Wenn du nicht auf die Tiere hörst!

Von Michael Wiedorn

Der Hase springt. Sanfter Blick aus runden Augen. Das weiche Fell. Der Hase springt weit in den Himmel. Der Jäger konnte das Tier nicht erlegen und häuten. Die Kinder streichelten vor der Jagd das Fell. Ihr Liebling zitterte wie Espenlaub. Der ins Weiteste und Fernste hoch wachsende Hase verzehrt immer größere Teile des Erdballes. Die Jagdhunde konnten das Wild nicht zerfleischen und die wartenden Messer konnten kein Fleisch zerschneiden. Auf ihr Essen wartende Restaurantbesucher packt die Angst. Sie fliehen in ihrer Schuld in die Wälder. Teilweise noch mit Serviette um den Hals und Gabel und Messer in den Händen. Im Wald wehrt sich das Wild dagegen zu Braten zubereitet zu werden.
Die vom Hasen entzündeten Brände zertrümmern die Städte. Ein sanfter Blick aus runden Augen. Dieses Viech schnuppert ängstlich. Löffel erheben sich schlagbereit hoch hinauf in die Wolken und lösen sich in Rauch auf. Die Feuerwehr birgt den zerfleischten Kadaver eines erlegten Metzgers. Völker und Massen von Hasen sind geworfen worden und überziehen rasend und Haken schlagend alle Länder. Der Verstand der Tiere ist vom Kohldampf betäubt. Sie fressen und fressen. Sie verschlingen alles, was ins Maul passt. Sie lieben das Leben und wollen wachsen und reinschlingen. Dann werden nur noch graue Steinwüsten übrig bleiben. In den Schlachthäusern erwachen die gehäuteten Leichen. Aus der Totenruhe gerissen durch beißenden Hunger. Das Schlachtvieh will die Welt erobern und in ihre Mägen verschlucken, zerstückelt durch die Kraft ihrer Zähne.
Nebel steigen von den Flüssen auf. Es ist November und der Sommer wird nie wieder in die vom Hunger besessenen Länder kehren.
Nebel steigen aus den Ozeanen. Tief aus dem Grunde des Meeres treibt ein gehäuteter und von Gedärm entkernter Körper. Er beginnt zu stinken und auseinander zu fallen. Gräten statt Knochen. Jemand ruft aus dem Nebel, dann ziehen beunruhigte Gestalten mit Fackeln durch die leichenfahlen Schwaden. Feuer brennen. Immer mehr Männer und auch Frauen. Der Fremde aus dem Ozean. Der Wald leuchtet purpurn und entzündet sich. Die Wunde entzündet sich und schmerzt. Auf dem Herd brennt das Fleisch an. Die Flammen würgen jeden anderen Laut ab. Hasen sind stumm. Mahlzeiten soll man sich schweigend einverleiben. Mittags das felllose Fleisch des Hasen. Tiere leisten keinen Widerstand. Tiere leisten Widerstand. Löffel lodern und schießen blitzartig aus Erdlöchern. Hasen schreien nicht, sondern sind lautlos wie Kammerdiener und verschwiegen wie Bankangestellte. Wenn du nicht auf sie achtest, umzingeln sie dich! Wenn du nicht auf sie hörst, zerstören sie dein Leben! Deine Glieder brennen dann auf dem glühenden Herd. Dein zerstückelter Körper landet dann auf Tellern und Schüsseln. Viele Tiere nehmen ihre Mahlzeit schweigend ein. Hasen vermehren sich und breiten sich lautlos aus. Krieger kämpfen und erobern. Du siehst sie nicht. Lauschende Pelzantennen erheben sich aus allen Gräsern. Sie erheben sich und wachsen über die Wipfel der Wälder, über Häuser, auf allen Dächern. Sie lauschen. Türme stützen den Himmel und lassen ihn einstürzen.
Ein Hase hängt an den Beinen aufgehängt mit dem Kopf nach unten. Der aufgeschnittene Bauch klafft auf. Die Innereien hängen zum gekachelten Boden herab. Sie werden mit Butter eingestrichen in der Pfanne schön rösch gebraten werden. Das Kind streichelte zärtlich das sanfte Fell. Wenn du nicht auf die Tiere hörst, dann hängst du! Dann werden wir nicht den Heiligen Gral finden. Ein Kelch blinkt silbern rot befleckt in der Sonne. Der gehäutete und entleerte Fremde aus dem Ozean. Die Seitenwunde blutet und wird nie aufhören zu bluten. Niemand kommt ihn zu erlösen – das erhängte Tier. Das Mitleid gefriert. Geschächtet zu Ehren des Menschen! Wenn du nicht auf die Tiere hörst, dann hört sie niemand mehr!
Stummheit tötet!
Wenn der Mond ins Haus scheint, zerfällt das Fleisch. Mückenschwärme flackern zu Boden und entzünden die Bodendielen. Hasen jagen lautlos über die nächtlichen Felder. Sanfter Blick. Schnee flackert sprachlos zu Boden und umkrallt mit seiner Macht, mit seinem Mantel das Leben mit zerschneidender Kälte. Der König hängt mit dem Kopf nach unten. Ausgeweidet und schnarcht. Schnee fällt von den Tannen. Es wird Weihnachten und nicht Ostern. Christus wird geboren und kein Biest. Alles Leben erfriert. Tier und Mensch ziehen hungernd die Rinden von den Bäumen. Sie alle sind vom Mangel ausgehöhlt. Eine gefräßige Hohlheit lässt ihre Körper schrumpfen. Herzen und Mägen und Därme wollen anwachsen und wachsen und sich mit anderen Herzen und Mägen und Därmen vereinigen. Die jetzt Hungernden haben alle im Sommer nichts gehortet und angehäuft. Grau, braun, weiß erstrecken sich Wälder und Wiesen. Mitten zwischen Geröll steht eine Sparkassenfiliale. Davon träumen die Tiere. Schatzkammern gefüllt mit Brüsten, Herzen und Flügeln. Herzpurpurnes Fleisch wartet auf seine festliche Begegnung mit Reis, Bohnen, Kartoffeln. Die Seitenwunde ist nass. Nass topft die Möse. Der König bricht zusammen. In der Morgenröte reitet auf einem Schimmel der gerüstete und entrüstete Metzger. Das Tranchiermesser blinkt rot besudelt in der Sonne. Spitze die Spitze des Bleistifts! Schreibe, schreibe auf das Rot des Schreibpapiers! Purpurne Vorhänge öffnen sich. Die Bühne belebt sich immer mehr und mehr. Tiere erwachen.
Wenn dann das Lachen die Hoffnung befreit, dann blühen die Rosen, dann strahlt das Grün von Baum und Wiese. Freiheit weht. Fröhlich rollen die Wogen des Meeres in weite Fernen. Die Seitenwunde des Herrschers nässt und fließt. In der Brust des herrschenden Hasen wallt das Blut und lässt die schmerzende Seitenwunde aufreißen. Azurblaue Ozeane stürzen aus der Wunde und überfluten Schloss und Wald. Wassermauern erschlagen Tannen und Fichten und Eichen. Vielen Bestien kocht das Blut in den Adern und lässt sie besinnungslos in die heranstürzenden Brandungen rasen.
Dann schweigen die zu Hause gebliebenen Tiere und die Menschen, aufbewahrt in durchsichtigen Plastikbeuteln. Die Regierung hat Plastiktüten an die Bevölkerung verteilt. Ein stummer, regloser Mann, nackt in Embryonenstellung hakt sich und verhakt sich – weißes, hässliches Fleisch hilflos fremden Blicken ausgeliefert – mit Krallen und Zehen in das Fell eines ebenfalls reglosen und stummen Schimpansen. Der Affe zerfällt. Der Mensch ist geschrumpft und eingeschweißt worden. In seine Angst eingesperrt.
Zum Wohle der Wissenschaft!

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© 2023 Michael Wiedorn
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titelsucht oder titelsuche: teutscher war nicht einmal horribilicribrifax

Von Alexander Reisenbichler

das grimmsche woerterbuch konnte sich gegen den duden nicht durchsetzen. das romantische projekt das dem barock in der linguistischen nachspielzeit eine renaissance widmete und goethe aus den untiefen von weim arischen suempfen in die enzy klo paedische ewigkeit verhalf wird hier in einigen geh dichten hinunter gespuelt.

  1. erster akt zweiter akt aber die dritte war dann wirklich nackt

wir wollen hier als augendiener hummelhirne (hirne mit ungewoehnlich kreativen einfaellen) ausspinstisieren (ausgruebeln). als bankrutscher (spottname fuer schulkinder) haben wir noch lange nicht ausgehutscht und lassen uns auch nicht bemaulkorben und treten mit offenen muendern bienenkorbitaeten wortakrobatisch in die architekturregelpoetik. wir bemurmeln tote woerter mit glasperlen und ueberreden sie zu selbstmordigen handlungen bevor sie dinge benamsen und wir ihre toten leiber aus unserer grammatik reissen muessen. als besuchameise (jemand der viele leute besucht) beschwappeln wir bibelbuchstaeblich bierfroesche die bienenboese lutherische wortlunten wie tibetische moenche anzuenden. daderer (schwaetzer, man beachte die buchstabengetreue naehe zu dadaismus) sind wir alle, weihnachtsgeil wie decemberhungrige dichteln die stechen wie disteln. im dichterflug ohne nebel verbrennt die dichterglut in der buchstabenflut unter der hebung der jamben in abgezaehlten dichterpferdigen linksschwuengen nicht und glueht wie ein anarchisches schnarchwunder das in froschspruengen noblen preisverschreibungen nachhuepft das nur auf viet nam es ischen gerichten ohne verwaesserungen geklaert werden kann (ovid verquakte sich vier mal in seinen meta welt morp hosen die er nackten koenigen gestohlen hat).

  1. versuch einer molligen buchstabenzusammenschreiung auf der freyung in d-dur

in dingskirchen, das gleich neben siegheilkirchen liegt oder steht, stiess ein distelmensch (boes art iger kunst loser mensch) in dintendeutsch (schriftsprache) mir dolchworte in meinen domherrnbauch, der schon einiges durchdulden musste in mulden versenkter nachmittage; diese in situ a tion wurde durchspintisiert, also durch geh ohne stehenzubleiben gruebelt, ohne maul wurf huegel zuegig zu verbergen; also versucht man mit frau ein gehdicht in der regelpoetik blutlos aus aristoteles in barocke sackgassen zu draengen und da bei ohne mitzumachen anweisungspoetika von gottscheds critischer dicht kuenst lich im dunkeln zu verbergen

  1. eintrachtsglueck ohne kleiderzwaenge

sich ins alter einrunzeln, eine vorbereitung auf grosse taten dada als waise mutterlose buchstaben ge baeren und aus winterschlaefen wecken, zangenlos an werkzeugtagen werke werken
eiszapfenworte kann man oder frau docht nicht waermstens empfaehlen in indianischen geschichten
aus eiteldarm (immer hungrig) quillen quellen maerchischer gedankenfortsaetze in ungrammatikalischen quitten zwitter kiwi formen neuer see laender

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© 2023 Alexander Reisenbichler
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die konferenz der konzessionen

Von Heinz Erich Hengel

wenn nicht,

dann aber –

aber das dann unbedingt

es darf nicht sein

dafür muss man

konfliktfreie freiheitsbeschränkung

aber nur mit

konzessioniertem konfliktlösungsmanagement

eine pandemie der lügen

und der ungewollten

keine tischnachbarn

auf virtuellen konferenzen:

ohne konferenztische

keine tischgebete

hände falten – goschen halten…

haltemanöver am boulevard of broken dreams

konzessionen in den regionalen zonen

schaukelräder zu

mühlenschaukeln werden

splitterbomben tendenziell

scherbenhaufen auf

den steinfußböden

tischfußlose tische

bei den konferenzen

zersplitterte plastikstühle

am konferenzeingang

wolkenlose konferenzen

und am himmel haufenwolken

haufenweise

weisheitslehrer

besprechungen in

räumen des erbrechens

gordische knoten

in feedbackschleifenmeetings

es kann nicht sein, dass

kritiker zu

lückenbüßern werden

und in den lücken

büßer dann auf krücken

die abgesagte revolution

sie findet statt

in & auf den stä/d/t/ten

nicht-konzessionierter konferenzen

nebel wallen

in der konferenzen hallen

in walhalla

die götterdämmerung

steht vor den toren

und die walküren

sie der gefallenen

letzte hoffnung sind

ein geleitzug nach walhalla:

keiner fragt

nach konzessionen

die konferenz mit odin –

sie wurde abgesagt

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© 2023 Heinz Erich Hengel
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(Text & Bild)

Verstellte Stunde

Von Monika Jarju

Der Traum einer Seele
stieß Gelächter in meinen Schlaf

ein verirrter Vogel auf der blauen Spur
meiner Traumwand

der Aufprall stand rot vorm Fenster
verspritzte Angst auf den Fliesen

an diesem Tag ein siedender Himmel
die Sonne flüssiges Blech auf seiner Textur

metallischer Geschmack
beim Umrühren der Wolken im Kaffee

später jagte ein toller Wind die matte Seele
dem Vogel nach

ich schlief wieder ein in der Erinnerung
eines träumenden Tieres

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© 2022 Monika Jarju
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U Hermannplatz

Von Monika Jarju

Irrer Klang peitscht die Frau
den keiner hört
ihr Lächeln eine ausgebreitete Schwinge

bereit die Schienen zu streifen wirbelt sie
ihr Gesicht wie ein Teller Schnee
kreideweiß die Augenschlitze

sie kreist dicht am Gleis
der Ton dreht sie am Arm, an der Taille
sie kreiselt auf mich zu mit offenen Armen

der Bahnsteig ist ohne Wände
sie rast – der Bahnhof verrückt
Schienen springen

ihre geballten Fäuste
Füße wummern den Umriss
ihres Schreis an die Scheibe

siedend kalt kreiselndes Gelächter
nur der Zug zwischen uns
– fährt

sie bleibt zurück am Wahnsteig

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© 2022 Monika Jarju
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Unabwendbare Gewissheiten I

Von Monika Jarju

Auf Händen und Füßen klettere ich einen Berg hoch, bis zur Kasse. Statt in das Konzert auf dem Gipfel zu gehen, kaufe ich ein Portemonnaie, schnüre es zu und fahre auf der Rolltreppe hoch hinaus. Die Aussicht genießend wandere ich zu einer Insel, auf der es nur noch EDEKA gibt. Dort treffe ich einen gleichgesinnten Mann. Den See im Blick halten wir es eine Weile miteinander aus. Wenn sich aber unsere Portemonnaies öffnen, müssen wir sie schnell wieder zuschnüren. Das passiert uns abwechselnd. Zwei Menschen kommen dabei ums Leben, denn wir borgen uns ihre Schnürsenkel, was unweigerlich ihren Tod zur Folge hat. Das macht mich betroffen. Ich verschnüre mein Portemonnaie dreifach, als wir aufbrechen.

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© 2022 Monika Jarju
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Unabwendbare Gewissheiten II

Von Monika Jarju

Die Strecke ist unterbrochen, dennoch kommen die Straßenbahnen von weit her, finden die Haltestellen mühelos, auch über große Entfernungen hinweg. Eine waghalsige Fahrerin fährt mich auf Umwegen ins Dorf, bis es nicht mehr weiter geht. Eine junge Frau steigt aus, klettert auf eine Mauer, schwingt sich hinüber und – springt. Dazu bin ich nicht imstande. Ich laufe. Woran ich denke, das wird gleich erscheinen, sage ich mir. Schon höre ich das Nahen einer Tram, mit der ich ein Stück weiterkomme. Wo ich bleiben sollte, falls keine Bahn zurückfährt, daran denke ich nicht.

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© 2022 Monika Jarju
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Leisetreter

Von Monika Jarju

Mit Befremden betrachte ich die Schuhe, die im blassgrünen Wasser treiben. Aber vielleicht ist die Tatsache gar nicht so absurd, es gibt nicht wenige, die ihre Sparsamkeit mit einer wilden Romantik zur Natur verbinden und statt der üblichen Münzen als Glücksbringer Schuhe in den Teich werfen.
„Schuhe?“, fragt mein Nachbar. „Schuhe!“, bekräftige ich und sehe in seinem Gesicht etwas aufleuchten, das entfernt an Leidenschaft erinnert.
Pumps und Sneaker, Stiefel, Sandalen, Lackschuhe und Badelatschen, ein Paar verknotete Herren-Schnürschuhe schaukeln zwischen Seerosen und Enten, sogar Filzpantoffeln schwappen an der Oberfläche, als jemand aufgebracht ruft: „Ein Krokodil!“ Und ich, geistesgegenwärtig, meine Kamera zücke.
Mein Nachbar nickt ernst. „Aber ein Schuh, sagt er, „ist immerhin ein Schuh.“ – „Aber am Ende weiß niemand mehr, worum es überhaupt geht, hier gibt es weder Glück noch Giraffen!“, erwidere ich und schlüpfe entschlossen in meine Mokassins.

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© 2022 Monika Jarju
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Mond unter

Von Monika Jarju

1 riesiger Mond, weiß wie Milch, steht dicht vorm Fenster, sein scharfer Schein rötet meine Haut. Mondbrand.

Fliesen fallen von der Wand; etwas geschieht, Verschiebungen im ganzen Haus.
Unversehens rutsche ich zwischen Spalt & Schacht, mein Blick geht noch weiter.
In einer letzten Bewegung gleite ich auf 1 Mauer aus Nacht zu & stürze.

1 Tür fällt ins Schloss. Die Plattform unter mir beweist jetzt nur das vorläufige Ende einer Projektion.

Nächster Ort: ein unterirdischer Bahnhof. Im Schatten des Bahntunnels küssen sich 1 Mann & 1 Frau auf die Wange wie Kinder, pausenlos kleine Schläge, Püffe, Büffe.

1 Ansage: Wir fahren nicht bis zur Endstation! – & 1 Widerruf:
Wir haben es uns anders überlegt, wir fahren bis ans Ende!
Wo ist DAS ENDE & was wird darin eingeschlossen sein?
Man spricht nicht darüber, stört nicht das Nebeneinander der Gleissysteme
– so exakt & kaltschön, nur 1 Schreck hilft weiter.

Als ich den Mondaufgang im Fahrplan notiere, fährt 1 Schar Rollschuhfahrer los, Mädchen & Jungen in Taucheranzügen, viele mit roten Kappen; der Trupp kommt auf mich zu, es ist 1 Uniformierung, die zügig in äußerster Konzentration gleichmäßig surrend voranrollt.

Aber als dieser Trupp vorbeisaust, rollt konform 1 Armee Automaten mit kleinen Fenstern & Klappen und Süßigkeiten, die nach Pappe & Mörtel schmecken (nur 1 Attrappe) – durch die Gruppe.

Im Tumult & Wind des einfahrenden Zuges schaukeln parallele Röhren. Im Abteilfenster eine Giraffe auf Rädern, auf dem Sitz ein verschiebbarer Löwe vor einer gelackten Wiesenlandschaft, seltsam erstarrt ein knallblauer Himmel.

Ich zwänge mich ins Innere zwischen hineingedrängte Schatten & kratze vom Fenster 1 Fetzchen Fahrschein. Schon fahre ich durch die Unterwelt.
Der Mann & die Frau fliegen küssend vorbei, innen schalldichte Scheiben; unentwegt fahre ich die gleiche Strecke, sie endet stets vor der Spiegelung, dem Bild: wie Aufziehvögel picken Mann & Frau aufeinander ein.

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© 2022 Monika Jarju
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kriegs.spiele & deserteure

Von Heinz Erich Hengel

die soldaten spielen im kasernenhof szenen aus dem ´sommernachtatraum`; um zu üben, wie man in kalten wintern in kasernen überlebt. wenn die heimat in schneestürmen versinkt.
soldaten tragen uniformen, damit man erkennt, dass sie soldaten sind. in der freizeit hängen die soldatenuniformen in den militärspinden. mit dem general wird die uniform zu einer legende. wobei ein general in der heimat äußerst angesehen ist.
kriege bringen fronten mit sich. im heimaturlaub der soldaten ist die front verwaist. da nützt auch die geplante aufstockung von frontex nichts.
ein soldat ist kein waisenknabe. die soldatinnen sind in karenz: karenz vor krieg. mit dem hauptmann beginnt das mannsein.
besonders im winter kann es an der front recht kalt werden. und das nicht nur im kalten krieg. die friedensaktivisten versuchen, den kalten krieg in den sommer zu verlegen; oder ihn in zeiten des klimawandels zum schmelzen zu bringen.
im winter bewerfen sich die soldaten mit schneebällen, damit sie sich bewegen und so weniger frieren. wenn der frost vorbei ist, steigt der frust, weil sonderurlaube kaum genehmigt werden. tauwetter in der heimat erinnert an alte gefriertruhen.
mit der begründung, dass krieg ist, wartet man auf den herbst. zur zeit der ersten herbstzeitlosen werden die ersten geschichten erfunden. wer auf geschichten verzichtet, hat es sich abgewöhnt, krieg zu spielen.
die sache sei zu ernst, um befehle zu begrüßen. die kaserne aber ist ein befehl. befehlsgewalten gehen von schreibtischen aus. karten & pläne auf schreibtischen können kopfweh verursachen. ein heimaturlaub ist am ehesten bei migräneanfällen möglich. wenn karten zu kriegen werden, so ist das spiel vorbei. planwirtschaft am ehesten noch kriege schafft.
der leutnant drillt die soldaten im kasernenhof. der klang von trillerpfeifen kann zur qual werden. zu viel kaserne kann auch kopfschmerzen verursachen. soldaten mit kopfschmerzen gehören nicht an die front: ist die meinung des hauptmannes.
der leutnant schaut auf die uhr und fragt die wache, wie spät es ist. der zeiger der uhr überspringt die letzte stunde. in den ersten morgenstunden muss der fluss überquert werden, weil er die frontlinie bildet. wem die stunde schlägt: es ist wie ein schlag ins gesicht.
kopfschmerzen im krieg sind ärger als blasen an den füßen. mit soldatenstiefeln ist nicht zu spaßen.
an der front gibt es keinen frisör (friseur). daher ist bei den soldaten ein kurzhaarschnitt angesagt. in den toiletten spielen sich wundersame dinge ab.
es passiert häufig, dass im stacheldrahtverhau alte geschichten gefunden werden. die front ist ein stacheldraht, an dem die briefträger den soldaten nachrichten aus der heimat hinterlassen.
die heimat ist zu einer hinterlassenschaft geworden. der friede wird im krieg zurück gelassen. in manchen ländern / staaten gehören kriegsspiele zur heimattreue. auch wenn kriege nur gespielt werden, weiß man in der heimat oft nicht, wohin mit den kriegsgefangenen.
in den kasernen der heimat ist samstag ruhetag. am sonntag sind viele soldaten im offizierscasino. am nächsten montag müssen sie wieder an der front sein.
das gewöhnliche volk (plebs plebis) kennt den krieg nur vom hören-sagen. man weiß nur im groben, was sich dort abspielt. oft ist von schrecklichen dingen die rede. die generalität ist bemüht, ihre kriegsspiele nach möglichkeit geheim zu halten.
mit dem ende des krieges haben auch die heimatlichen kriegsspiele ein ende. dass kriegsspiele nur erfunden sein könnten, sei nur ein hartnäckiges gerücht, das niemand glauben will.
recht & ordnung kann bei kriegsspielen nur allzu leicht unter die räder kommen. wobei man sich bei den heimatlichen gerichten aber nicht auf gerechtigkeit verlassen sollte.
für deserteure sind kriegsspiele ein no-go.
dort, wo die tradition anfängt, begann früher die heimat. den deserteur interessiert kein heimatleuchten. der, der seiner heimat den rücken kehrt, sei ein deserteur; sagen die einen. für die anderen ist ein deserteur ein held, der dem krieg die rote karte zeigt. puncto heimat ist die rk (rote karte) ein no-go.
für all jene, die stets bestrebt sind, recht & ordnung konsequent um- & durchzusetzen und für die gerechtigkeit an vorderster stelle steht, für die wird es immer schwieriger, in einer heimat zu leben, die diese werte nicht (mehr) voll vertritt.
halbherzigkeit mag zwar besser als herzlosigkeit sein, doch das halbe kann nicht das ganze ersetzen. für den deserteur gibt es keine halbherzigkeiten: entweder — oder: entweder die flucht auf die andere seite des stacheldrahtes; oder das leben endet im stacheldraht. das leben eines deserteurs ist kein leichtes, dafür aber ein gefährliches und oft auch kurzes.
mancher deserteur bekommt posthum in seiner heimat ein denkmal. andere werden in der heimat vergessen; dafür erinnert man sich eventuell andernorts an sie. obwohl das alles dem deserteur, der sein desertieren mit seinem leben bezahlt hat, egal sein kann: sowohl das denkmal als auch die heimat und sein ruf. wobei deserteure selbst kaum rufen und auch nicht gerufen werden.
wenn sie in der heimat vergessen werden, so wächst alsbald gras über ihre gräber. vielleicht sind die grabsteine schon umgefallen. heimat kann am ehesten dort sein, wo gras auf den dächern wächst.
der deserteur schwört auf die flucht. sie ist für ihn eine chance. für den deserteur ist der eid eine lüge. die lüge des deserteurs ist für seine gegner verrat. ein deserteur hat mehr gegner, als der tag minuten.
der berg ruft: doch meistens müssen die, die diesem ruf folgen, zuerst den wald durchqueren. und dabei müssen sie teuflisch aufpassen, dass sie sich nicht über liegendes totholz stolpern. der holprige weg wird zu einer stolprigen angelegenheit. meilensteine – stolpersteine: des einen freud, des anderen leid.
und an der front: tote soldaten neben toten bäumen. wald mit verbrannten, toten bäumen. abgebrannt bis auf den blanken boden. bäume & sträucher wurden niedergebrannt, um dem feind – aber auch dem deserteur – kein versteck zu bieten. totholz taugt zwar zum verbrennen, nicht aber zum verstecken. der deserteur flüchtet richtung wald, um sich dort zu verstecken. grüne bäume und sträucher wähnt er als versteck. er weiß noch nicht, dass das feuer sie getötet hat.
leider ist seine flucht von unvorsicht begleitet: er stolpert über den stacheldraht, der die parallele zur frontlinie markiert. es war ihm nicht vergönnt, den wald, der für ihn schutz bedeutete, zu erreichen. doch ein wald voll von totholz hätte ihn auch nicht schützen können.
deserteure leben i. d. r. auch nicht allzu lange; sie sterben zumeist bald und einsam – auch ohne stolpern: ein toter deserteur. heimat bist du, großer söhne und töchter, nicht aber verräterischer deserteure…

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© 2022 Heinz Erich Hengel (Text & Bild)
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