Langes dünnes Rot

Von Regine Wendt

Langes dünnes Rot
Kalte Nacht
Gesprungener Eisfilm über der Pfütze
Schneeregen füllt Wasser auf
Legt Schlamm frei, Dreck
Mondlicht wassergespiegelt
Vogelschrei
Ruhe ohne Sinn
Du hattest recht
Es ist zu spät

Langes dünnes Rot
Wir hatten den Winter nicht so früh erwartet
Wir hatten die Richtung verloren
Außen und innen kalt
Es fließt und wärmt nicht mehr
Das Blut
Du hattest recht es war zu spät
Für dich für mich

Langes dünnes Rot
Ins Dunkle ins Helle
Vieles bleibt ohne Worte zurück
Neues ist schon wieder da

*

© 2023 Regine Wendt
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gehdichte

Von Alexander Reisenbichler

1. mendels vererbungsgesetze

von meinem grossonkel habe ich nur die faehigkeit nicht pfeifen zu koennen geerbt

2. entbilderung

geben sie sich mit den vokalen zufrieden wenn dieses wort keine andere berufung fuer sie bereithaelt

3. was liegt pickt, hat er beim schnapsen gesagt

entlaestige mich von diesen fliegen woertern die sich nicht von meinem geist loesen wollen
ausgewindelt aus verwinkelten kleidermasken picken diese fliegen woerter in meinem gesicht
entbildern mit un tierischen empfindungsgrillen meine phanta sie
waehrend er gedanken verblaettert
so lange sie hier bleiben ist er froh

4. grimmige wortfolgen

fabelfrohe kindheit mit fabelhaeusern
die fabelhaftigkeit leuchtete durch die maerchenbuchblaetter
ein farbenfeuer an woertern sah ich falkenhell am horizont
im faulbettchen faunischer poesie raffte sich ein wort nicht federfaul auf und begann den federkrieg (streit der schriftsteller) gegen federschurken die in der ersten fegefeuerlebensminute in federruhe verglosen werden
fensteraugen die sich in die welt hianuslehnen
mit tuerangeln nach wortkreuzungen fischen
ferngedueft fernschoener exo tisch er gedankenschnecken
raeume die von gaugin vermalt wurden
gedankenstriche die sich willig woerter such enden hin kaputt geben
in buchstabenwaldigen heiden auf denen herden mit fingerbrillen tauben beistrichen nachfuehlen und finsternislehrer fingerfasennackt in fenstern ausstellen

5. woerter die grimmig gedanken folgen

flatterschoen (vergaenglich) tischen wir uns realitaeten auf wie fledermausherzen
ohne diesem wort auf den grund gehen zu wollen ankern wir in sonnigen ecken eines nachmittags um kurzschrift fuer langatmige in baumrinden zu medi nicht zin tieren und uns von menschen ab und zu grenzen und im not fall nicht dativ grammatiklos mit fledermausmasken fort zu bin i zua bechern (fortbechern bedeutete sich fortbegeben) in glaeserne welten in flieg enden unter tassen flattern meine an denken vorueber

6. woerter die grimmigen gedanken folgen

flick nach richten (von herder der nie herder tier werden wollte)
weben sich vor fleckerl teppichen in umgestuerzte rot haut nach t morgen abend daemme runge n (philipp otto runge) roman tischer moeblierter kuenstler ateliers in denen caspar fried riechen nach modrigen maedchen wunderhoernern
hacken nasen lose spuck naepfe auf stellte regal blumen toepfe um meine ge danken bitte gerne fuer diese lyrische ein lage ohne schuhe barfuss

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© 2023 Alexander Reisenbichler
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Die Synkope

Von Delia Kassi

Die Synkope
ist es doch, die interessiert.
Das Stolpern, Innehalten aus Versehen,
die feine kleine Irritation,
die aufhorchen lässt, mindestens
ein Zucken macht sie innerlich
ein Wanken, Zaudern.

Und der Wechsel Triole, Duole,
immer wieder ein Spaß.
Ein Torkeln macht’s wie auch
die Wechsel im Takt, aus der Laune.

Und die kleine Sekunde,
die lieben wir weil sie schneidet,
ritzt und beißt
ein klein wenig nur, man erschrickt,
hellwach, spitzt sie die Ohren an.

Alles. Nur heraus aus dem Marsch.

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© 2023 Delia Kassi
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Menschen. Leben.

Von Walther Stonet

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Nein, er muss handeln,
Muss Gutes schaffen und dem Bösen wehren. Doch:
Was immer er auch tut, er endet tief im Loch,
Muss schließlich sich in jenen Lehm zurückverwandeln,

Aus dem er einst gebacken durch sein Leben kroch.
Er wird sich irgendwann mit irgendwem Verbandeln
Und liegt in Betten, fläzt in Ecken, schläft in Kandeln,
Versprüht den Geist, den Witz und riecht, was niemand roch,

Bevor die Regen aller Sorten auf ihn fallen.
Da liegt er nun und ist die Fragen aller Fragen.
Die Antwort bleibt er schuldig. Nicht einmal das Lallen

Vermag er mehr, erst recht nicht dieses Dauerklagen
Will aus dem offnen Mund mehr nervig schallen:
Das Leben ist’s gewesen. Es brach ihm den Kragen.

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© 2023 Walther Stonet
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Бахмут. Himmel. Blau.

Von Walther Stonet

Der blaue Himmel spannt sich übers Land.
Er segnet selbst die Hölle unter sich.
Dort bomben sie sich tot, und der Verstand
Verließ sie lange schon. Gelegentlich

Fliegt eine Amsel durch den Fleischwolfschlund,
Der sich hier aufgetan hat: Februar
War’s, los ging’s ohne jeden guten Grund.
Jetzt ist‘s ein Wintertag im Januar,

Und keine kleine Wolke steht im Blau,
Kein Wind verweht die Schreie der Soldaten.
In der Ruine weint nur eine alte Frau.
Ihr Unglück ist der Preis von Potentaten,

Die nach dem Ruhm und nach Salinen gieren;
Als Heldentod verbrämen sie Krepieren.

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© 2023 Walther Stonet
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Abschied im Anzug

Von Walther Stonet

Der Anzug hängt zerknittert da. Wie ich
Ist er total und völlig durch den Wind.
Ich weiß nicht, wie der letzte Satz beginnt.
Ob sie‘s verzeiht? Ich bete flehentlich

Zu allen Göttern, die mir gnädig sind:
Ob’s einen gibt, das weiß ich leider nicht.
Die Hände halte ich vor mein Gesicht
Und weiß, dass im Moment mein Glück zerrinnt.

Ist’s ihr Parfüm dort am Revers? Nein, meins.
Den Anzug hänge ich auf den Balkon.
Wenn mein Parfüm, dann will ich lieber keins.

Und warum spielt der Sender unsern Song?
Ich wahre nicht den Rest des falschen Scheins:
Der nächste Sänger grölt: This love went wrong.

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© 2023 Walther Stonet
Alle Rechte vorbehalten

An betung

Von Walther Stonet

Der bei trag des nach
richten sprechers zer
fledderte im rauschen des tornados

Elms feuer auf kirch turm
spitzen brachen ab & fielen
unter die un gläubigen die ins kirchen
schiff strömten des betens wegen

In den er
hobnen zeige finger des predigers
fuhr der blitz & hielt
eine donnernde predigt

Im gesang buch tanzten
die noten zu „Ein feste
Burg ist unser Gott“

Als der schluss stein einen
schluss punkt dem kopf
eines gottes dienst besuchers
setzte bejubelte die

Orgel dies mit
„O Haupt voll Blut und Wunden“
In die ein geist durch die
leere rosette im aller

Heiligsten unter die
knienden fuhr – viel
stimmig Amen Ahahamen heulend

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© 2023 Walther Stonet
Alle Rechte vorbehalten

 
Walther Stonet
Autor, Publizist, Herausgeber
walther@gedankenlieder.de
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gedankenlieder.de
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Freundschaft

Von Markus Katzenmeier

Erst nach den Entdeckungsreisen lauern die Gefahren
Worte, Themen, Taten – fast immer mit Verfallsdatum
Sehr klein gedruckt

Und plötzlich bist du weg
Und du
Und du auch

Schuldlos war ich nie
Dennoch bleibt die Frage:
Freundschaft, was ist das eigentlich?

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© 2023 Markus Katzenmeier
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wirken lassen

Von Philip Bartetzko

Wir müssen leben
Und Leben wirken lassen.
In uns sein
Und auch den Schmerz zulassen.
Keine Furcht vor Selbsterkenntnis –
Keine Zweifel an dunklen, scheinbar lichterlosen Tagen –
Die Hoffnung, die im Inneren begründet ist –
Die Faszination, die uns nicht loslässt
Kann uns durch den Nebel tragen. –
Große, wilde Liebessagen – welche die Zeit anhalten
Während andere Sterne auch den Raum durchkreuzen
Funkelnd unbeirrt – hat das Göttliche uns anvisiert?
Erleben wir in neu erwachenden
Längst vergessen Gefühlen neue frische Lebenslust.
Wie geheimnisvoll – wie Träume halt so sind –
Kein verharren mehr im alten Glück.
Rauszugehen – wieder und wieder – und feurig erleben
Ist ein Sinn – eine Kraft, von der wir zehren.
Wann können wir frei gestalten?
Wann können wir alle Liebe wirken lassen?
Wir sollten bewusst denken – und leicht fühlen –
Dann wird das Leben uns zu uns führen.

*

© 2023 Philip Bartetzko
Alle Rechte vorbehalten

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