In der Welt herumgekommen

Von Regine Wendt

In der Welt herumgekommen lese ich, überlege. Geht es um Reisen? Geht es um Erfahrungen, Eindrücke fremder Länder, Begegnungen mit Menschen anderer Nationen? Was ist übrig geblieben von dem Herumkommen in der Welt?

Es heißt ja immer – Der Weg ist das Ziel. Wenn ich mein Leben aus dieser Perspektive betrachte, bin ich mitten in dieser Welt des Herumkommens. Eindrücke früherer Reisen verblassen, werden zu Ansichten umgearbeitet, die Bildern gleichen, auf denen ein Maler immer wieder einmal arbeitet, korrigiert oder ausschmückt.

Sicher, das Herumkommen hat mich geformt, hat mir manche ungeahnte Realität gezeigt. Schönheiten beschert, so schön, dass sie heute noch Schmerz verursachen. Ich habe das einfache genügsame Leben in Griechenland kennen gelernt, Rumänien mit Zigeunern im Elend, Israel mit seinen bewaffneten Grenzen. Fremde Sprachen, Musik, Kultur. Landschaften mit Bergen, Wüsten so kalt in der Nacht und immer wieder blauendes Licht am beginnenden Morgen am Meer. Italienische Männer, die wunderbare Liebesworte flüsterten, und, und, und… Ach ja, Alexis, der Fischer, als er mir sagte – griechische Männer sein wie Gott-. War es so? Ich erinnere mich an einen Himmel voller Sterne.

Was ist übrig davon? Eine Sehnsucht nach dem Meer und nach der Stille, wenn es ums Reisen geht.

Doch die Menschen sind mir wichtiger. In meinem Berlin begegne ich Menschen aller Nationen. Hier komme ich auch in der Welt herum.

Manchmal komme ich in mir selbst herum. Entdecke Facetten, die mir vorher unbekannt waren. Beglückendes und Erschreckendes. Der Weg geht weiter. Auf manchen Abwegen zeigen sich schöne, gefährliche Aussichten. Die Logik und das Gewissen als Wegweiser lassen das Vertrauen in mir wachsen, auf dem richtigen Weg zu sein. In meiner ureigenen Welt in Frieden herum zu kommen.

Erfahrungen und vor allem Leben warten in der großen weiten Welt oder direkt vor der eigenen Tür. Selbst vor Überraschungen in uns selbst sind wir nicht sicher.

7.9.11

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© 2022 Regine Wendt
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Jagdfieber – One Night Stand

Von Regine Wendt

Was bringt dir schon ein One Night Stand? fragst du. Kennst du alle Wege des Lebens? frage ich zurück. In meinem Kopf breitet sich eine Geschichte aus, wallt sinnlich in meinen Schoß. Ich erzähle sie dir.
Ein Jäger auf der Pirsch. Ruhig in seinem Hochstand. Er jagt die Rehe, kennt und pflegt sie, merzt aus mit Waidmannsverstand, was er für nötig hält. Hat er ein Reh erlegt ist er zufrieden und demnächst wieder auf seinem Hochstand. Er beobachtet, ist mit gedämpfter Leidenschaft konzentriert. Jagen, erhalten und pflegen, da kennt er sich aus, da ist er sicher, ein gewisser Kitzel bleibt, sein normales Leben als Jäger. In einer Herde Wild entdeckt er ein Reh mit einem weißen Fleck auf der Stirn, kleinwüchsig. Das will er erlegen, passt nicht in den Bestand.
Dämmerlicht. Auf dem Hochstand der Jäger, einsam in die Stille spähend. Da ist Das Reh, kühl ist er, bereit. Doch warum kommt das Reh aus der Deckung? Näher, ganz gelassen vor die Flinte? Irritiert späht er durch das Fernrohr, das Gewehr entsichert, noch knallhart, entschlossen. Das Reh, von besonderer Schönheit im diffusen Licht, dicht vor ihm, wirft sich auf den Rücken, zeigt seinen hellen Bauch. Er ist erregt, so will er nicht jagen, nicht so einfach. Er betrachtet verwirrt das sich darbietende Reh, zwischen seinen Hinterläufen ein dunkler Fleck, fast ein Herz. All seine Sinne sind angeregt, durch dieses phantastische Herz. Dunkle Gefühle, fast wie eine Offenbarung voll Zartheit und Intensität beherrschen ihn. Pfeilschnell der Schuss, direkt ins Herz gezielt. Herzschuss, er ist fast von Sinnen als das Blut quillt. Blutendes Herz im weißen Fell. Rot. Ihm ist, als möchte alles in ihm es trinken, seinen animalischen Durst stillen. Noch einmal möchte er das Herz treffen, den magischen Moment wieder erleben, er fühlt sich außerhalb seiner selbst. Doch das Reh, das sich ergebende Reh ist tot. Das blutende Herz auf dem hellen Bauch für immer eingraviert in seiner Seele. Wo die Sehnsucht, die Wünsche und die Lust wohnen. Er selbst ein Unbekannter im eigenen Haus, wo jetzt ein blutendes Herz haust und weiße unbeschriebene Blätter warten, Zauber, den es zu bestaunen gibt. Ein Traum von dem was sein kann. – Vielleicht ist aber alles ganz anders beim One Night Stand, nur weißes Fleisch, erlegt, gefressen und vergessen.

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© 2022 Regine Wendt
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Tohuwabohu

Von Monika Jarju

Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht! Möbel verstellen die Zimmer und im Bad montiert endlos ein Klempner. Wie werde ich den bloß los? Da dringt rigoros eine ältere Dame in meine Wohnung, gefolgt von einer zweiten. Sie nehmen die Sessel in Beschlag und verlangen Kaffee. Sollte ich zuerst die beiden Damen hinauswerfen oder den Klempner? Die Parallelität der Ereignisse verwirrt mich. Während ich den Kaffee suche, höre ich, wie eine Dame mit strenger Stimme ein Schreiben vorliest, indem die Abschaffung der Todesstrafe in den USA gefordert wird. Aus Versehen schütte ich Zucker ins Kaffeepulver und fische ihn vorsichtig wieder heraus, die gekochten Obststücke lasse ich drin. Die Situation ist fatal. In zehn Minuten muss ich zur Arbeit! Worum soll ich mich um Himmels Willen zuerst kümmern?

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© 2022 Monika Jarju
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Austragen

Von Monika Jarju

Als ich nach der Ausstellung zur Haltestelle gehe, warten dort schon viele Leute. Der Bus kommt nicht. Plötzlich rennen alle los. Ein schwangerer Mann springt auf meinen Rücken und lässt sich von mir tragen. Man hat ihn entlassen, als er schwanger wurde und das Arbeitsamt zahlt ihm kein Geld, erzählt er mir. Es sei denn, er findet eine Leihmutter, die das Kind gebärt. In meiner Dachwohnung, in der ich erst seit einer Woche wohne, verlangt er zu essen und zu trinken, duschen will er auch und schöne Handtücher. – Das erinnert mich an etwas, woran ich mich nicht mehr erinnere.

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© 2022 Monika Jarju
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Dill & Düne

Von Monika Jarju

Ich ging zurück zu jener Kreuzung, und tatsächlich stand dort immer noch der Wegweiser. Er zeigte in alle Richtungen. Verwirrt schaute ich mich um. Da fielen mir die beiden Frauen in den weißgepunkteten grünen Shirts auf. Wie angenehm, dachte ich und schlenderte auf sie zu. Und plötzlich stand sie da, eine prachtvolle Stretch-Limousine, mitten auf der Kreuzung, mit glänzendem Lack und sehr elegant. „Na sowas!“, riefen die Frauen einstimmig, und auch ich war überrascht. Verdutzt sahen wir uns an – und grinsten. Mit formvollendeter Geste öffnete ich schwungvoll die hintere Tür und wies die beiden mit leichter Verbeugung in das Innere des Wagens. Ich ließ mich auf dem Fahrersitz aus feinstem Leder nieder. „Wohin wollen Sie?“, fragte ich mit einem Blick in den Rückspiegel. „Zur Ostsee!“, riefen sie fröhlich. Und schon glitten wir geräuschlos durch die Straßen bis zur See. Dort kurvten wir eine Weile herum, bis wir einen gewissermaßen superlangen Parkplatz fanden.

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© 2022 Monika Jarju
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Haibun

Pawel Markiewicz

verträumte Nixe
verzaubert bei der Donau
der Stern über Wien

Eine Nixe ist eine Bewohnerin einer Donautiefe. Sie ist von heute an sehr verträumt, weil es ihr gelang, ein schönes Gedicht zu Ende zu erdenken. Das ist ein zart besaitetes Gedicht von der Ewigkeit. Die Nixe schläft tagsüber in einer Grube unter der Donau. Sie erwachte um jede Mitternacht und sitzt am Donauufer hinter der Stadt Wien. Sie sieht sich die schöne Stadt an, von dem Zarten schwärmt. Die Donau ist eben verzaubert, weil die Nixe um ihrer Seelenwärme willen das Wasser bis zum 35 Grad erwärmt hat. Buben können eben grenzenlos in der warmen Donau schwimmen und baden. Auch ein Fischer kann seinen Körper im Warmwasser einfach erfrischen. Von heute an vollzieht sich ein Wunder. Der vornehmste Stern, nämlich das Gestirn der Philosophen schimmert über Wien, der Donau und der Nixe. Der Stern offenbart eben die Erfüllung aller Träume. Ich bin in die Nixe, den Stern und das ganze Wien einfach verliebt.

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© 2022 Pawel Markiewicz
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Zartbesaitetes Haibun (2)

Von Pawel Markiewicz

Denker lobt Donau
Dichter schätzt Urloreley
Träumer ehrt Zauber

Eines Tages, in dem träumerischen Mittelalter, lebten in Mähren drei junge Freude, und zwar: ein Denker, Dichter und Träumer. Sie haben sich vorgenommen, Wien zu besuchen, um dort einen Schmuck zu kaufen. Sie gingen an dem Fluss Donau vorbei und es geschah ein Wunder. In ihren Seelen bei der Donau vollzog sich eine totale sekundäre Menschwerdung: beim Denker durchs Loben, beim Dichter via Schätzung und beim Träumer per Ehrung. In all dreien Fällen war es vorher zu einer urigen, also primären Menschwerdung gekommen: beim Denker mit ersten Gedanken, beim Dichter mit dem ersten Gedicht sowie beim Träumer mit der ersten Schwärmerei.
Der Denker hat an die Donau gedacht, das ist an Größe, Menge, Wasser, Tiefe, Fische.
Dichter verdichtete eine Urloreley – ein Mädchen von einem Hain, das in der Donau ertrank, weil sie nicht geliebt war.
Dagegen träumte der Träumer von einem Flusszauber, weil er von der verträumten Donau schlechthin verzaubert ist.

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© 2022 Pawel Markiewicz
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Jemand war zu weit gegangen

Von Monika Jarju

An dem Tag der Wohnungsbesichtigung geschah etwas Sonderbares. Die Vermieterin führte mich durch eine verwinkelte Wohnung. Ich folgte ihr durch vollgestopfte Zimmer und Flure, recht schnell verlor ich die Orientierung in den Räumen. Wir gelangten in eine winzige fensterlose, leere Küche. Ich würde Spüle und Herd kaufen müssen, überlegte ich einen Moment zu lange. Die Vermieterin war bereits weiter gegangen, ich hatte sie aus den Augen verloren. Eilig lief ich den Gang entlang, öffnete hier und da eine Tür und versuchte mir den Grundriss dieser unübersichtlichen Wohnung einzuprägen. Auf ein mit Möbeln und Hausrat zugestelltes Zimmer folgte eine geräumige Wohnküche. Noch eine Küche, wunderte ich mich, als die Vermieterin aus dem Bad trat. Die Wohnung gefiel mir nicht, ich begriff den Grundriss nicht. Der Gedanke hier einzuziehen erfüllte mich mit Unbehagen. Und in dem Moment klingelte es an der Wohnungstür. Die Vermieterin öffnete, ein Paketbote stand mit einem großen flachen Paket da, behutsam legte er es vor mir auf dem Boden ab. Etwas rappelte im Karton. Das Paket war tatsächlich an mich adressiert, obwohl ich nichts bestellt hatte. Der Name des Versandhauses kam mir bekannt vor. Er passte zu der Internetadresse, die mir jemand gegeben hatte, als ich ihm von meiner erfolgslosen Wohnungssuche erzählte. Auf der Homepage blieb mein PC häufig hängen, auch wurde ich immer öfter auf diese Website umgeleitet. Wohnungsangebote fand ich jedoch dort nicht. Mir war mulmig, als ich vorsichtig an einer Ecke den Deckel anhob und in die Schachtel lugte. Unfassbar, ein lebendiges Lamm lag in der Kiste! Es zappelte. Überrumpelt drückte ich den Deckel wieder zu. Mein erster Gedanke beim Aufwachen war – und ich spürte Groll in mir aufsteigen – jemand hatte mich ausgetrickst.

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© 2022 Monika Jarju (Text und Foto)
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Standpunkt

Von Monika Jarju

In ein Gespräch vertieft mit einem chinesischen Dichter, dessen Lyrikband wir zweisprachig in einem Schuber herausgeben, vergesse ich die Zeit und verspäte mich. Die Mitarbeiter erwarten mich bereits ungeduldig. Entschuldigend schaue ich in die Runde – und dann auf die Badewanne mitten im Raum. Wie gern hätte ich jetzt ein Bad genommen! Doch daraus wird nichts. Ein Grafiker redet unablässig in einer Art Geleier vor sich hin. Die Stimmung ändert sich, alle wirken enttäuscht, irgendwie. Dann, etwa nach einer Stunde seit Beginn seiner Klage über die Abhängigkeit von der Arbeit, unterbreche ich ihn. Meine Situation unterscheidet sich wesentlich von seiner. Ich stehe kurz vor dem Lebensende, denke ich und wache erleichtert auf.

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© 2022 Monika Jarju
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Chefsache

Von Monika Jarju

Der Zufall will es, dass mein ehemaliger Chef und ich uns noch einmal im Traum begegnen. Der Ort hätte nicht besser gewählt sein können – es ist ein Marktplatz. Eine Menge Menschen säumt den Platz. Er hält eine emotionsgeladene Rede über die wahre Berufung von Frauen. Nachdem ich den ersten Schreck über diese absurde Situation überwunden habe, trete ich näher und höre ihm verwundert zu. Er fordert die Rückkehr zu traditionellen Werten. „Frauen in die Küche, zu den Kindern!“, ruft er mit donnernder Stimme. „Die freiwerdenden Arbeitsplätze sollen Männern zur Verfügung stehen.“ Er muss mich bereits entdeckt haben, denn er bahnt sich einen Weg durch die Menge und drückt mir energisch einen Stimmzettel in die Hand. Ich soll sofort unterschreiben, das könne er verlangen für das Gehalt, das er mir früher gezahlt hätte, sagt er drohend.

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