Meeres-Miniatur

Von Madame Pavot

Der Druck zerrte den Moment in die Länge, meine Ohren waren taub, aber der Geist wach, ich, ein sprudelnder Punkt im Wasser, im Blau, im Moment, es zog mich nach unten, wehrlos, aber hungrig auf alles, was mich erwartete, alles, was in der kobaltblauen Welt lag, alles, was ich vielleicht war. Alles Kobalt, alles ewig, alles ich und das Meer.

„Wach auf, Digga, hast du zu viele Meerjungfrauen- Filme gesehen, oder was. Du stehst seit zehn Minuten unter dem Rasensprenger und singst „under the sea“ aus Arielle. Vielleicht solltest du dich weniger zudröhnen, ey.“

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© 2023 Madame Pavot
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Heuhaufen

Von Marion Kannen

Ich renne zurück zur Lichtung. Das Gras steht sehr hoch –
zuerst sehe ich das Haupthaus.
Es ist mit Stroh gedeckt und kleiner als ich es in Erinnerung hatte.
Dann sehe ich die beiden anderen Hütten.
Menschen sehe ich nicht. Sie sind gegangen oder tot.
Es wird keine Zuflucht geben. Ich muss weiter.

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© 2023 Marion Kannen
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Katzenkonfekt 1

Von Marion Kannen

Wir reden
Antwortet sie mir, als ich sie, die in meinem Arm gemütlich auf dem Rücken liegt,
zur Rede stelle : “ist halt die 2. deiner Alternativen!”
Stimmt, – damit hat sie mich erwischt. Wieder einmal.

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© 2023 Marion Kannen
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Herbst – eine Minutengeschichte

Von Hans Peter Flückiger

Es ist Herbst
Amélie, eine Bretonin, ist im Wald
In Flims
Das ist am Panorama zu erkennen
Auf einer Buche sitzt ein Eichelhäher
«Attention», ruft Amélie, «le chasseur»

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© 2022 Hans Peter Flückiger (Text und Bild)
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Geschichten-gegen-langeweile.com

Bild: Felix Vallotton, Le chasseur, 1918
Zur Information: Dieser Minutengeschichte liegen die Titel von vier Bildern zu Grunde, welche aktuell im Kunstmuseum Solothurn in der Ausstellung «Die Sammlung Gerhard Saner» vom 22.08.-31.10.2022 zu sehen sind. Adolf Dietrich, «Buchen im Herbst mit Eichelhäher», 1921; Félix Vallotton, «Le chasseur», 1918; Giovanni Giacometti, «Panorama von Flims», 1904; Cuno Amiet, «Bretonin im Wald», 1893.

Kassiopeia

Von Johannes Morschl

Vor einigen Tagen hatte ein Astronom ein rätselhaftes Geräusch aus der Richtung des Sternbilds Kassiopeia empfangen, das so ganz anders war als das kosmische Rauschen, mit dem er es sonst zu tun hatte. Er vermutete, dass das rätselhafte Geräusch nicht natürlichen Ursprungs war. Aber welchen Ursprungs dann?

Als Kalle K. dies in der Zeitung las, stieg eine dunkle Ahnung in ihm auf. Konnte es sein, dass dieses rätselhafte Geräusch von ihm stammte? War er im Widerspruch zu allen Gesetzen der Physik und überhaupt zu allen Gesetzen gleichzeitig so hoch dort oben und so tief hier unten? Er erwarb übers Internet ein einigermaßen erschwingliches Teleskop für Hobby-Astronomen und beobachtete bei klarem Sternenhimmel die Kassiopeia, deren fünf Hauptsterne ein W bzw. ein M bilden, je nachdem, von welchem Ort auf der Erde aus man sie beobachtet.

Zunächst konnte er nichts entdecken, das darauf hinwies, dass er irgendwo dort oben ebenfalls existierte. Als er aber in der Nähe des Sterns Achird, der nur 19 Lichtjahre von der Erde entfernt ist, ein auffallend blinkendes Pünktchen entdeckte, welches ihm sonderbar vertraut vorkam, schlug der Blitz einer ungeheuerlichen Erkenntnis in ihm ein: „Das bin ich! Ich blinke mir zu!“ Er begann vor Begeisterung herumzuhüpfen und war mächtig stolz auf sich, es als bisher einziger Mensch geschafft zu haben, in völligem Widerspruch zu den Gesetzen der Physik und überhaupt zu allen Gesetzen gleichzeitig so hoch dort oben und so tief hier unten zu leben.

Am nächsten Tag beschloss Kalle K., seine Existenz auf der Erde eigenhändig zu beenden und nur noch im Sternbild Kassiopeia zu leben.

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© 2022 Johannes Morschl
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Minutengeschichte I

Von Hans Peter Flückiger

Im Westen nichts Neues. Zwei Kinder fahren den Rhein hinab. Die Flucht ohne Ende.

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© 2022 Hans Peter Flückiger

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Die Geschichte zur Geschichte:

Diese Minutengeschichte entstand im Kunstmuseum Solothurn (Schweiz) im Rahmen des Projekts Kunst und Schreiben zur Ausstellung Tiefenschärfe – Zwischen Lust, List und Schrecken (Dauer 29.01.22 bis 24.04.22.)Gezeigt wurden unter anderem 13 Cover von Büchern, welche in Nazi-Deutschland auf dem Index standen. Die Berliner Künstlerin Annette Kelm fand Exemplare, welche dem «Büchersturm» vom 10. Mai 1933 entgangen waren.

Ich habe verschiedene Buchtitel zusammengefügt und zu Minutengeschichten geupcycelt.

http://www.geschichten-gegen-langeweile.com

Minutengeschichte II

Von Hans Peter Flückiger

Lerne zu lachen ohne zu weinen. Liebe. Auch meine Mutter freute sich nicht.

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© 2022 Hans Peter Flückiger

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Die Geschichte zur Geschichte:

Diese Minutengeschichte entstand im Kunstmuseum Solothurn (Schweiz) im Rahmen des Projekts Kunst und Schreiben zur Ausstellung Tiefenschärfe – Zwischen Lust, List und Schrecken (Dauer 29.01.22 bis 24.04.22.)Gezeigt wurden unter anderem 13 Cover von Büchern, welche in Nazi-Deutschland auf dem Index standen. Die Berliner Künstlerin Annette Kelm fand Exemplare, welche dem «Büchersturm» vom 10. Mai 1933 entgangen waren.

Ich habe verschiedene Buchtitel zusammengefügt und zu Minutengeschichten geupcycelt.

http://www.geschichten-gegen-langeweile.com

Minutengeschichte III

Von Hans Peter Flückiger

Schreie auf dem Boulevard. Stoffel fliegt übers Meer. Der Flüchtling. Afrikanische Legenden. Schwarz auf weiss.

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© 2022 Hans Peter Flückiger

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Die Geschichte zur Geschichte:

Diese Minutengeschichte entstand im Kunstmuseum Solothurn (Schweiz) im Rahmen des Projekts Kunst und Schreiben zur Ausstellung Tiefenschärfe – Zwischen Lust, List und Schrecken (Dauer 29.01.22 bis 24.04.22.)Gezeigt wurden unter anderem 13 Cover von Büchern, welche in Nazi-Deutschland auf dem Index standen. Die Berliner Künstlerin Annette Kelm fand Exemplare, welche dem «Büchersturm» vom 10. Mai 1933 entgangen waren.

Ich habe verschiedene Buchtitel zusammengefügt und zu Minutengeschichten geupcycelt.

http://www.geschichten-gegen-langeweile.com

Minutengeschichte IV

Von Hans Peter Flückiger

Tabakstreik – In der *Stumpenfabrik. Tabakarbeiter an einer Demonstration. Zigarrenmacherin schildert Probleme der Frauenarbeit.#

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© 2022 Hans Peter Flückiger

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Die Geschichte zur Geschichte:

Die Geschichte entstand im Kunstmuseum Solothurn (Schweiz) im Rahmen des Projekts Kunst und Schreiben zur Ausstellung Tiefenschärfe – Zwischen Lust, List und Schrecken (Dauer 29.01.22 bis 24.04.22.)Gezeigt wurden unter anderem Fotos des Fotografen Hans Staub, der den «Tabakstreik» von 1937 im Kanton Aargau dokumentierte.

Ich habe verschiedene Bildlegenden zusammengefügt und zu Minutengeschichten geupcycelt.

*Stumpen = Schweizerdeutsch für Zigarre

http://www.geschichten-gegen-langeweile.com