhang halte ich für zu konstruiert. Ich sehe gnostische, leib- und weltfeindliche Vorstellungen viel eher bis heute im Christentum und in der heutigen Esoterik-Szene weiterwirken. Der atheistische Existenzialismus von Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus hat nichts mit der Weltfeindlichkeit der spätantiken Gnosis zu tun. Er ist im Gegenteil der Welt und den leiblichen Menschen zugewandt. Dies trug ihm z.B. von dem protestantisch geprägten Existenzphilosophen Karl Jaspers den Vorwurf ein, sich nur in der Immanenz der Welt zu bewegen und die Transzendenz zu übersehen.

(18) Jacques Attali, Blaise Pascal – Biographie eines Genies / Klett-Cotta, Stuttgart 2006, S.15

(19) Blaise Pascal, Gedanken, siehe oben, Fragment 137, S.63

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John Lennon meinte einst (ein Aufhänger für eine kleine Gedankenfolge)

Von Marek Födisch

John Lennon meinte einst: Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne im Kopf hast. Ein Ja darauf kann wohl jede und jeder darauf erwidern, was nicht heißen soll, dass Wünsche, Träume und geschmiedete Pläne per se nicht aufgehen können. Dennoch scheint die Schmiede hinter der Stirn unablässig, mit Ausnahme beim Tiefschlaf, in Betrieb zu sein, wo sich der Schmied das Material der Vergangenheit, also bereits Gesehenes, Erkanntes, Gehörtes, Empfundenes und Erinnertes zum eigenen (vermeintlichen) Nutzen, unter Mithilfe feurigem Eifers und schlagfertiger Argumentation, zurechtbiegt, um das Offene und allenfalls Ungefähre einer nicht bestimmbaren Zukunft, die Angst auslösen mag, in eine erdachte bzw. ersehnte Gestalt und Größe zu bringen, während dabei die Gegenwart, das blanke Jetzt, in einem gewissen Sinne unbemerkt bleibt. Das ausgerufene Ja! bezüglich der Lennonschen Aussage liegt daher, um beim Bilde zu bleiben, wehrlos auf dem Amboss, und die Hammerschläge erfolgen entweder mit unbewusster oder bewusster Wucht, aus unterschiedlichen Kräften oder gar Motiven heraus. Ein revolutionärer bzw. spiritueller Geist mag zwar jetzt behaupten, er lege es darauf an, keine eigenen großartigen Pläne oder Wünsche haben zu wollen, oder zu brauchen, doch eben diese Intention führt sein Vorhaben und Statement geradezu ad absurdum, da sofort im Hintergrund jener Antipode mit dem Hammer aus dem glutheißen Schatten tritt. Aus diesem Widerspruch im Menschen aber, der nicht auflösbar scheint, der uns zwischen den inneren Polen in Bewegung bringt, in Aufruhr versetzt, entstehen nun mal, wie wir wissen, sämtliche Stoffe für Lieder und Verse, für Bühnenstücke, insbesondere die des eigenen Alltags. Kunst bzw. Lebenskunst fungiert für mich als bereitwillige Zeugin zur Offenlegung der Lage, als Gradmesser der Wellenstärke konzentrischer Kreise, wodurch ein temporärer Erkenntnisgewinn zumindest in Aussicht steht in Folge bereits begangener Schritte, Fehlsprünge, welche mit Irrungen, also mit einer aus dem persönlichen Tunnelblick resultierenden Vehemenz, einhergegangen sind. Erkennbar wird damit durchaus, dass Pläne und Konzepte (inklusive mannigfaltiger Selbst- und Fremdbilder), gemessen an den ihnen vorab zugestandenen „Wahrheiten“, oftmals trügerisch sind. Und gerade weil diese unsere Schleier, die indische Philosophie verwendet den Begriff Maya, so verführerisch sind, da sie uns wegführen von dem, was gerade ist, jetzt anliegt und mitunter schmerzhaft ansteht. Genau deshalb greifen wir auf das altbewährte Mittel zurück, nämlich: in die Vergangenheit und/oder Zukunft zu flüchten.
Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne im Kopf hast. Mein Ja darauf mit einer Tasse Mokka! Den Kaffeesatz lese ich mir nicht zurecht.

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